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Hernach. Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth.

Heutzutage bleibt von unserer Liebe kaum Schriftliches übrig. Fotos werden wir haben, Videoaufnahmen vielleicht, aber Briefe? - Wer druckt schon seine E-Mails aus? 1954 war das anders. Da bekamen junge Frauen so etwas zu lesen:

Julia Schröder | 07.10.2001
    Süsses, liebstes Menschlein, so jetzt bin ich in Deinem Zimmer mit diesen Worten ein bischen drin, liege erst auf dem Tisch aus Eschenholz u(nd) dann wahrscheinlich mit Dir auf dem Bett, wenn Du sie liest, lass Dich von ihnen küssen u(nd) streicheln u(nd) die Haarsträhne aus den Schläfen streichen u(nd) du weißt, was noch alles sie tun möchten. Dich liebt immer - Dein G.

    G., das war ein Mann Ende sechzig, Gottfried Benn, einer der "Großen Alten" deutscher Dichtung seinerzeit, Poeta laureatus, Büchner-Preisträger und in mancherlei Hinsicht der anstößigste deutsche Autor jenes anstößigen zwanzigsten Jahrhunderts, das wir gerade hinter uns gebracht haben. Sein erster Auftritt als Schriftsteller, 1912, mit der Sammlung "Morgue und andere Gedichte", machte Epoche und Skandal, löste Verehrung und Abscheu aus. Als Denker und Zoon politicon verirrte er sich schwer, indem er sich 1933 nur kurz, aber heftig mit dem "Dritten Reich" einließ. Und als Mensch war er ein Erwachsenenleben lang geneigt, sich dem anderen nur unter Vorbehalt, mit einer gewissen Rückversicherung und Reserve zu nähern, dauernd bereit, sich zurückzuziehen, die eigene Person zu mystifizieren, die wahren Verhältnisse zu verschleiern: lauter Verhaltensweisen, die nicht geeignet sind, den berühmten Dichter als edle oder auch nur sympathische Natur erscheinen zu lassen.

    "Der andere" - für Benn war das oft "die andere", die Frau, und dies gern in der Mehrzahl. "Gute Regie ist besser als Treue", so sein vielzitiertes Motto, was die Beziehungen nicht nur zum anderen Geschlecht angeht; der Bremer Unternehmer Oelze, Benns bedeutendster Briefpartner durch 25 Jahre, wird leicht zusammengezuckt sein, als er dies zu lesen bekam. Denn auch Oelzes Verhältnis zu Benn war für diesen nicht selten Anlass, mit gewissen Regietricks das Wohlwollen des empfindlichen Freundes zurückzugewinnen und zu erhalten, das er mit vielfältigen Regisseursmachinationen zuweilen aufs Spiel setzte.

    "Benn und die Frauen" jedenfalls ist ein immer wieder gern aufgeschlagenes Kapitel in dieser äußerlich so wenig bewegten Biografie des Dichter-Arztes. Der schrieb als junger Mann Verse wie "eine Frau ist etwas für eine Nacht/und wenn es schön war, noch für die nächste". Seine Geliebten pflegte er mit dem Bekenntnis zu empören, ihm sei die Frau "ein Gegenstand", wie eine kostbare Vase etwa. Auch die Wahl seiner Ehefrauen war kaum vom Wunsch beseelt, sich mit einer ebenbürtigen Partnerin zu verbinden; die erste heiratete er, weil sie von ihm ein Kind erwartete, bei der zweiten und der dritten begründete er die Eheschließung vor allem mit haushälterischen Notwendigkeiten. Wenn Zuneigung, gar Liebe, mit ins Spiel geriet, um so besser. Dafür waren ohnedies eher die Freundinnen, die Geliebten zuständig, die Benn sich neben den Ehefrauen - und oft neben einander - gestattete.

    Gottfried Benns Briefe an die junge Geliebte seiner beiden letzten Lebensjahre, die jetzt unter dem Titel "Hernach" erschienen sind, werden bereichert und kontrastiert mit Ursula Ziebarths Erinnerungen an das, was zwischen August 1954 und Juli 1956 sich abspielte, sogenannte Nachschriften der heute 80-Jährigen, verfasst 45 Jahre nach Benns Tod, sehr "hernach" also. "Long, long ago", lang ist's her, könnte man mit einer wiederkehrenden Benn-Floskel sagen, aber "Hernach" ist zum Anlass geworden, dass in diesen Tagen in den Frauen-Kapiteln des Bennschen Lebensbuchs wieder hektisch herumgeblättert wird. Es fällt auf, dass es bisher lauter Männer sind, die sich kritisch zum Thema Benn und Ziebarth haben vernehmen lassen. Die seltsame Kritikererregung drückt sich in Begriffen wie "Peinlichkeit der Saison" und - da haben wir's wieder - "Skandal" aus. Dabei ist es nicht das Verhalten des damals fast 70-jährigen Gottfried Benn, was den Zorn der Herren auf sich zieht, sondern die Frechheit des Fräulein Ziebarth, die sich angeblich an den großen Dichter "heranknete".

