Ich könnte mir momentan gar nicht vorstellen, allein zu leben. Hier im Wohnheim werden so viele Aktivitäten angeboten. Das gefällt mir. Es ist nicht wie in den Vorstädten, es gibt keinen Stress. Alle Leute verstehen sich irgendwie. Na gut, manchmal gibt es auch Probleme, aber das kriegt man irgendwie hin. Hier ist eine schöne Atmosphäre, finde ich.
Valéry Roullier steht auf und geht Billard spielen. Seit zwei Jahren lebt er in dem Wohnheim. Da hatte er seine Tischlerlehre angefangen. Valéry hat immer in Heimen gewohnt. Zunächst in einem Internat für lernschwache Kinder, später in einem Lehrlingswohnheim. Er fährt jedes Wochenende nach Hause, auf den Bauernhof seiner Eltern, eine gute Stunde von Rennes entfernt.
Valéry nimmt sich einen Queue. Azize baut die Kugeln auf. Der 26-Jährige arbeitet auf dem Bau. Er kenne nicht viele Franzosen, sagt er, meist sei er mit algerischen Freunden zusammen. Azize würde gern allein leben, findet aber keine Wohnung. Ein Appartement auf dem freien Wohnungsmarkt kann er sich nicht leisten. Seit Monaten hofft Azize auf eine Sozialwohnung am Stadtrand. Doch die Wartelisten bei den städtischen Wohnungsunternehmen sind lang.
Man reicht seine Unterlagen ein und dann heißt es zwei Jahre warten. Eine Warteliste von zwei Jahren! Rennes ist eine Studentenstadt, die Studenten schnappen alle Wohnungen weg. Studenten kriegen sofort was, aber für jemanden wie mich, der wegen der Arbeit kommt, ist es schwierig.
Azize ist vor anderthalb Jahren nach Rennes gekommen. Von einem Tag auf den anderen hatte er Arbeit gefunden und brauchte dringend ein Zimmer. Das Wohnheim habe ihm aus der Klemme geholfen, sagt Azize. Für seine 10 Quadratmeter zahlt er 260 Euro - ein guter Preis in einer Stadt wie Rennes. Alle drei Wochen wird in dem Heim die Bettwäsche gewechselt, Frühstück und Mittagessen gibt es in der Kantine, das kostet aber extra. Es gibt auch eine Gemeinschaftsküche. 150 Leute leben in dem Wohnheim, betreut von drei Sozialarbeitern. Die veranstalten Zeichenkurse, organisieren das Fußballtraining oder gehen mit den Jugendlichen ins Theater. Sie wollen den jungen Menschen eine Familie bieten, sagt Jean-Yves Richard, einer der Sozialarbeiter. Der kleine, agile Mann trägt Jeans und T-Shirt. Seit 14 Jahren arbeitet er in dem Heim:
Viele junge Leute sehnen sich nach einer sozialen Struktur. Hier im Wohnheim bekommen sie Hilfe und Unterstützung, wenn sie sie brauchen. Wir helfen arbeitslosen Jugendlichen zum Beispiel bei der Jobsuche, begleiten sie zu Ämtern und Behörden und stellen den Kontakt zu Beratungsstellen her.
Es leben jedoch längst nicht mehr nur Arbeiter oder Lehrlinge im Wohnheim. Sie würden viel Wert auf eine soziale Mischung legen, sagt Jean-Yves Richard. Mittlerweile wohnen dort auch Ingenieure und junge Ärzte, Schlosser, Bäcker und Verkäuferinnen, ausländische Praktikanten. Alle, die billigen Wohnraum brauchen.
Die Bewohner haben so die Möglichkeit, eine andere Welt kennen zu lernen. Sie treffen Menschen, denen sie im Leben nie begegnet wären. Weil sie eben nicht denselben Beruf haben. Diese Erfahrung ist sehr bereichernd.
Céline Védrine kommt ins Foyer. Sie ist 26 Jahre alt, hat rot lackierte Fingernägel und geschminkte Lippen. Ein Drittel der Bewohner sind Frauen. Céline Védrine weiß noch nicht, wie lange sie in Rennes bleiben wird. Zunächst hat die Verkäuferin einen Vertrag für drei Monate bekommen, aber das Leben ohne die Familie fällt ihr schwer. Gäbe es nicht die Sozialarbeiter, dann hätte Céline längst ihre Koffer gepackt.
In meiner Familie sind wir uns alle sehr nahe. Ich bin ein wenig einsam hier. Die ersten Wochen ging es mir gar nicht gut. Aber die Betreuer waren hinreißend. Wenn einen das Heimweh überkommt und man niemanden hat, der einem den Kopf gerade rückt, dann packt man die Koffer und haut einfach ab.