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Henric Wuermeling: Doppelspiel. Adam von Trott zu Solz im Widerstand gegen Hitler

Wir geben die Luftlagemeldung. Über dem Reichsgebiet befindet sich kein feindliches Flugzeug. Ich wiederhole: Über dem Reichsgebiet befindet sich kein feindliches Flugzeug. Ende der Durchsage.

Von Henry Bernhard | 19.07.2004
    Es war kein Zufall, dass der Himmel über Deutschland ausgerechnet am 20. Juli 1944 frei von feindlichen Bombern blieb. Zu danken ist dies dem Mitverschwörer Adam von Trott zu Solz, der in der Widerstandsgruppe "Kreisauer Kreis" als eine Art Außenminister fungierte und Kontakte nach England und in die USA unterhielt. Bei der Deutschen Verlagsanstalt ist jetzt die erste ausführliche Biographie über von Trott zu Solz erschienen. Henry Bernhard rezensiert:

    Werden sich England und die USA mit einem Deutschland, das Hitler beseitigt hat, an einen Tisch setzen?" Diese bange Frage hat er sich immer wieder gestellt: Adam von Trott zu Solz, der "Außenminister" der Verschwörung vom 20. Juli. Denn was nützte es, wenn man Hitler beseitigte, die Bombardierung deutscher Städte, die opferreichen Schlachten an allen Fronten aber weitergingen? Adam von Trott zu Solz kämpfte wie kein zweiter um die außenpolitische Anerkennung des deutschen Widerstands. Die einschlägige Literatur berichtet nicht viel über den jungen Mann, der entgegen aller Warnungen in Deutschland blieb, vom Volksgerichtshof verurteilt und im August 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. So kommt das Buch des Fernseh-Journalisten Henric Wuermeling sehr gelegen, eine Figur zu beleuchten, die bislang wenig im Rampenlicht stand.

    Adam von Trott zu Solz wurde 1909 in Potsdam geboren. Sein Vater war zu dieser Zeit preußischer Kulturminister. Seine Mutter war in St. Petersburg aufgewachsen. Seine Großmutter war Amerikanerin, einer ihrer Vorfahren hatte zu den Gründervätern der Vereinigten Staaten von Amerika gehört. Die Trotts hatten seit dem 13. Jahrhundert Kaiser und Reich gedient. Weltoffener, alter deutscher Adel also. Schon während des Jura-Studiums in München, Göttingen, Berlin und Oxford knüpft Adam von Trott Kontakte, die ihm später behilflich sein werden. Wo auch immer Trott auftritt – er fällt auf und beeindruckt, so auch seinen Freund Albrecht von Kessel:

    Weltschmerz, russische Literatur und extrem linksgerichtete politische Ideen waren die Fahnen, auf die erschwor, doch er war jung und leidenschaftlich genug, um diese Ideale auf Stunden zu vergessen, wenn er, schön wie ein junger Gott, abends die Berliner Salons in Erstaunen versetzte. Er war ein junges Genie, sensibel und reizbar.

    Staatsexamen, Promotion, zwei Jahre Zusatzstudium in Oxford. Den 30. Januar 1933 erlebt Trott in England. Henric Wuermeling, der Autor der Trott-Biographie, schildert Trotts Reaktion.

    Er werde versuchen, so viele Elemente aus dem politischen Spektrum Deutschlands wie nur möglich zusammenzubringen, und er werde dies auf der Basis der Menschenrechte des einzelnen tun. So lange wie möglich würde er der Partei nicht beitreten. Aber wenn der Zeitpunkt kommen sollte, wo er, um noch zu retten, was möglich sei, der Partei beitreten müsste, würde er dies tun. Was Trott im Gespräch mit seinem Zimmernachbarn entwirft, wird das Programm seines künftigen Lebens sein.