    Aber von vorn. Am 5. August 1954 schreibt Benn an Ursula Ziebarth, die bei einem Besuch in Berlin telefonisch wegen einer Lesung bei ihm angefragt hatte, seinen ersten Brief, den ersten von 250. Man verabredet sich zum Eisessen, er schickt Nelken, sie findet ihn unterhaltsam. Sie, geboren und aufgewachsen in Berlin, ist nach ihrem Studium ins Künstlerdorf Worpswede gezogen, und als sie kurz nach dem ersten Treffen dorthin zurück fährt, begleitet er sie und bleibt für ein paar Tage. Es ging dann wohl alles sehr schnell. "Liebste Ursula, süßer Mensch", so fängt der erste Brief an, den er ihr nach seiner Rückkehr aus Berlin schreibt. Es ist der 17. August 1954. Man kennt sich seit zwölf Tagen. Gottfried Benn ist 68, Ursula Ziebarth 33 Jahre alt.

    Von da an schreibt er ihr jeden Tag, nicht selten zwei-, dreimal. Allein an daran ist die Intensität der Beziehung zu ermessen, eine Intensität, die am Ende rätselhaft bleibt. Wenn die Fotos in dem Band nicht trügen, war Ursula Ziebarth damals ein ganz nettes Fräulein, das sich gern existenzialistenschwarz kleidete, das dunkle Haar unordentlich hochgesteckt, mit einem etwas schiefen Lächeln und offenem Blick - weder ein unbedarftes junges Ding von knospender Sinnlichkeit, noch die verhängnisvoll-verführerische Femme fatale. Oelze gegenüber macht Benn, kaum hat es mit der "süssen Ursel" geklappt, kein Hehl daraus, welchen Nutzen er aus seiner neuen Affäre zu ziehen gedenkt: Er schreibt davon,

    ... dass es einen sehr berührt, wenn man als alter Mann überhaupt noch auf ein inneres Entgegenkommen bei reizvollen jungen Frauen stösst, auf eine Berührung der Sphären, zu denen natürlich auch die Erotik gehört, die aber etwas ganz anderes bewirken und bedeuten, nämlich eine Art Bewegung affektiver Schichten, die einen für eine Weile fortführen von Erstarrung, Müdigkeit, Fettwerden, Ranzigwerden - von all diesen Dingen, in die ich geraten war und aus denen ich hier kein Entkommen sah.

    Was Schriftsteller sonst begeistert, intime Kenntnis des Werks nämlich, hatte Ziebarth nicht vorzuweisen; Benn muss sie irgendwann leicht gereizt belehren, in welcher Sammlung sie sein wichtiges "Orpheus"-Gedichte finde, und als er ihr seine Rede über "Goethe und die Naturwissenschaften" zu lesen gibt - in der Tat ein Schlüsselwerk, das Oelze zum Benn-Adepten machte -, ist sie zu seinem Amüsement ganz erstaunt:

    Was den Goethe-Aufsatz angeht, so war deine Bemerkung (...): ,das soll mein Spätzchen geschrieben haben?' sehr aufschlussreich. Du hältst mich im Grunde für do(o)f. Ich habe das schon öfter bemerkt.

    Dazu kam, dass ihre Vorstellung vom guten Leben der seinen in praktisch jeder Hinsicht entgegengesetzt war. Er fühlte sich am wohlsten in der Metropole, sie hing an ihrem Worpswede, an "Heide und Moor", wie er es Oelze umschrieb, an den Originalen, die dieses von Kunsthandwerk durchwebte Dörfchen bevölkerten, an ihrem einfachen Lebensstil mit kaltem Wasser vom Brunnen, während ihm ein Dasein ohne Dusche nicht haltbar vorkam. Schon im ersten Brief nach der ersten Worpsweder Begegnung im Sommer 54 beschwört er sie:

    Höre: Du musst dein Leben ändern. (...) Du kannst nicht in den jetzigen Verhältnissen weiter leben. Du deklassierst deinen Rang.

