Freitag, 29. März 2024

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Henzes "English cat" in Hannover
Korrupte Katzen und malträtierte Mäuse

Am vergangenen Samstag erhielt die Staatsoper Hannover den diesjährigen Preis der Deutschen Theaterverlage für ihre "intensive Pflege des modernen Repertoires". Die Preisverleihung fand passenderweise nach der Premiere der Neuinszenierung von Hans Werner Henzes Oper "Die Englische Katze" statt - ein Werk, das vor 32 Jahren in Hannover zu sehen war.

Von Agnieszka Zagozdzon | 28.11.2016
    Szenenbild von Hans Werner Henzes Oper 'Die englische Katze' in der Neuinszenierung an der Staatsoper Hannover.
    Korrupt und hintertrieben: die Mitwirkenden in Henzes "Englischer Katze" (Thomas M. Jauk / Stage Picture)
    Musik: Henze "Die Englische Katze"
    Die Ratten beschützen - das ist das Anliegen der ehrbaren Katzen der Londoner K.G.S.R., der Königlichen Gesellschaft für den Schutz der Ratten. Minette, eine junge und naive Katze vom Land, kommt in die Großstadt, um den alternden Kater Lord Puff, den angehenden Präsidenten der K.G.S.R., zu heiraten. Doch Minette verliebt sich in den Straßenkater Tom und gerät dadurch in das Netzwerk aus Intrigen und Geldgier der vermeintlich so wohlmeinenden Mitglieder der K.G.S.R..
    Regisseurin Dagmar Schlingmann verzichtete in ihrer Inszenierung auf allzu deutliche Katzenkostüme - nur in den Perücken sind Katzenöhrchen angedeutet und hin und wieder fauchen sich zwei Darsteller an oder putzen sich nach Katzenart. Vielmehr ging Schlingmann der Frage nach dem allzu Menschlichen in den Tieren nach:
    "Die Gesellschaft hier ist eine durchaus sehr triebhafte, sehr egomanische – aber auch eine sehr willkürliche Gesellschaft; ich glaube, die finden sich selbst immer ganz toll und hinterfragen auch gar nichts. Aber letztendlich sind sie alle korrupt und böse bis in die Knochen – und da kommt natürlich das Tier dann auch raus. Die Jagd aufs Geld ist hier natürlich ein Riesenthema in der Oper; aber auch diese Willkürlichkeit – das finde ich sehr bezeichnend - und ich glaube, das hat auch ein bisschen mit den Katzen zu tun."
    Gesellschaftliche Schieflage
    In der angedeuteten Guckkastenbühne ist die Umgebung durchaus katzengerecht ausgestattet: es gibt jede Menge Kissen zum Spielen und Schlafen und sogar einen naturbelassenen Kratzbaum. Doch die Schieflage dieser Guckkastenbühne zeigt: hier liegt einiges im Argen. Denn anstatt sich um die leidenden Ratten und Mäuse zu kümmern, geben die Katzen der K.G.S.R. die gesammelten Spendengelder lieber für ihre eigenen Zwecke aus. Und wird das Geld mal wieder knapp, dann zerren sie aus dem schäbigen Keller die Waisenmaus Louise heraus, die dann die herzzerreißende Geschichte ihrer von einem Kater gefressenen Familie vortragen muss, bevor sie mit der Sammelbüchse herumgeht.
    "Was man merkt, ist, dass es eine kapitalistische Gesellschaft ist, weil das Geld hier wahnsinnig im Vordergrund steht. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen: das ist die Religion im Stück, das wird angebetet – es ist der einzige Gott, den diese Gesellschaft noch hat. Ich glaube, darin liegt auch der Bezug zu Heute; dass man das Gefühl hat, dass diese Gesellschaft sich nicht mehr lange wird halten können. Das ist auch im Werk drin: durch die Maus Louise, die am Schluss kommt und man schon das Gefühl hat, es gibt noch eine andere Kraft, die sich jetzt entfaltet und die auch eine Gefahr werden kann - oder bereits ist - für diese sehr egomanische und korrupte Gesellschaft."
