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Hermann: LKW sollten rundum mit Winterreifen ausgestattet werden

Der Grünen-Politiker Winfried Hermann hat Verkehrsminister Peter Ramsauer Halbherzigkeit bei der Verschärfung der Wintervorschriften für LKW und Busse vorgeworfen. Man sehe jetzt, dass Winterreifen nur für die Antriebsachse auf verschneiten Straßen nicht ausreiche.

Winfried Hermann im Gespräch mit Dirk Müller | 20.12.2010
    Dirk Müller: Sie kennen alle das Gefühl, im eigenen Wagen zu fahren auf der Autobahn und höllisch aufpassen zu müssen, denn neben ihnen, vor oder hinter ihnen fährt ein LKW, meistens zu schnell, immer sind es zu viele und viele der Brummifahrer nehmen keine besondere Rücksicht. Es werden jedes Jahr immer mehr LKW auf den deutschen Straßen. Tausende von Staus gehen auf Unfälle mit LKW zurück, oder auf liegen gebliebene Großfahrzeuge. Und jetzt auch noch das: Winterwetter und die Lastkraftwagen blockieren vielerorts die Autobahnen stundenlang, stehen kreuz und quer, kommen die Anhöhe nicht hoch, verursachen Unfälle – dieses Wochenende auf der A1, auf der A2, auf der A3, auf der A9 und so weiter. Winterreifenpflicht für alle ja, aber nicht ganz, nicht ganz jedenfalls für die Brummis. Die LKW müssen lediglich Winterreifen auf den Antriebsachsen haben.

    Das Leid mit den LKW, darüber sprechen wollen wir nun mit dem Grünen-Politiker Winfried Hermann, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. Guten Morgen!

    Winfried Hermann: Guten Morgen!

    Müller: Herr Hermann, wie lange geht der Albtraum LKW noch?

    Hermann: Das kann ich auch nicht voraussagen, denn ich bin auch kein Wetterfrosch. Aber erkennbar ist, dass wir noch längere Zeit Winter haben, und es wird auf jeden Fall eines deutlich, dass Speditionen und auch LKW-Fahrer ungenügend darauf vorbereitet sind, dass die LKW nicht richtig ausgerüstet sind, denn wenn LKW über die Leitplanken rutschen und nicht mehr steuerbar sind, dann ist erkennbar: Es reicht nicht aus, wenn die Antriebsachse Winterreifen hat, sondern es muss mindestens auch auf den Vorderachsen, wo gelenkt wird, genauso ein Winterreifen sein. Hier war das Ministerium mit seiner Vorschrift absolut halbherzig und jetzt haben wir den Salat.

    Müller: Wie kommt denn jemand auf die Idee, das nicht umfassend umzusetzen?

    Hermann: Na ja, man hat doch sehr stark den Eindruck, dass das Ministerium den Schreien der Lobby sofort gefolgt ist, es wäre zu teuer, wenn man alle LKW mit Rundum-Winterreifen ausrüsten würde. Das war ein großer Fehler. Bei den PKW-Fahrern hat man ja auch nicht gesagt, na ja, vielleicht nur bei den Antriebsreifen oder Antriebsachsen, sondern man hat gesagt, komplett, und das ist, finde ich, das mindeste, was LKW brauchen, denn LKW sind offenkundig – das ist ja auch in Ihrem Bericht sehr deutlich geworden – ein hohes Gefährdungspotenzial, schwer zu steuern bei glatten und witterungsbedingten, schneebedingten Rutschverhältnissen. Und weil sie dann auch so viel blockieren und einen ökonomischen Schaden für andere anrichten, deswegen finde ich es durchaus angemessen zu sagen, die müssen wirklich besser ausgerüstet werden.

    Müller: Hat Peter Ramsauer das alles nicht so richtig verstanden in der Debatte?

    Hermann: Ich glaube, er war halbherzig. Er war nur halb mutig. Er schimpft zwar jetzt auf die Opposition, die angeblich ihn behindert hätte. Das stimmt aber nicht. Wir haben das alle begrüßt, dass er die Winterreifenpflicht bei PKW eingeführt hat. Das war gut, das zeigt sich jetzt auch.

    Müller: Da haben Sie ja auch mitgemacht?

    Hermann: Das habe ich auch begrüßt. Wir haben das ja im Bundestag nicht beschlossen. Das ist ja Regierungshandeln, was wir kommentieren, was dann im Bundesrat noch mit den Ländern abgestimmt wird, aber wir haben das nicht im Bundestag beschlossen.