    Eine Vorhaltung, die Ziebarth bis heute nicht begreifen kann. In ihren Nachschriften, mit denen sie auf Benns Briefe reagiert, macht sie deutlich, was ihr wichtiger gewesen wäre als äußerer Luxus: Sie wollte auf Dauer keine heimliche Geliebte sein, was immer wieder zu Auseinandersetzungen führte.

    Warum hatte ich so scharf geschrieben? Weil ich gegen eine Rolle revoltierte, in die Benn mich drängte.

    Das war der Grund für sich wiederholende Kräche, denen immer Versöhnungen folgten, für ihre Vorwürfe, die er mit Misstrauen und Eifersucht beantwortete:

    Es ist natürlich Donnerstag u(nd) da kommt Dein Brief, den du lieber nicht hättest schreiben sollen (...) Ich sehe daraus nur wieder, dass Du zwar immer von Liebe sprichst, aber sie doch nicht so groß ist, meinen Bitten zu entsprechen. Es ist das alte Lied: Du, Deine Stimmungen, Deine Affekte beherrschen Dich vollkommen, - der Mann ist nicht gut dran, der auf Dich rechnet u(nd) Dir vertraut.

    Ursula Ziebarths Briefe an Gottfried Benn sind verloren; man darf vermuten, dass seine Witwe Ilse Benn sie vernichtet hat. Es war eine sinnvolle Entscheidung des Verlags, sich auf Ziebarths Bedingung einzulassen, Benns Briefe nur mit ihren Nachschriften zu veröffentlichen. Seine Briefe, die sie säuberlich mit Umschlägen und durchnummeriert 45 Jahre lang in einem Kästchen in ihrer Berliner Wohnung aufgehoben hatte, sind so persönlich, dass sie allein mit dem wissenschaftlichen Kommentar kaum zu verstehen gewesen wären, auch wenn Jochen Meyer, der Leiter der Handschriftenabteilung des Deutschen Literaturarchivs Marbach, diesen gewohnt akribisch besorgt hat.

    Das unterscheidet die Briefe an Ziebarth etwa von denen an den Bremer Freund Oelze. Nur sie kann wissen, dass Benns selbstgewählter Spitzname "Kazü" von "Kaninchenzüchter" kommt; die Spießigkeit eines solchen hatte sie ihm gelegentlich unterstellt. Er dafür schrieb ihr:

    Sei doch nicht so ein Vagabonde und Pennbruder, gewöhne Dich doch ein bischen an civile Verhältnisse.

    Ziebarth meint heute dazu:

    Natürlich, wer nicht pünktlich isst, ist eine Vagabonde, wer gar gelegentlich mit Vergnügen auf einer Luftmatratze schläft, ein ,Pennbruder', ganz klare Sache, und wer nicht fähig ist, in einem Schlafsack auf einer Luftmatratze zu schlafen, wenn es mal nötig ist, und sich deswegen schon deklassiert fühlen würde, hat nicht so sehr viel Klasse. Das ist auch eine klare Sache.

    Man muss nicht alles brennend interessant finden, was der alten Dame "hernach" zu der Zeit mit Benn eingefallen ist. Aber wie nebenbei entsteht ein Bild der Zeit, als junge Leute, um Geld zu sparen, mit dem Milchwagen mitreisten, um billig von Bremen nach Berlin zu kommen. Und es entsteht ein Bild von Benns letzten Lebensjahren aus der Perspektive hinter den repräsentativen Kulissen, die er um sich aufgebaut hatte. Ursula Ziebarth war dabei, wenn er, der große Dichter, ohne Mikrofon vor überfülltem Saal in Elberfeld lesen musste, sie bekam es stärker noch als Oelze ab, wenn er sich seines Ranges im Literaturbetrieb jener Jahre wieder und wieder vergewissern musste.

    Und noch aus einem anderen Grund hat dieser Dialog über Jahrzehnte hinweg etwas hoch Spannendes. Ein Toter kann sich nicht mehr wehren, natürlich. Aber es geht Ziebarth zumeist nicht darum, sich auf Benns Kosten wichtig zu machen. Und selbst wenn es so wäre: ihren Zwischentexten ist immer anzumerken, wie sich da eine Frau um Selbstbehauptung über die Grenzen des Lebens hinaus müht. Sie tut gar nicht so, als wäre sie die perfekte Geliebte und Seelenfreundin gewesen. In beidem, seinen Briefen und ihren Nachschriften, wird klar, dass sich in ihrer Begegnung zwei Sphären berührten, die einander fremder nicht sein konnten.