    Spätestens hier fällt dem kritischen Leser auf, woran es Wuermelings Buch mangelt: An Fußnoten, Verweisen, Belegen. Keinesfalls sollen hier Ungereimtheiten unterstellt werden, aber wenn ein 23-jähriger Deutscher am Abend der Machtergreifung Hitlers ein politisches Programm entwirft, das auf die Überwindung der Nazi-Herrschaft hinzielt, dann wäre doch eine Fußnote angebracht, die uns diese bemerkenswerte Weitsicht erläutert. Aufklärung bringt eine Fernseh-Dokumentation über Adam von Trott, die derselbe Autor vor zehn Jahren beim Bayerischen Rundfunk verfasst hat: Ein Studienfreund Trotts in Oxford hat Wuermeling die zitierte Szene am Abend der Machtergreifung geschildert. Was aber im Fernsehen funktioniert, da Interviewausschnitte, Dokumente und Briefe im Original zu sehen und zeitlich einzuordnen sind, verliert im Buch an Legitimität. Hier wäre eine gewissenhaftere, weniger journalistische Herangehensweise angebrachter gewesen. Dessen ungeachtet bleibt es das Verdienst Henric Wuermelings, Adam von Trott aus dem Kreis der immer wieder erwähnten, aber letztlich doch unbekannten Männer um Stauffenberg herausgelöst zu haben.

    1933 kehrt Adam von Trott aus der weltoffenen Atmosphäre Oxfords zurück in ein Deutschland, in dem die Grundrechte in atemberaubender Geschwindigkeit abgeschafft werden. Trott kommt freiwillig, gegen den Rat von Freunden und Familie, um sein Referendariat zu absolvieren.

    Es muss sich nach meiner beendigten Ausbildung herausstellen, wie – ob als Richter, Beamter, Hochschullehrer oder Schriftsteller – ich diesem Ziel am besten dienen kann. Der Dienst an den Rechten des einzelnen ist mir ungleich wichtiger als der Dienst am Staat (der zur Willkür geworden ist).

    Trott nimmt zwangsläufig an den Zeitläuften teil, absolviert ein Wehrsportlager und verweigert sich doch bis 1940 der Mitgliedschaft in der NSDAP. Anfang 1934 unterläuft ihm ein schlimmer Fauxpas: In zwei Leserbriefen in der englischen Tageszeitung "Manchester Guardian" bestreitet er jegliche Beteiligung der deutschen Gerichte an der Verfolgung von Juden und die Gewalttätigkeit der SA. Trott beschädigt damit seinen Ruf in England auf das Heftigste. Die Briefe schlagen in England ein wie eine Bombe und erschüttern Trotts Glaubwürdigkeit nachhaltig. Gleichzeitig bekommt Trott in Deutschland Kontakt zum Widerstand, zu Sozialisten, Kommunisten und Christen. Mehrfach hilft er Verfolgten. Auf längeren Reisen und während eines Zusatzstudiums in China erneuert er seine internationalen politischen Kontakte. 1938 kehrt er nach Deutschland zurück.

    Wenn ich zurückkomme, werde ich hier bleiben und ein Doppelleben führen. Ich werde eine Position suchen, von der aus ich insgeheim gegen die Nazis arbeiten kann; aber ich werde das hier tun, nicht vom Ausland aus.

    Und wirklich gelingt es Adam von Trott, im Auswärtigen Amt unterzukommen. Seine Reisen folgen einem doppelbödigen Schema: Trott reist offiziell als deutscher Diplomat, hat Gespräche zu führen und Berichte abzuliefern – und dient doch, mit Rückendeckung seiner Vorgesetzten, seinem eigentlichen Auftrag: Trott versucht gegenüber Großbritannien und den USA Unterstützung und Ermutigung für den deutschen Widerstand zu erlangen. Doch so wenig es ihm vor Kriegsausbruch gelingt, den britischen Premier Neville Chamberlain von Hitlers Aggressivität zu überzeugen, so wenig kann er auf Dutzenden Reisen zwischen 1939 und 1944 nach London, New York, Genf, Istanbul, Stockholm und Venedig sein wichtigstes Ziel erreichen: die Anerkennung der deutschen Opposition durch Großbritannien. Aber was nützte ein Staatsstreich gegen Hitler, wenn Deutschland auch unter einer neuen Regierung niedergezwungen und besetzt werden würde? Die Putschisten würden als Verräter nicht nur am "Führer", sondern auch am deutschen Volk wahrgenommen werden.