    Und was ich auch noch finde: Es ist halbherzig, wenn man zulässt, dass die Reifen wie M&S ohne Zertifikate sind, sodass zum Teil Reifen unter die Etikette fallen, die nicht wirklich wintertauglich sind und, wie der ACE zurecht hinweist, wenn man 1,6 Profiltiefe zulässt noch als tauglich, dann hat man natürlich auch keinen Winterreifen mehr. Also hier gibt es wirklich noch Nachbesserungsbedarf und ich füge hinzu, ich finde, man hat jetzt die Bußgelder erhöht, aber das ist für PKW vielleicht eine Drohung, wenn man 80 Euro zahlen muss im Höchstfall, aber wenn LKW, wo wirklich mehrere hunderttausend Euro im Jahr mit umgesetzt werden, wenn die gerade mal 80 Euro abdrücken müssen, wenn sie keinen Winterreifen haben, dann ist das einfach keine wirkliche Bedrohung. Da muss die Sanktion deutlich höhergeschraubt werden.

    Müller: Könnten Sie denn den Satz so unterschreiben, dass die deutschen Spediteure die deutsche Verkehrspolitik und damit die Verkehrssicherheit maßgeblich beeinflussen?

    Hermann: Ich glaube zumindest, dass sie es versuchen. Am Ende muss die Politik selber entscheiden und es zeigt sich, ob die Politik mutig ist, oder ob sie jedem Lobbyschrei nachgibt. Aber ich will auch noch mal eines dazu sagen: Man darf nicht alles von der Politik erwarten. Es gibt eine ganz eindeutige Regel in der Straßenverkehrsordnung. Alle müssen angepasst fahren, alle müssen sich vorbereiten, alle müssen Rücksicht nehmen und vorsichtig sein. Insofern haben Spediteure per se schon mal eine Verantwortung und die LKW-Fahrer wie die PKW-Fahrer auch und man muss sich in solchen Zeiten eben halt auch darauf einstellen, dass nicht alles funktioniert, dass es schwierig ist, aber man kann nicht nur sozusagen auf Gesetze und Regeln und Verordnungen schielen, sondern man hat auch eine klare eigene Verantwortung.

    Müller: Fahren Sie denn, Herr Hermann, als grüner Verkehrspolitiker auch Auto?

    Hermann: Meine Familie hat ein Auto, ich selber meide das Autofahren, wenn es irgendwie geht. Aber wir sind gut ausgerüstet. Wir haben auch eine gute Firma, die uns regelmäßig daran erinnert, wenn Winter kommt, uns einen Service-Termin anbietet zum Reifenwechsel. Das ist zum Beispiel was, was Autofahren hilft. Das ist serviceorientiertes vorsorgliches Verhalten.

    Müller: Jetzt sagen ja die meisten PKW-Fahrer zumindest, jetzt haben wir den Winter, das ist eine ganz besondere Situation, das ist ganz besonders schlimm. Aber LKW im Sommer sind genauso schlimm.

    Hermann: Ja. Wir haben ein Problem mit eben zu viel LKW-Verkehr, und deswegen kämpfen wir seit Jahren auch für eine Verlagerung auf das Schienennetz. Dazu müsste man aber endlich bei der Schienenpolitik was ändern. Wir konzentrieren nach wie vor die großen Investitionsmilliarden auf unsinnige Projekte wie "Stuttgart 21", Hochgeschwindigkeitsstrecken wie die Neubaustrecke nach Ulm, die abartig teuer sind, Milliarden schlucken und dem Güterverkehr nichts bringen. Wenn wir wirklich eine Verlagerung haben wollen, müssten wir eine 10- bis 15jährige Offensive in den Schienengüterverkehr starten und Projekte, die vor allen Dingen dem Güterverkehr dienen, auch dem kombinierten Verkehr. Da müssten wir investieren. Dann hätten wir eine Chance auf Verlagerung. Aber so laufen wir immer noch weiter in den alten Spuren, verschwenden das Geld auf den falschen Trassen.

    Müller: Dann gehen wir, Herr Hermann, noch mal auf die Politik und auf die Möglichkeiten der Politik ein. Ist das im Moment die richtige Zeit - wir reden ja jetzt von einem Chaoswinter -, um Kleiderschränke aus Bulgarien nach Kiel zu transportieren?