    Benns Selbst- und Weltbild hatte sich zwischen dem Tod der Mutter 1912 und dem Ende des ersten Weltkriegs entscheidend geformt - in den Jahren vor Ziebarths Geburt. Sie wiederum gehörte einer Generation mit verlorener Jugend an, die in den fünziger Jahren noch längst nicht allen Trümmerstaub aus den Kleidern geschüttelt hatte. Die Sicherheit und Behaglichkeit des äußeren Lebens, die ihm so wichtig waren, hatten für sie keine Bedeutung. Abenteuerliche Herzen waren beide, aber jeder auf seine Weise. Ursula Ziebarth wollte die Welt erfahren, unabhängig sein, keinen Ballast mit sich tragen. Später, als sie es sich leisten konnte, hat sie bis ins hohe Alter allein die exotischsten Gegenden bereist, und bis heute wohnt sie in einer Einzimmerwohnung voller Sammlerstücke aus fernen Ländern. Die Leere, das Nichts, künstlerisches Hauptproblem für Benn, war und ist für Ziebarth existenziell keins. Was sie nicht einsah: für seine Ausschweifungen des Geistes brauchte Benn den äußeren Frieden, sein Tor zur Welt war die Staatsbibliothek.

    Es spricht Bände, dass Ziebarth in einer Nachschrift neben Benns Gedicht "Reisen", das mit den berühmten Zeilen "Meinen Sie Zürich zum Beispiel/ sei eine tiefere Stadt" beginnt, ein gleichnamiges aus ihrer Feder stellt. Seinem Fazit "Ach, vergeblich das Fahren" setzt sie die Aufforderung "Fahren und sich nicht bewahren" entgegen. Da war im Grunde keine Verständigung möglich.

    Doch für eine Weile scheint auch in diesem Fall die Liebe alles besiegt zu haben. Er ist verletzt und fühlt sich unverstanden, will sich trennen und nennt sie doch immer wieder sein "Ponny", sein "Pusselchen", "liebstes Wieselchen" und "bezaubernde Zigeunerin", er grüßt als "Kazü", "Pummi" und "altes Nashorn". Auf einer der wenigen kurzen Reisen, die sie zusammen unternehmen, wenn er sozusagen geschäftlich irgendwo zu tun hat, zieht er eine vorläufige Bilanz ihrer gefährdeten, eigentlich unhaltbaren Beziehung - Zärtlichkeit, Leidenschaft, Verzweiflung, ordentlich aufgelistet:

    1) Sage Dir bitte Folgendes: noch nie in meinem langen Leben habe ich eine Frau so zärtlich, so rücksichtsvoll geliebt wie Dich. 2)Jeden Augenblick bin ich mir der Schwierigkeiten Deiner inneren und äusseren Lage bewusst (...) 3) Alles, was ich manchmal gegen Dich sage, ist Quatsch. Ich muss Dir dankbar sein u(nd) bin es, dass Du mir erlaubst, dich zu halten u(nd) in Dein Herz zu sehn. 4)Deine Natur ist an vielen Punkten anders als meine Natur. Aber lieben heißt, den andern mit all seinen Fremdheiten, Andersartigkeiten, ja Schwierigkeiten hinnehmen u(nd) ertragen müssen. Ich weiß im Augenblick auch nicht, was aus uns werden soll (...) Aber ich weiß, dass ich in Deinen Armen, dass du in meinen Armen an der richtigen Stelle ruhst . (...) Es gibt tragische Lagen.

    Dann kommen noch ein paar Vorhalte und als Punkt neun der Bilanz:

    Manchmal bin ich betroffen davon, dass Du niemals angedeutet hast, dass Dir die geistige Begegnung mit mir irgendwas bedeutet.

    Das kann Ziebarth so nun auch nicht stehen lassen:

    Dass er Andeutungen von mir über die Bedeutung der geistigen Begegnung mit ihm vermisste, fand ich geradezu komisch. Gewiss habe ich gesagt: ,Was denkst du denn, weshalb ich die üble Rolle der verheimlichten Frau, die mir so gar nicht liegt, auf mich nehme?

    In der Tat, hier liegt der Hund begraben. Warum hat sie es auf sich genommen, warum hat er seinen mindestens ebenso schmerzlichen Part bis zum Ende gespielt? Was hat der eine im andern gesehen?

