Das sozialistische Kuba, die rote Insel direkt vor der Haustür der USA, das ist eine permanente Herausforderung für die Regierenden in Washington. Und so scheuen sie denn keine Kosten und Mühen, um Kuba zu unterminieren, zu destabilisieren, um das Castro-Regime in der Welt zu isolieren. Es herrscht Krieg - Ätherkrieg gegen Kuba. Der Sender Radio Martí - eine Einrichtung der amerikanischen Auslandspropaganda - ist nur ein Instrument von vielen, das den Anti-Castro-Kräften den Rücken stärkt. Hauptoperationsbasis dieser Kräfte ist Miami im US-Bundesstaat Florida. "Originalton Miami" daher auch der Titel eines Buches, das sich mit den Umtrieben kubanischer Exilpolitiker und ihrer amerikanischen Schirmherren auseinandersetzt.
Sprechen wir zunächst einmal über Miami. Nein, nicht über Miami Beach mit seinem wunderbaren Strand und den Hunderten und einander auch übertreffenden Hotels, sondern über die am Westufer der Biscayne Bay liegende Stadt, die dem größten Badeplatz der USA ihren Namen gab: Vor noch gut vierzig Jahren nicht aufregender als ein entsprechend großer Ort irgendwo im Mittleren Westen, ist sie längst eine wild pulsierende, laute und hektische und geschäftige Stadt geworden, unsicher auch, gefährlich, konfliktträchtig, doch ebenso leichtlebig, fröhlich und vielfarbig. Miami sei mittlerweile zur "Hauptstadt Lateinamerikas" geworden, sagte der ecuadorianische Präsident Roldos schon 1979, und dieses Prädikat ist seither nur immer aufs neue bestätigt worden. Eine erstaunliche, eine bespiellose Entwicklung. Und ausgelöst, forciert wurde sie durch die kubanische Revolution und den Machtantritt Fidel Castros Anfang 1959. Der stetig auf- und abschwellende Strom von Flüchtlingen von der Zuckerinsel brandete gleichsam gegen die nahe Küste Floridas, und der Großraum Miami nahm - und nimmt noch immer - dessen größten Teil auf. Wo ehedem nur einige Handvoll Puertoricaner und Haitianer die "Hispanic" genannte Bevölkerung ausmachten und eine untergeordnete Rolle spielten, bestimmen heute Kubaner wesentlich die kommunale und regionale Politik, besetzen sie führende Positionen in Banken und Handelsunternehmen. Kubaner machen einen guten Teil der Rechtsanwälte, Ärzte und Lehrer in Miami aus, sie stellen den relativ größten Teil der Arbeiterschaft in der Stadt und ihrer Umgebung. Allenthalben betritt man Geschäfte, Restaurants und Kaffeestuben, die von ihnen geführt werden; und nahe dem Zentrum Miamis kann man sich in einem "Little Havanna" genannten Viertel tatsächlich wie in die kubanische Hauptstadt versetzt fühlen. Ja, und auch dies: Wer in Florida Gouverneur und in den USA Präsident werden möchte, hat sich den Kubanern als Wählern zuzuwenden - den Amerikanern kubanischer Herkunft. Und es nimmt gewiss nicht wunder, dass die ehemaligen Flüchtlinge und deren Nachkommen von den zur Wahl stehenden Politikern eine gegen das Regime in Havanna gerichtete und harte Sprache hören wollen. Indessen - sind die Kubano-Amerikaner damit auch bereit, sich gegen das System in ihrer früheren Heimat zu engagieren? Warten sie nur auf eine Chance, Castro und sein System zu stürzen, einen Umschwung aktiv zu betreiben, womöglich in der Art des Invasionsversuchs in der Schweinebucht anno '61? Wer sich ein wenig in der kubanischen Szene Miamis auskennt, findet solche Fragen eher weltfremd-lächerlich. Reden wir nun über ein Buch. Es hat den Titel "Originalton Miami" und beschäftigt sich mit jenen Teilen der kubanischen Emigration...
"... die dort unter humanitärer Flagge und US-Protektion Gewehr bei Fuß stehen".