    Adam von Trott bemüht sich mit all seiner Kraft, geht immer größere Risiken ein. Allein – es hilft nichts. In London hält man Trott für einen Doppelagenten, der ein undurchsichtiges Spiel treibt; das FBI glaubt in ihm gar Hitlers "Meister-Spion" erkannt zu haben. Und dennoch: Was hielt die britische Regierung davon ab, sich zum deutschen Widerstand zu bekennen, der ja nicht nur in Trotts Person in London vorstellig wurde? Zunächst das Misstrauen, dann, ab 1941, Churchills Verdikt der "absolute silence", des absoluten Stillschweigens gegenüber jeglichen Friedensfühlern aus Deutschland. Damit sollte Entschlossenheit – und nach Entstehen der Anti-Hitler-Koalition – Einigkeit demonstriert werden. Angesichts der Planspiele des deutschen Widerstandes, der zeitweise Separatfrieden an Ost- oder Westfront erwog, eine durchaus nachvollziehbare Haltung. Nach der Festlegung der Koalition, Deutschland bis zur bedingungslosen Kapitulation zu bekämpfen, wurden Trotts Bemühungen noch aussichtsloser. Das einzige, was er erreichen konnte, war die vage Zusage, bei einem geglückten Putsch die Bombardierungen deutscher Städte auszusetzen

    Der Autor des Buches, Henric Wuermeling, stellt auch Trotts programmatische Arbeit für die Ausgestaltung eines zukünftigen, freien Deutschlands nach Hitler ausführlich dar. Adam von Trott ist der Jüngste im Kreisauer Kreis und bekannt für seine Fähigkeit, Interessen von extrem links bis weit ins konservative Lager hinein zu integrieren. Hier widerlegt der Autor ein weiteres Mal die These vom ausschließlich konservativen Widerstand "bankrotter Generäle". Adam von Trott erscheint als ein Patriot, der den "Führer" aus Liebe zu Deutschland stürzen will:

    ls ich in das düster umdrohte Deutschland zurückflog, erfüllte mich von neuem eine tiefe Liebe und Freude, in dieser schweren Zeit gerade hierher gestellt zu sein und für unsere Heimat mitzukämpfen. Ich glaube, dass mich keine Beziehung zu irgendeinem Menschen so tief bindet wie diese und dass hierfür besser und brauchbarer zu werden meine erste Pflicht ist.

    Für Adam von Trott waren die Umsturzpläne schon vor dem 20. Juli 1944 gescheitert. Sein damals einzig greifbarer Erfolg war, dass der Himmel über Deutschland an diesem Sommertag vor 60 Jahren frei von alliierten Bombenflugzeugen blieb. Sein Biograph referiert chronologisch und genau Trotts Leben – und lässt den Leser die tiefere Einsicht in die zerrissene Seele eines Mannes vermissen, der bis zu seiner Hinrichtung mit 35 Jahren unter hohen Risiken versucht hat, eine illegitime, verbrecherische Gewaltherrschaft zu beenden, ohne sein Land zu verraten. Genaueres über die mehrfach angedeuteten angelsächsischen Kontroversen um die schillernde Rolle Trotts bleibt uns der Autor leider schuldig. Wenig Hinweise finden sich darauf, was Adam von Trott in seiner Haupttätigkeit beim Auswärtigen Amt getan hat, in der Informationsabteilung und im Indien-Referat. Folglich fehlt auch der Hinweis, dass er sich im Juli 1942 mit SS-Chef Himmler getroffen hat, um über die Aufstellung einer – letztlich nicht zustande gekommenen – indischen SS zu sprechen. Zwar wird hier erstmals der Versuch unternommen, das gesamte Leben und Wirken Adam von Trotts darzustellen; der große Wurf ist es jedoch – angesichts der aufgeführten Mängel – nicht. Dazu fehlt dem Buch die analytische Schärfe. Dem interessierten Laien jedoch gibt es spannende Einsichten in ein Leben im moralischen Minenfeld zwischen Anpassung und Widerstand.

    Henry Bernhard über Henric Wuermeling: "Doppelspiel. Adam von Trott zu Solz im Widerstand gegen Hitler". Deutsche Verlagsanstalt München, 237 Seiten für 19 Euro und 90 Cent.