    Ursula Ziebarth, und das ist das dann doch Beachtliche an Benns Beziehung zu ihr, gehört eindeutig nicht in den "Zyklus der opferungsverdächtigen Frauen", den Klaus Theweleit bei Benn ausgemacht hat, diesen Dunstkreis von Damen, die für "Doppelrollen, Geheimverwendungen und mythenverbundene Missbräuche" in Frage kommen. In ihren Ansprüchen begegnete Benn einer ebenso rebellischen wie fordernden Frau, die er überhaupt nicht verstehen konnte und wollte. Er nimmt an, sie sei zu jung, um das Alleinsein auszuhalten, sie findet es unnatürlich, dass man sich so selten sieht. Er glaubt an bürgerliche Normen nicht, sie nimmt die Theorie für die Praxis und versteht nicht, dass er sich um ihrer beider Ruf sorgt. Er, gewohnt, zum Weib zu gehen und nur die Kunst im Kopf zu haben, trifft auf sie, die für sich jemand sein will und doch Konsequenz gegen alle Konventionen fordert - was ihn ebenso sehr reizt wie schreckt:

    Wenn ich jetzt mit Dir lange Zeit, 1 - 2 Monate, zusammen wohnen würde, ginge meine Berliner Existenz in die Brüche, meine gewissermassen labile stabile Ehe löste sich auf. Können wir das übernehmen?

    Es klingt nicht sehr verständnisinnig, und soll es wohl auch nicht, wenn Ursula Ziebarth dazu bemerkt:

    Benn hatte völlig recht, seine Häuslichkeit hätte ich ihm nie ersetzen können. Das Risiko, seine labil-stabile Ehe aufs Spiel zu setzen, konnte er unmöglich eingehen. Ich war kein Ersatz für eine Ehefrau. Das ist eine Rolle mit Pflichten, die ich auch später im Leben nie übernommen habe.

    So blieb es dann: Gottfried labil-stabil in der Bozener Straße mit Ilse, die mittlerweile dazu übergegangen war, sich anderweitig schadlos zu halten. Ein paar Straßen weiter, nach berufsbedingtem Umzug nach Berlin, Ursula - Gottfrieds nachmittäglicher Besuche harrend, wenn Ilse ihre Zahnarztpraxis öffnete.

    Den paar Leuten gegenüber, die von dem Verhältnis mit Ziebarth gewusst hatten, machte er weis, sie hätten keinen Kontakt mehr. So funktionierte dann auch das Doppelspiel, das für Benn habituelle Doppelleben wieder. Aber was heißt schon "wieder"? Es hatte immer funktioniert; einer anderen jungen Frau, bei der er allerdings erotisch nicht zum Zuge gekommen war - der Kölner Lyrikern Anne Claes - wie auch Oelze gegenüber hatte er sich über Ziebarth ausgelassen, ihr wiederum irgendwelche Halbwahrheiten über Claes erzählt und sich von Oelze distanziert, wenn es ihm opportun schien. Heute, hernach, weiß Ursula Ziebarth Bescheid - und zieht ausgesprochen weise Schlüsse daraus:

    Mir ist der Gedanke unlieb, dass Benn an ebendiesem Schreibtisch, an dem wir nebeneinander saßen, auch Briefe mit abträglichen Bemerkungen über mich geschrieben hat, von denen ich nach seinem Tod erfuhr. Seltsame Absicherungsmanöver - jedoch er war so, handelte sub specie aeternitatis nicht gut, und hätte ich vorher gewusst, was ich hernach erfuhr, es hätte sich nie eine Beziehung zwischen uns entwickelt (...) Wie gut, dass wir ohne Vorauswissen sind, nicht hinter jeden Paravent schauen können (...) Was machen schon ein paar abträgliche Sätze?

    Die Liebe und die Kunst sind durchaus zwei schöne Dinge, nur ist es ein Irrtum anzunehmen, sie machten den Menschen automatisch besser. Gottfried Benns Briefe an Ursula Ziebarth sind Zeugnisse eines spannungsreichen Mit- und Gegeneinanders zweier sehr unterschiedlicher Menschen, Zeugnisse auch des letztlich scheiternden Versuchs, die Herausforderung Frau mal wieder ästhetisch in den Griff zu kriegen. Das an Benn interessierte Publikum ist mit der Form, in der sie jetzt erschienen sind, gut bedient. Die ganze Wahrheit aber enthalten sie nicht.