Mittwoch, 24. April 2024

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Henrik Eberle: Anmerkungen zu Honecker.

Auch die letzte Neuerscheinung in unserer heutigen Sendung ist eine Lebensbeschreibung - oder doch wenigstens so etwas ähnliches. Schon fast ein Jahr vor dem Ende der DDR mußte Erich Honecker abtreten - aber bis heute gibt es über ihn keine gültige Biographie auf dem Buchmarkt. Seine eigenen Memoiren sind im üblichen unlesbaren Parteichinesisch gehalten, und sie sparen heikle Punkte im Leben des Wiebelskirchener Revolutionärs naturgemäß aus. Andere - westliche - Biographien wie die von Dieter Borkowski sind aus der Vorwendezeit und schon insofern unvollständig - ganz abgesehen von der damals vergleichsweise katastrophalen Quellenlage, die ein Honecker-Biograph vorfand. Auch Henrik Eberles "Anmerkungen zu Honecker" aus dem Berliner Schwarzkopf&Schwarzkopf-Verlag vertreten nicht den Anspruch einer Biographie - aber sie komplettieren doch das noch immer schemenhafte Bild jenes Mannes, der die DDR fast 20 Jahre lang - und schließlich in den Untergang - steuerte.

Thomas Franke | 15.01.2001
    Musik:

    "Von all unsern Kameraden war keiner so lieb und so gut als unser kleiner Trompeter, ein lustig Rotgardisten Blut ..."

    Erich Honeckers Lieblingslied, das Lied vom kleinen Trompeter. Honecker ist seit gut sechs Jahren tot. Doch immer noch gibt es keine ernstzunehmende Biographie des letzten Diktators auf deutschem Boden. Auch das jetzt erschienene Buch "Anmerkungen zu Honecker" von Henrik Eberle schließt die Lücke nicht. Eberle weiß das, erläutert, daß sowjetische Archive nicht zugänglich sind. Deshalb seien die 50er und 60er Jahre nicht ausreichend dokumentierbar.

    "Ich hab doch mit diesem Buch erst mal 'n Anfang machen wollen oder 'ne Zwischenbilanz ziehen. Es sind 1990 sind ja von Herrn Tschibilski diese Bücher "Tatort Politbüro" erschienen, und es ist viel geschrieben worden über Erich Honecker. Dann kam dieser Honecker-Prozeß, wo wieder sehr viel geschrieben wurde, nicht unbedingt sehr objektive Sachen, wo ja sogar Mitleid mit Honecker geäußert wurde. Oder wo er die Chance erhielt, sich selbst als unbeugsamen Kommunisten darzustellen, was also aus meiner Sicht eine bösartige Farce. Ja, und dann ist er gestorben und wurde sofort vergessen. Und die DDR holt uns doch immer wieder ein, und zur DDR gehört eben auch Erich Honecker und wenn wir über Ostalgie reden und wenn wir darüber reden, daß jetzt 10 Jahre nach der Vereinigung die Einheit immer noch nicht vollendet ist, dann müssen wir auch darüber reden, wie es in den 70er und 80er Jahren gewesen ist. Und ich denke, daß Erich Honecker als Baustein dazu gehört, und ich wollte eigentlich 'ne Diskussion anregen mit diesem Buch, eben über die Friedenspolitik oder über den innerdeutschen Handel. Und das waren sozusagen meine Intentionen, Anmerkungen zu verfassen und nicht unbedingt eine in allen Teilen korrekte und objektive Honeckerbiographie, die diesem Mann von aller Seite gerecht wird."

    Eberle beginnt sein Buch sehr stringent, erzählt das Leben Erich Honeckers von dessen Jugend bis zum rasanten Absturz des Politikers, parallel zum Zusammenburch seines Staates im 40. Jahr.

    "Liebe Freunde und Genossen, meine Damen und Herren des diplomatischen Korps, liebe Gäste. Ich bitte Sie, mit mir das Glas zu erheben und zu trinken auf die internationale Solidarität und Zusammenarbeit und das Glück aller Völker, auf den 40. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik."

    Honecker starb 1994 in Chile. Auf weiteren zwei Seiten erfährt der Leser, was nach seinem Tod passierte: Daß es eine Gedenkfeier an der Thälmann-Gedenkstätte in Berlin gab, und daß die KPD eine Trauerfeier auf dem Friedhof der Sozialisten organisierte. Dort wurde dann auch Erich Honeckers Lieblingslied vom Kleinen Trompeter gespielt. Eigentlich scheint jetzt alles gesagt, doch Eberles Buch ist erst auf der Hälfte.