    Hermann: Natürlich stellt sich dann auch immer wieder die Frage, auch für jeden einzelnen, ob er auf die Autobahn geht, oder zum Flughafen, muss das jetzt wirklich sein, oder kann ich es wirklich verschieben, und natürlich wird an solchen Tagen auch sichtbar, dass wir quasi versuchen, die Welt so zu organisieren, dass das Wetter und die Natur keine Rolle mehr spielt, und sind dann bass und erstaunt, dass es doch noch Wetter gibt und Natur, die wir nicht besiegt haben. Da finde ich schon auch, ist ein bisschen Demut angesagt und auch ein bisschen Zurückhaltung, indem man eben nicht alles selbstverständlich erwartet, sondern auch, ohne jetzt irgendwas entschuldigen zu wollen, was nicht getan wurde, dass man sich darauf einstellt.

    Müller: Könnten noch mehr Fahrverbote für LKW in solchen Situationen helfen?

    Hermann: Also sagen wir, wenn die Autobahn erkennbar kaum zu meistern ist, dann sind Fahrverbote ...

    Müller: Ist sie ja im Moment!

    Hermann: ... , dann sind Fahrverbote auf jeden Fall angemessen. Das ist richtig. Was keinen Sinn macht, das ist, dass man die Autofahrer sozusagen in das Chaos fahren lässt. Dann kommen die nicht mehr runter und stehen dann in einem kilometerlangen Stau. Hier wird erkennbar, dass unsere Informationssysteme nicht richtig funktionieren, ob das jetzt auf dem Flughafen, oder auf der Autobahn, oder auf dem Bahnhof ist. Viele Leute laufen, rennen, fahren ins Chaos, erfahren hinterher dann auch nicht, wie es weitergeht. Hier müssten sowohl seitens der Verkehrsmittelanbieter bessere Informationsleistungen geboten werden und Menschen müssen sich, wenn sie sich in Verkehrssysteme an solchen Tagen begeben, gründlich vorher informieren und dürfen nicht einfach wie Lemminge sozusagen in der Schlange, in den Stau und ins Chaos fahren.

    Müller: Schneekettenpflicht wird aus der SPD gefordert. Wie sieht das bei Ihnen aus?

    Hermann: Ich habe auch gesagt, LKW sollten im Winter pflichtmäßig Schneeketten mit sich führen, was nicht heißt, dass sie die dauernd angeschnallt haben sollen, sondern nur in Ausnahmesituationen, dass sie überhaupt die Chance haben, rauszukommen, wenn sie nicht mehr weiterkommen. Da würde ich vorschlagen, die anschnallen, wenn die Verkehrsbehörde das vorschreibt. Es gibt ja bergige Strecken, wo das auch heute schon immer wieder vorgeschrieben wird, oder wo man nur reinfahren darf oder rauffahren darf, wenn man Schneeketten angelegt hat.

    Müller: Und mehr Streugut für den nächsten Winter würde Deutschland auch nicht schaden?

    Hermann: Ja! Man sieht beim Streugut, man sieht bei allem, dass wir nicht wirklich gut vorbereitet sind. Es ist manchmal wirklich absolut lächerlich, wenn man dann hört, alle sind vom Winter überrascht, obwohl es tagelang vorher von den Wetterberichten angekündigt wurde. Das gehört auch dazu, dass wirklich alle sich rechtzeitig auf den Winter vorbereiten, einstellen, von der Straßenbehörde bis zur kommunalen Ordnungsbehörde, die rechtzeitig dafür sorgen muss, dass genügend Geräte, genügend Menschen da sind, die das machen können. Das gilt auch für die Bahn, die müsste rechtzeitig dann halt zusätzlich Arbeitskräfte einstellen, die eben halt auch mal räumen können oder eine Weiche freifegen können. In den letzten Jahren hat man in vielen Bereichen sehr viel gespart, unter dem Motto "schlanker Staat" und "outsourcen von Kräften". Die Bahn hat sich auf den Börsengang vorbereitet und das hat bedeutet, am Material, am Personal, an Vorsorge gespart, und das rächt sich bitter.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Grünen-Politiker Winfried Hermann, Vorsitzender des Bundestagsverkehrsausschusses. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hermann: Danke auch.
    Winfried Hermann, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag (Bündnis90 / Die Grünen)
    Winfried Hermann, umweltpolitischer Sprecher der Grünen (winnehermann.de)