So steht es auf dem Buchdeckel - nur als Metapher? Vielleicht. Denn die Autoren, der kolumbianische Journalist Hernando Calvo Ospina und seine belgische Kollegin Katlijn Declerq, räumen ja einerseits ein, dass es einen humanitären Druck auf Kuba gibt, andererseits aber werden sie nicht müde, von "Konterrevolution" und "Aggression" zu schreiben, die von Miami ausging. Ihnen mangelt es freilich an ebenso ernstzunehmenden wie herausragenden Repräsentanten der politischen Emigration, die sie zum Beleg wirksamer Bemühungen um einen Umsturz auf Kuba zitieren könnten. Ihre "Originaltöne Miami" beziehen sie aus sieben Interviews mit Kubanern, denen ein halbes Dutzend Protokolle mit Nicht-Kubanern angefügt ist, mit einer Ausnahme, mit Europäern; und jene Ausnahme bildet eine kurze Unterhaltung mit Wayne Smith, dem ehemaligen Chef der Interessenvertretung der USA in Havanna, die zugleich eine der interessantesten und aufschlussreichsten Passagen in dem Buch darstellt. Im übrigen sind die 275 Seiten voller Kommentare, die aus der Autoren Verbundenheit mit dem kubanischen Sozialismus so wenig ein Hehl machen wie aus ihrem Bedauern über den Zusammenbruch des Sowjetsystems in Osteuropa. Ein Beispiel: Die Menschenrechtspolitik der USA sowie die Anmahnung dieser Rechte durch andere Staaten und Organisationen wird von den beiden Autoren als ...
"... minutiöse und kalkulierte Kampagne ..."
... bezeichnet, als strategisches Mittel zur Destabilisierung des Castro-Regimes.
"Ein großer Glücksfall für diese Strategie war der Zusammenbruch des Ostblocks in den ausgehenden 80er Jahren. Jedermann erwartete, dass Cuba jetzt, da es nicht mehr auf diese Partner zählen konnte, isoliert in der Karbik Schiffbruch erleiden würde. Das konnte nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten sein. Aber nichts dergleichen geschah. Obwohl die Schaffung und Förderung aller Arten von gegen den cubanischen Staat gerichteten Organisationsgruppen im Destabilisierungsplan schon immer eine wesentliche Rolle spielte, verdreifachte sich jetzt deren Zahl. Sie waren alle mit der Weisung versehen, hauptsächlich die Menschenrechte auf ihre Fahnen zu schreiben. Die US-Strategen und ihre Verbündeten hatten deren Wirkung schon erprobt."
Nach Ansicht der beiden Autoren in Osteuropa und in der Sowjetunion. Sie schreiben, beim Zusammenbruch des dortigen Systems spielten ...
"... die sogenannten unabhängigen Organisationen ... eine herausragende Rolle. An erster Stelle die Menschenrechtsgruppen und die Presseagenturen, denen jeden Tag großer Raum in den Massenmedien auf der ganzen Welt eingeräumt wurde. Heute, da in diesen Ländern bei der Mehrheit der Bewohner der Mangel regiert und die Mafiosi an der Macht sind, gibt es eine umfangreiche Literatur, die es uns erschließt, wie diese Organisationen von den Westmächten, allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika, beraten und bezahlt wurden."
Nun wissen wir also, wodurch der osteuropäische Sozialismus zugrunde ging und wie es jetzt um die Länder steht. Und wir wissen, wieviel stabiler, also auch besser der kubanische Sozialismus ist und funktioniert, scheiterte doch - bislang jedenfalls - die amerikanische Strategie an ihm. Kommentare dieser Art sind jedem Interview vorangestellt, und das wohl nicht zuletzt, weil die Gespräche in aller Regel nicht die These der Autoren bestätigen, Kuba sei einer ständigen "Aggression" und "konterrevolutionärer" Aktivitäten ausgesetzt. Nehmen wir die Unterhaltung mit Ramón Cernuda, dem Auslandsvertreter der Koordinierungsstelle der Menschenrechtsorganisationen auf Kuba. Cernuda meint:
"Ich streite nicht ab, dass Cuba ausgezeichnete Ergebnisse in der Gesundheit, der Erziehung und im Sport hatte. Doch nicht die Lehrer, die Ärzte oder die Sportler waren dafür verantwortlich. Es war die Regierung mit ihren staatlich-totalitären Vorstellungen. Aber das, was war, ist kaputt, denn dieses Modell entspricht nicht mehr den Notwendigkeiten. Und deswegen muss die Regierung jetzt einen ausgehandelten Übergang beginnen. Mit wem soll dieser Übergang ausgehandelt werden? Zwischen der Regierung und der ganzen Bevölkerung. Denn ich werde Ihnen ganz ehrlich etwas sagen: Die Opposition in Cuba, das ist weder Fisch noch Fleisch. Es existiert keine Opposition, die die Regierung in Gefahr bringt. Es besteht eine chaotische Situation oder eine Situation mit einem chaotischen Potential innerhalb der cubanischen Gesellschaft. Aber in keinem Augenblick habe ich von realen Kräften gesprochen, die den Staat in Gefahr bringen, weil es die einfach nicht gibt. - Es gibt eine Handvoll Leute, die, von ihren Menschenrechtsaktivitäten ausgehend, eine Opposition geschaffen haben. Erwarten Sie keine sofortigen Umwandlungen. Das kann langsam gehen. Es ist möglich, dass das zehn Jahre dauert oder mehr, aber man sieht es Schritt für Schritt."