    "Also, ich hab gedacht, ich berichte erst, wie Honeckers Leben abgelaufen ist, relativ schnörkellos, hintereinander weg, so, und dann hab ich mir einige Komplexe herausgenommen, die, so glaube ich jedenfalls, genauere Beleuchtung verdienten. Das ist einmal die Herrschaftstechnik, wie hat Erich Honecker seinen Staat geführt, das ist eine sehr wichtige Sache, finde ich, für einen Diktator. Also, welche Art Regierungsstil, ist er ein Ideologe, ist er kein Ideologe. So, und an welcher Stelle im Lebenslauf hätt' ich das behandeln sollen. Dann eben das mit der Friedenspolitik. Honecker ist in den 60er Jahren durchaus kein Friedenspolitiker. Er möchte die Bundesrepublik haben, und er möchte einmarschieren, und er läßt Flugblätter drucken für besetzte Städte in Westdeutschland. Und in den 80er Jahren ändert sich das, dann hätt' ich sozusagen die Geschichte in den 60er Jahren erzählen müssen und in den 80ern nochmals erzählen müssen. (Das ist sehr sehr schwierig. Also, ich glaube, daß es so nicht funktioniert hätte.) Also, ich hab's probiert, das ging nicht, und dann hab ich alles wieder auseinandergenommen und neu zusammengebaut."

    Das Buch, das so stringent beginnt, wird damit zunehmend zur Sammlung erst persönlicher, dann politischer Anmerkungen in Kapiteln wie: "Was weiß Erich Honecker?, "Herrschaft durch Korruption", "Ideologie", "Rivalen". Erst hier erläutert Eberle Honeckers Herrschaftstechnik:

    "Erich Honeckers Macht, Befehle befolgen zu lassen, ruhte auf zwei Säulen: Partei und Staat. Traditionelle und charismatische Elemente sowie eine Staatsideologie rundeten das ganze ab. Die Partei sollte Motor der Gesellschaft sein. Der Staat garantiert seine Führungsrolle durch ein kompliziertes System abgestufter Gewalt. (...) Es gab real existierende Herrschafts- und Unterstellungsverhältnisse. Tatsächlich waren die Parteisekretäre, Betriebsdirektoren, Verwaltungsangestellten und Offiziere Rückrat des Systems. Inwieweit Erich Honecker derartige theoretische Reflexionen parat hatte, ist nicht bekannt."

    Honecker, der nicht in der Lage war, russisch zu lernen, weil er nicht mal der deutschen Sprache wirklich mächtig war, verstand es wunderbar, auf dieser Klaviatur der Macht zu spielen. Das ist etwas, was man nach der Lektüre von Eberles Buch wirklich verstanden hat.

    "Einmal ist es, das Prinzip der Subsidarität wird immer außer Kraft gesetzt, weil eben die niedere Ebene Dinge nicht entscheiden darf, für die sie eigentlich zuständig ist. Also in der Gemeinde werden praktisch keine Dinge entschieden, aber der Kreis entscheidet praktisch Dinge, die eigentlich Kommunalpolitik sind. Die andere Seite ist, daß er Sachen nicht unbedingt delegiert hat, sondern Leuten vor Ort freie Hand gelassen hat. Das ist was anderes.".

    Honecker griff nur ein, wenn jemand zu mächtig wurde. An vielen Stellen reißt Eberle Themen nur an, läßt den Leser unbefriedigt zurück. So zum Beispiel in dem kurzen Abschnitt über ein Treffen von Bürgermeistern 1987 in Ostberlin. Darunter waren auch die Bürgermeister nahezu aller großen westdeutschen Städte. Gemeinsam überreichten sie dem Potentaten eine Büste des Freiherrn von Stein. Ein Show für Honecker. Da wäre die eine oder andere Nachfrage bei den damaligen Bürgermeistern zum Beispiel aus Hamburg, München oder Köln schon spannend gewesen. Eberle hängt das jedoch nur an einen Unterabschnitt an. Er schreibt, häufig völlig überflüssig, "PS" vor Nachträge, die nicht mal welche sind, sondern direkt zum Abschnitt gehören. Überflüssig auch die Mutmaßung, was Erich Honecker wohl in den FAZ-Fragebogen geschrieben hätte.

    Eberles Buch hat Schwächen und Stärken. Aber es ist eine weitgehend gelungene Annäherung an Honecker - und sie ist undogmatisch, das ist wichtig und nötig. Auch vollzieht Eberle die Wandlungen Honeckers kompetent und schlüssig nach, vom Parteisoldaten bis hin zum Generalsekretär, der nicht gleicher unter gleichen, sondern erster ist. Eberle möchte Denkmuster aufbrechen.

    "Ich glaube, daß man dabei ist, die DDR zu verdrängen, auf der einen Seite zu verklären, und ich denke, wir müssen uns dieser Normalität der Diktatur stellen, in der man einfach gelebt hat und an der man sich beteiligt hat. Und dazu gehört eben auch der Diktator. Und deswegen wollt' ich auch Honecker als Person näher bringen, und das ist aber, da müßte man viel zu viel erklären, wenn man 'n Buch so anfängt, würd's keiner lesen."

    Musik:

    "Schlaf wohl Du kleiner Trompeter, wir waren Dir alle so gut Schlaf wohl, Du kleiner Trompeter, du lustig Rotgardisten Blut..".

    Thomas Franke über Henrik Eberle: Anmerkungen zu Honecker. Erschienen bei Schwarzkopf&Schwarzkopf Berlin, das Paperback ist 285 Seiten stark und kostet 19,80 DM.