    Im Anschluss an die Premiere von Hans Werner Henzes Oper "Die englische Katze" wird in der Staatsoper auf offener Bühne der diesjährige Preis der Deutschen Theaterverlage überreicht.
    Das Ensemble der "Englischen Katze" nach der Preisverleihung. (Frank Wilde)
    Die Entstehung des Werks
    Inspiriert wurde Hans Werner Henze zu dieser Oper durch eine Kurzgeschichte von Honoré de Balzac, in der eine junge Katze ihre Erlebnisse in einer bürgerlich-vornehmen, jedoch durch und durch skrupellosen englischen Katzengesellschaft schildert. Zusammen mit dem englischen Dramatiker und Librettisten Edward Bond schuf Henze daraus eine bissige politische Satire, die 1983 bei den Schwetzinger Festspielen unter Henzes Regie uraufgeführt wurde; im Jahr darauf stand "Die Englische Katze" zum ersten Mal auf dem Spielplan der Staatsoper Hannover.
    In musikalischer Hinsicht wurde Henze damals kritisiert, weil er in der "Englischen Katze" nicht nur mit modernen Mitteln arbeitete, sondern auch Zitate und Anspielungen z.B. auf populäre Tänze wie Tango und Walzer brachte und die Musik sich auch sonst eher situativ und die Figuren unterstreichend verhält. Doch genau das erleichtert den Zugang zu diesem Werk, findet der 1. Kapellmeister Mark Rohde:
    "Ich glaube nicht, dass man Angst davor haben sollte – ganz im Gegenteil. Die Musik malt die Charaktere unglaublich gut, und es ist so, dass jede Figur nicht nur ein Leitmotiv hat, sondern es ist ein wahres Füllhorn an Charakteren, die einer Figur jeweils zugeordnet sind. Es sind ganz viele, kleine Bausteine und ich glaube, das erleichtert beim Hören auf jeden Fall den Zugang zu der Musik sehr; weil selbst wenn man nicht Alles wirklich bewusst wahrnimmt – irgendwas kriegt man mit."
    Musik: Henze "Die Englische Katze" - Tango
    Bariton Matthias Winckhler verkörpert den charmanten Straßenkater Tom, der durch seine Liebe zur jungen Minette in die Fänge der skrupellosen K.G.S.R. gerät und schließlich darin umkommt. Wie alle anderen Beteiligten auch hatte Matthias Winckhler keine Vorerfahrung mit seiner Rolle. Neben der Herausforderung, diese anspruchsvolle Partie in einigen Wochen einzustudieren, machte sich Winckhler vor der Premiere auch Gedanken darüber, wie das Publikum auf dieses so lange nicht gespieltes Werk wohl reagieren würde:
    "Das Problem, das ich bei solchen Stücken manchmal sehe ist, dass wenn man das lange einstudiert und sich lange damit beschäftigt, dann ist das in dem Körper drin und man beginnt die Musik zu verstehen. Und wenn man das vorher nicht hat, dann kriegt man all diese Eindrücke auf einen Schlag. Es gibt Ensembleszenen wo zwölf Leute gleichzeitig singen und wo es schwierig ist, das zu verfolgen. Das ist bei solchen Stücken immer das Problem, das ich sehe – aber ich glaube, dass die Inszenierung sehr schön und sehr, sehr klar ist und auch die Sachen, die man dem Publikum übermitteln möchte, sehr gut heraushebt. "
    Bravos für "Englische Katze"
    In der Tat feierte das Publikum am Premierenabend alle Beteiligten mit lautstarken "Bravo"-Rufen. Herausragend vor allem: Sopranistin Ania Vegry, die die höchst schwierige Partie der Minette phänomenal und scheinbar mühelos bewältigte.
    Musik: Henze "Die Englische Katze" - Cavatina
    Eine hervorragende musikalische und schauspielerische Leistung des gesamten Sängerensembles unter der souveränen Leitung von Dirigent Mark Rohde, in einer Inszenierung, die sowohl verständlich als auch unterhaltsam die ganze inhaltliche Tiefe dieses Werks demonstrierte - die jahrzehntelange Warterei auf diese Neuinszenierung von Henzes "Englischer Katze" hat sich auf jeden Fall gelohnt.