Und während die beiden Verfasser des Buches unentwegt den Gedanken nahelegen, Miami sei das Zentrum der "Konterrevolution", in dem jeder Kubaner ständig mit der Vorstellung lebe, die Insel von Castro und seinem Regime zu befreien, widerlegt sie Ramón Cernuda mit der Feststellung:
"Die Mehrheit des Exils hat sich aus der politischen Debatte ausgeklinkt. In Miami gibt es ungefähr eine Million zweihunderttausend Cubaner. Und wie viele davon sind politisch aktiv? Fünfzigtausend? Der Rest lebt sein Leben, kümmert sich um seinen Lebensunterhalt. Diejenigen, die Verwandte auf der Insel haben, bemühen sich, ihnen etwas Geld zu schicken."
Wahrscheinlich ist auch die Zahl 50.000 noch zu hoch gegriffen, abgesehen davon, dass die politisch aktive Emigration recht zersplittert ist. Die zwei Autoren wissen sie auch nicht als geschlossen auftretende Macht zu beschreiben; ohnehin zehren sie mehr von Aktionen in der Vergangenheit als gegenwärtigen. Für das Heute bleiben ihnen als "konterrevolutionäre" und "aggressive" Unternehmungen nur Radio- und Fernsehsendungen, dazu das Helms-Burton-Gesetz, mit dem die USA 1996 das Handelsembargo gegen Kuba verschärften und dabei auch Sanktionen gegen das Ausland androhten, sowie die finanzielle Unterstützung der USA für Emigrantenorganisationen. Nun ließe sich über die amerikanische Kuba-Politik seit Castros Machtantritt im Januar 1959 allerhand Kritisches schreiben und sagen. Sie war - und sie ist - eher grobschlächtig und arrogant denn intelligent und einfühlsam; und während der vergangenen vier Jahrzehnte war sie auch nicht konsequent. Nur: Mit Ausnahme der - allerdings nur halbherzig gewährten - Unterstützung des Schweinebucht-Abenteuers war sie in dem von den beiden Autoren beschriebenen Sinne nie vergleichbar mit einem Krieg, nie wirklich "aggressiv" oder auch nur "konterrevolutionär". Wayne Smith, während der Präsidentschaft Carters wesentlich, an Konzeption und Durchführung der Politik gegenüber Kuba beteiligt, wird in dem Buch mit den Worten zitiert, Kuba erzeuge in Washington ...
"... den gleichen Effekt wie der Vollmond bei den Wölfen: Es ist eine Obsession. Zuerst einmal die Persönlichkeit Fidel Castros: Er forderte die grösste Macht der Welt heraus und gewann. Er ist dabei, neun unserer Präsidenten zu überleben ..."
Von Eisenhower bis Clinton gezählt; der zehnte wäre der gegenwärtige: George Bush. Und eine ähnliche Zwangsvorstellung löste die Tatsache aus, dass eine kleine Insel im vermeintlich uramerikanischen "backyard" politische Wege ging, die denen der USA diametral entgegengesetzt verlaufen. Aber das vorliegende Buch analysiert weder die Politik Washingtons noch analysiert und seziert es das kubanische Exil in Miami. Es ist nichts weiter als der Versuch, durch Interviews einen vermeintlich authentischen Nachweis zu führen, welchem "konterrevolutionärem" Bemühen der edle Sozialist Castro und das sozialistische Musterland Kuba ausgesetzt sind. Und wo das angesichts der intellektuellen und politischen Defizite der Gesprächspartner nicht recht gelingen will, wird kommentiert, geklittert und polemisiert. Man kennt das Muster und ist ganz schnell verstimmt: So hielten es Massenmedien einst in Moskau und Prag, Sofia und Ost-Berlin. Verstimmt? Nein, richtig verärgert ob der über Lektüre und Rezension vertanen Zeit.
