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Herausforderung Währungskrise

Die Ungewissheit war groß, als Deutschland am Mittwoch erneut an den Kapitalmarkt ging, um fünf Milliarden Euro einzusammeln. Eigentlich Routine, aber nach der letzten misslungenen Auktion deutscher Staatsanleihen war doch die Frage: Gelingt Deutschland die mühelose Refinanzierung auch in Zukunft? Wie wird es bei den anderen EU-Staaten laufen? Was geschieht, wenn die Beschlüsse des EU-Gipfels - so sie denn gefasst werden - viel zu langsam für die Finanzbedürfnisse der Staaten umgesetzt werden? Diesen Fragen ging unmittelbar vor dem Gipfel das hochkarätig besetzte ZinsFORUM in Frankfurt am Main nach.

Von Michael Braun |
    Einer, der dabei wäre auf dem Gipfel heute, wenn er noch in der Regierung wäre, einer, der in der ersten Phase der Finanzkrise den Kollaps verhindert hat, Peer Steinbrück also, der frühere Bundesfinanzminister, der schaut mit Schaudern auf die Zeit nach dem Gipfel. Dass heute und morgen gewichtige Beschlüsse gefasst werden, dass Haushaltsdisziplin in automatisierten Prozessen erzwungen und nationale Souveränität nach Europa abgegeben werden soll, das alles findet er richtig. Nur - die Umsetzung dauere lange. Neu Verträge müssten her. Und diese Zeit zwischen altem und neuem Regime, zwölf Monate vielleicht, die treibt ihn um:

    "Was passiert in diesen zwölf Monaten, wenn die Flucht aus diesen Staatsanleihen immer weitergeht, wenn die Nervosität der Märkte zunimmt, wenn die Ratingagenturen weiter mit ihren Daumenhaltungen versuchen, über das europäische Geschehen zu bestimmen ? Wenn selbst Deutschland in den Strudel kommt? Wenn die innere Kohäsion dieser Europäischen Währungsunion leer leerläuft? Dafür gibt es bisher keine Antwort. Keine Antwort."

    So Steinbrück heute auf dem ZinsFORUM in Frankfurt. Gemach, sagen erfahrene Beobachter des Kapitalmarktes, wie Norbert Walter, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Wenn keine Antwort formuliert werde, heiße das nicht, dass es keine Antwort gebe. Er glaube, so Walter, dass die Regierungen in Paris und Berlin sich lieber Dummheit vorwerfen lassen würden, als ihre heimliche Hoffnung hinauszuposaunen:

    "Ich glaube, dass dafür zwar keine Lösungen vorliegen, aber dass man natürlich weiß, dass dann unglücklicherweise ein großer Druck auf die einzige Institution, die sofort liefern kann, entsteht, nämlich die Europäische Zentralbank. Und dass man diesen Druck nicht benennt, weil das wiederum als Einmischung in die Unabhängigkeit der EZB erschiene, das ist selbstverständlich, wenn Politiker klug sind. Ich vermute, da sind einige klüger, als die derzeitigen Debatten vermuten lassen."

    Andere Möglichkeiten wären: Dem Rettungsfonds EFSF doch eine Banklizenz zu geben, damit er sich Geld ohne Ende bei der Zentralbank leihen, damit Staatsanleihen kaufen und die dann als Sicherheit bei der EZB einreichen kann. Oder direkter: gemeinschaftliche Anleihen, also Eurobonds. Steinbrück nannte alle diese Möglichkeiten schlechte Möglichkeiten. Nur dazwischen könne die Politik auswählen.

    Es gibt aber auch die positive Variante beim Blick auf die künftigen Finanzierungsmöglichkeiten der Staaten: die einfache, die selbstverständliche, die Möglichkeit nämlich, sich am Kapitalmarkt Geld zu beschaffen. Kai Carstensen, Konjunkturexperte beim Münchner ifo Institut, rechnet in seinem sogenannten Basisszenario damit, dass die Reformpläne von Merkel und Sarkozy auf dem Gipfel angenommen werden, der Schritt hin zu einklagbarer verbindlicher Haushaltsdisziplin also gelingt. Das würden die Märkte mit Normalisierung belohnen:

    "Und dieser Normalisierungseffekt wird bedeuten, dass die Anleihepreise für deutsche zehnjährige Anleihen wieder etwas sinken. Wir habend das ja aktuell zeitweise auch schon gesehen, dass am langen Ende offensichtlich wieder etwas umgeschichtet wurde in Richtung italienischer Anleihen beispielsweise. Noch mal: Gegeben das Szenario, es wird besser, dass wir dann im Laufe des kommenden Jahres wieder leicht steigende Renditen für Bundesanleihen sehen und im gleichen Ausmaß leicht sinkende oder zumindest nicht weiter steigende Renditen für italienische Bonds beispielsweise."

    Heute waren die Märkte zu Vorschusslorbeeren dieser Art aber nicht bereit. Die Rendite für zehnjährige italienische Staatsanleihen, die Anfang der Woche unter 5,9 Prozent gefallen war, stellt sich heute auf 6,1 Prozent. Vergleichbare deutsche Papiere werfen 2,1 Prozent ab. Solche Renditeunterschiede, also Risikounterschiede, werden auf absehbare Zeit wohl zu Europa gehören.