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''Heliogabal''

Eine "Superstar"-Geschichte wollte Thomas Jonigk mit "Heliogabal" erzählen, doch mit den dicken Verweisen auf Daniel Kübelböck und Deutschlands bislang wohl erfolgreichste multiple Verwertungskette von Nichtkönnern hat sich die Ruhr Triennale einen Bärendienst erwiesen. Denn wer immer erwartet, die abenteuerliche Geschichte vom Aufstieg und Fall des 14-jährigen römischen Kindkaisers aus dem 3. Jahrhundert nach Christus als moderne Pop-Geschichte gesungen zu kriegen, muss sich in der Bigbandoper fühlen wie im falschen Film. Es gibt Null Glamour in dieser Aufführung, praktisch kein Volk, obwohl ohne kreischende Teenies oder überlaufende Soldaten noch keiner zur Ikone seiner Zeit wurde; es gibt keinen Superstar, denn Heliogabal ist ein blau angemalter, dicker, glatzköpfiger Mann, der am Rand der Bühne ein paar Faxen macht; und es gibt vor allem keine Pop-Musik. Der Belgier Peter Vermeersch und seine "Flat Earth Society" arbeiten mit satten Bläsersounds. Die kommen mal orkanhaft dramatisch, mal perkussiv leicht und verspielt daher, rühren aber vor allem die klanglichen Sedimente der 20er bis 80er Jahre des letzten Jahrhunderts zusammen: vom klassischen Bigband-Groove über Modern Jazz-Elemente; von Zitaten, die an Stummfilm, Musical oder Latino-Rhythmen erinnern bis hin zu den disharmonischen Klangkaskaden der Neuen Musik.

Von Karin Fischer |
    Wie die Historie wird auch die Musik von den Frauenstimmen dominiert: der echte Heliogabal wurde von Mutter und Großmutter auf den Kaiserthron gehievt. Der Weg des jungen Priesters von Syrien nach Rom ist ein langer Beutezug aus Bestechung, Lüge, Intrige und Mord an missliebigen Gegnern. Dass er der verkommenste aller römischen Herrscher war, der sich geschminkt und in Frauenkleidern wahllos von gutgebauten Männern beschlafen ließ, kann getrost als Mythos betrachtet werden. Kein Superstar gestern wie heute, dem nicht von geschichtsschreibenden Senatoren oder eifersüchtigen Feuilletonisten der historische Todesstoß verabreicht würde. In Wirklichkeit brachten Heliogabal sein importierter Götterkult und heftige Machtkämpfe im eigenen Familienclan zu Fall.

    Thomas Jonigk nimmt das schnelle Hire and Fire des Kindkaisers als Folie, auf der er die zeitlose Geschichte von Anbetung und Führertum erzählt - immer aus der Sicht der "anderen". Die sich scheinbar ewig hinziehende Introduktion, ein Vorstellungsreigen von Verwandtschaft und Mitläufern, ist dabei schon Teil des musikalischen Puzzles, das aus den Kaisermacherfiguren der Gesellschaft ein typisches Bild zusammensetzt: in dem jeder eigene Interessen vertritt, aber immer auch den Gesetzen des Marktes unterworfen ist. Der Werbemanager, der die Umsatzsteigerungen verbucht; die naiv-eitle Braut beim Fernsehinterview, der angepasste Lover oder die ruhmsüchtige Mutter, die sich als Ehefrau des Kindkaisers imaginiert.

    Der blaue, dicke Heliogabal fungiert als Leerstelle, doppelt und dreifach sogar, als riesige Projektion hinten an der Wand oder als Kultobjekt in Form einer stilisierten Oscar-Statuette. Irgendwann ist dann aber Schluss mit lustig. Der General ruft zur Ordnung; mit der einleuchtenden Frage "Wollt ihr den totalen Alexander?" wird der nächste auf den Thron erhoben, werden Alexander-Poster zum großen Geschäft, und Heliogabal zur verlachten Witzfigur mit Taucherbrille, Flossen und weißer Zwergenmütze.

    Die Kreisbewegung, die die Mechanismen des Starkult-Betriebs offen legen soll, ist dabei zugleich die große Schwäche des Stücks. Vielleicht liegt es auch an der akustischen Situation der Gebläsehalle, dass die Musik aufs Ganze gehört so gleichförmig wirkt. Es fehlt dem Werk nicht an Struktur, es fehlt am Spannungsbogen. Die Sängerinnen und Sänger treten fast ausnahmslos nacheinander vor an die Rampe einer Bühne, die nach hinten oben steil ansteigt. Das Orchester nimmt über die Hälfte des Platzes ein und begrenzt zusammen mit einem ovalen Loch im Bühnenboden die Interaktion des singenden Personals auf zwei gefährlich schmale und in der Premiere stolperanfällige Korridore. Unter allem leidet die Inszenierung. "Wo ist die Sonne?" fragt die kaiserliche Großmutter und Moderatorin Julia Maesa zum Schluss. Über der Ruhr Triennale ging sie gestern Abend nicht auf. Dass sie heute wieder scheint, das ist ebenso gewiss, wie die Daniel Kübelböcks weiter ihr sängerisches Unwesen treiben auf dieser Welt. Und nur insofern ist "Heliogabal" gelungen: zeitgenössisch, aber nicht populistisch, ist es ein bemerkenswertes Stück über den Abstand zwischen dem Leben und der Kunst.

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