Dietrich Möller über Hernando Calvo Espina und Katlijn Declerq: Originalton Miami. Die USA, Kuba und die Menschenrechte, PapyRossa Verlag, Köln 2001.
Sprechen wir zunächst einmal über Miami. Nein, nicht über Miami Beach mit seinem wunderbaren Strand und den Hunderten und einander auch übertreffenden Hotels, sondern über die am Westufer der Biscayne Bay liegende Stadt, die dem größten Badeplatz der USA ihren Namen gab: Vor noch gut vierzig Jahren nicht aufregender als ein entsprechend großer Ort irgendwo im Mittleren Westen, ist sie längst eine wild pulsierende, laute und hektische und geschäftige Stadt geworden, unsicher auch, gefährlich, konfliktträchtig, doch ebenso leichtlebig, fröhlich und vielfarbig. Miami sei mittlerweile zur "Hauptstadt Lateinamerikas" geworden, sagte der ecuadorianische Präsident Roldos schon 1979, und dieses Prädikat ist seither nur immer aufs neue bestätigt worden. Eine erstaunliche, eine bespiellose Entwicklung. Und ausgelöst, forciert wurde sie durch die kubanische Revolution und den Machtantritt Fidel Castros Anfang 1959. Der stetig auf- und abschwellende Strom von Flüchtlingen von der Zuckerinsel brandete gleichsam gegen die nahe Küste Floridas, und der Großraum Miami nahm - und nimmt noch immer - dessen größten Teil auf. Wo ehedem nur einige Handvoll Puertoricaner und Haitianer die "Hispanic" genannte Bevölkerung ausmachten und eine untergeordnete Rolle spielten, bestimmen heute Kubaner wesentlich die kommunale und regionale Politik, besetzen sie führende Positionen in Banken und Handelsunternehmen. Kubaner machen einen guten Teil der Rechtsanwälte, Ärzte und Lehrer in Miami aus, sie stellen den relativ größten Teil der Arbeiterschaft in der Stadt und ihrer Umgebung. Allenthalben betritt man Geschäfte, Restaurants und Kaffeestuben, die von ihnen geführt werden; und nahe dem Zentrum Miamis kann man sich in einem "Little Havanna" genannten Viertel tatsächlich wie in die kubanische Hauptstadt versetzt fühlen. Ja, und auch dies: Wer in Florida Gouverneur und in den USA Präsident werden möchte, hat sich den Kubanern als Wählern zuzuwenden - den Amerikanern kubanischer Herkunft. Und es nimmt gewiss nicht wunder, dass die ehemaligen Flüchtlinge und deren Nachkommen von den zur Wahl stehenden Politikern eine gegen das Regime in Havanna gerichtete und harte Sprache hören wollen. Indessen - sind die Kubano-Amerikaner damit auch bereit, sich gegen das System in ihrer früheren Heimat zu engagieren? Warten sie nur auf eine Chance, Castro und sein System zu stürzen, einen Umschwung aktiv zu betreiben, womöglich in der Art des Invasionsversuchs in der Schweinebucht anno '61? Wer sich ein wenig in der kubanischen Szene Miamis auskennt, findet solche Fragen eher weltfremd-lächerlich. Reden wir nun über ein Buch. Es hat den Titel "Originalton Miami" und beschäftigt sich mit jenen Teilen der kubanischen Emigration...
"... die dort unter humanitärer Flagge und US-Protektion Gewehr bei Fuß stehen".
So steht es auf dem Buchdeckel - nur als Metapher? Vielleicht. Denn die Autoren, der kolumbianische Journalist Hernando Calvo Ospina und seine belgische Kollegin Katlijn Declerq, räumen ja einerseits ein, dass es einen humanitären Druck auf Kuba gibt, andererseits aber werden sie nicht müde, von "Konterrevolution" und "Aggression" zu schreiben, die von Miami ausging. Ihnen mangelt es freilich an ebenso ernstzunehmenden wie herausragenden Repräsentanten der politischen Emigration, die sie zum Beleg wirksamer Bemühungen um einen Umsturz auf Kuba zitieren könnten. Ihre "Originaltöne Miami" beziehen sie aus sieben Interviews mit Kubanern, denen ein halbes Dutzend Protokolle mit Nicht-Kubanern angefügt ist, mit einer Ausnahme, mit Europäern; und jene Ausnahme bildet eine kurze Unterhaltung mit Wayne Smith, dem ehemaligen Chef der Interessenvertretung der USA in Havanna, die zugleich eine der interessantesten und aufschlussreichsten Passagen in dem Buch darstellt. Im übrigen sind die 275 Seiten voller Kommentare, die aus der Autoren Verbundenheit mit dem kubanischen Sozialismus so wenig ein Hehl machen wie aus ihrem Bedauern über den Zusammenbruch des Sowjetsystems in Osteuropa. Ein Beispiel: Die Menschenrechtspolitik der USA sowie die Anmahnung dieser Rechte durch andere Staaten und Organisationen wird von den beiden Autoren als ...
"... minutiöse und kalkulierte Kampagne ..."
... bezeichnet, als strategisches Mittel zur Destabilisierung des Castro-Regimes.
"Ein großer Glücksfall für diese Strategie war der Zusammenbruch des Ostblocks in den ausgehenden 80er Jahren. Jedermann erwartete, dass Cuba jetzt, da es nicht mehr auf diese Partner zählen konnte, isoliert in der Karbik Schiffbruch erleiden würde. Das konnte nur noch eine Frage von Wochen oder Monaten sein. Aber nichts dergleichen geschah. Obwohl die Schaffung und Förderung aller Arten von gegen den cubanischen Staat gerichteten Organisationsgruppen im Destabilisierungsplan schon immer eine wesentliche Rolle spielte, verdreifachte sich jetzt deren Zahl. Sie waren alle mit der Weisung versehen, hauptsächlich die Menschenrechte auf ihre Fahnen zu schreiben. Die US-Strategen und ihre Verbündeten hatten deren Wirkung schon erprobt."
Nach Ansicht der beiden Autoren in Osteuropa und in der Sowjetunion. Sie schreiben, beim Zusammenbruch des dortigen Systems spielten ...
"... die sogenannten unabhängigen Organisationen ... eine herausragende Rolle. An erster Stelle die Menschenrechtsgruppen und die Presseagenturen, denen jeden Tag großer Raum in den Massenmedien auf der ganzen Welt eingeräumt wurde. Heute, da in diesen Ländern bei der Mehrheit der Bewohner der Mangel regiert und die Mafiosi an der Macht sind, gibt es eine umfangreiche Literatur, die es uns erschließt, wie diese Organisationen von den Westmächten, allen voran die Vereinigten Staaten von Amerika, beraten und bezahlt wurden."
Nun wissen wir also, wodurch der osteuropäische Sozialismus zugrunde ging und wie es jetzt um die Länder steht. Und wir wissen, wieviel stabiler, also auch besser der kubanische Sozialismus ist und funktioniert, scheiterte doch - bislang jedenfalls - die amerikanische Strategie an ihm. Kommentare dieser Art sind jedem Interview vorangestellt, und das wohl nicht zuletzt, weil die Gespräche in aller Regel nicht die These der Autoren bestätigen, Kuba sei einer ständigen "Aggression" und "konterrevolutionärer" Aktivitäten ausgesetzt. Nehmen wir die Unterhaltung mit Ramón Cernuda, dem Auslandsvertreter der Koordinierungsstelle der Menschenrechtsorganisationen auf Kuba. Cernuda meint:
"Ich streite nicht ab, dass Cuba ausgezeichnete Ergebnisse in der Gesundheit, der Erziehung und im Sport hatte. Doch nicht die Lehrer, die Ärzte oder die Sportler waren dafür verantwortlich. Es war die Regierung mit ihren staatlich-totalitären Vorstellungen. Aber das, was war, ist kaputt, denn dieses Modell entspricht nicht mehr den Notwendigkeiten. Und deswegen muss die Regierung jetzt einen ausgehandelten Übergang beginnen. Mit wem soll dieser Übergang ausgehandelt werden? Zwischen der Regierung und der ganzen Bevölkerung. Denn ich werde Ihnen ganz ehrlich etwas sagen: Die Opposition in Cuba, das ist weder Fisch noch Fleisch. Es existiert keine Opposition, die die Regierung in Gefahr bringt. Es besteht eine chaotische Situation oder eine Situation mit einem chaotischen Potential innerhalb der cubanischen Gesellschaft. Aber in keinem Augenblick habe ich von realen Kräften gesprochen, die den Staat in Gefahr bringen, weil es die einfach nicht gibt. - Es gibt eine Handvoll Leute, die, von ihren Menschenrechtsaktivitäten ausgehend, eine Opposition geschaffen haben. Erwarten Sie keine sofortigen Umwandlungen. Das kann langsam gehen. Es ist möglich, dass das zehn Jahre dauert oder mehr, aber man sieht es Schritt für Schritt."
Und während die beiden Verfasser des Buches unentwegt den Gedanken nahelegen, Miami sei das Zentrum der "Konterrevolution", in dem jeder Kubaner ständig mit der Vorstellung lebe, die Insel von Castro und seinem Regime zu befreien, widerlegt sie Ramón Cernuda mit der Feststellung:
"Die Mehrheit des Exils hat sich aus der politischen Debatte ausgeklinkt. In Miami gibt es ungefähr eine Million zweihunderttausend Cubaner. Und wie viele davon sind politisch aktiv? Fünfzigtausend? Der Rest lebt sein Leben, kümmert sich um seinen Lebensunterhalt. Diejenigen, die Verwandte auf der Insel haben, bemühen sich, ihnen etwas Geld zu schicken."
Wahrscheinlich ist auch die Zahl 50.000 noch zu hoch gegriffen, abgesehen davon, dass die politisch aktive Emigration recht zersplittert ist. Die zwei Autoren wissen sie auch nicht als geschlossen auftretende Macht zu beschreiben; ohnehin zehren sie mehr von Aktionen in der Vergangenheit als gegenwärtigen. Für das Heute bleiben ihnen als "konterrevolutionäre" und "aggressive" Unternehmungen nur Radio- und Fernsehsendungen, dazu das Helms-Burton-Gesetz, mit dem die USA 1996 das Handelsembargo gegen Kuba verschärften und dabei auch Sanktionen gegen das Ausland androhten, sowie die finanzielle Unterstützung der USA für Emigrantenorganisationen. Nun ließe sich über die amerikanische Kuba-Politik seit Castros Machtantritt im Januar 1959 allerhand Kritisches schreiben und sagen. Sie war - und sie ist - eher grobschlächtig und arrogant denn intelligent und einfühlsam; und während der vergangenen vier Jahrzehnte war sie auch nicht konsequent. Nur: Mit Ausnahme der - allerdings nur halbherzig gewährten - Unterstützung des Schweinebucht-Abenteuers war sie in dem von den beiden Autoren beschriebenen Sinne nie vergleichbar mit einem Krieg, nie wirklich "aggressiv" oder auch nur "konterrevolutionär". Wayne Smith, während der Präsidentschaft Carters wesentlich, an Konzeption und Durchführung der Politik gegenüber Kuba beteiligt, wird in dem Buch mit den Worten zitiert, Kuba erzeuge in Washington ...
"... den gleichen Effekt wie der Vollmond bei den Wölfen: Es ist eine Obsession. Zuerst einmal die Persönlichkeit Fidel Castros: Er forderte die grösste Macht der Welt heraus und gewann. Er ist dabei, neun unserer Präsidenten zu überleben ..."
Von Eisenhower bis Clinton gezählt; der zehnte wäre der gegenwärtige: George Bush. Und eine ähnliche Zwangsvorstellung löste die Tatsache aus, dass eine kleine Insel im vermeintlich uramerikanischen "backyard" politische Wege ging, die denen der USA diametral entgegengesetzt verlaufen. Aber das vorliegende Buch analysiert weder die Politik Washingtons noch analysiert und seziert es das kubanische Exil in Miami. Es ist nichts weiter als der Versuch, durch Interviews einen vermeintlich authentischen Nachweis zu führen, welchem "konterrevolutionärem" Bemühen der edle Sozialist Castro und das sozialistische Musterland Kuba ausgesetzt sind. Und wo das angesichts der intellektuellen und politischen Defizite der Gesprächspartner nicht recht gelingen will, wird kommentiert, geklittert und polemisiert. Man kennt das Muster und ist ganz schnell verstimmt: So hielten es Massenmedien einst in Moskau und Prag, Sofia und Ost-Berlin. Verstimmt? Nein, richtig verärgert ob der über Lektüre und Rezension vertanen Zeit.
Dietrich Möller über Hernando Calvo Espina und Katlijn Declerq: Originalton Miami. Die USA, Kuba und die Menschenrechte, PapyRossa Verlag, Köln 2001.