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"Herr Lehmann" auf der Bühne

Ein Popmusiker, der uns erklärt, dass Popmusik dumm sei – das hat was. Sven Regener, der Leadsänger von "Element of Crime", hat solche Schoten auf Lager. Und dann dichtet er unsterbliche Zeilen wie diese: "Ihr Herz ist kalt wie ein gefrorenes Hühnchen, ihre Schönheit überzuckert von Gewalt". Das soll cool sein, aber aus jeder Ritze dieser Pseudo-Ironie lugt der Kitsch heraus.

Von Christian Gampert | 13.03.2004
    Mit "Element of Crime" ist Sven Regener bekannt geworden, mit dem "Herrn Lehmann" hat er sein Romandebüt gegeben, leider ein ziemlich triviales Debüt. Denn es gehört nur wenig Originalität dazu, die linke Kreuzberger Idylle, die versoffene Langhaarigen-Kultur der 80iger Jahre gehörig durch den Kakao zu ziehen. Der einzige Kniff besteht darin, dass hier auf einmal das Spießertum der Linken enttarnt wird.

    Die lakonische Selbstironie, mit der das geschildert ist, hat das Buch zum Kassenschlager werden lassen. Ein Szene-Roman: da ist einer von uns, der der apathisch schwätzenden Lederjackengeneration den Spiegel vorhält. Nach dem Buch kam der Film, nach dem Film kommt nun die Bühnenfassung. Wer nur einen Aufguß erwartet hatte, wird in Wiesbaden eines Besseren belehrt: die Theaterfassung von Tilmann Gersch und Hermann Wündrich ist federleicht und kabarettistisch angeschrägt, sie führt uns – fast besser als der Roman - einen linken Schrebergärtner-Kosmos vor, dessen Bewohner sich aus der Gesellschaft schon verabschiedet haben.

    Mit dem parodistischen Gestus eines Kindergarten-Songs werden wir in die Welt des Herrn Lehmann eingeführt, der in einer Kneipe arbeitet und einen seltsam begrenzten Horizont hat.

    Aber genau das ist Herrn Lehmanns Problem: dass er nichts will, dass er in seiner Selbstzufriedenheit noch nicht einmal die Notlügen der anderen nötig hat, die ihr Nichtstun mit angeblich großen, immer in die Zukunft verschobenen Projekten rechtfertigen.

    Und so liefert die Inszenierung von Tilmann Gersch ein skurriles Portrait der Kohl-Gesellschaft, den Stillstand, das Schwadronieren, die Selbstgefälligkeit – indem der Regisseur die linken Rebellen als bloße Varianten der verknöcherten Elterngeneration vorführt. Das Schlimmste, das diesen Lebensverweigerern widerfahren kann, ist die Konfrontation mit der Realität – die am Ende mit dem Fall der Berliner Mauer drohend ins Dasein tritt.

    Bis dahin aber sehen wir weinerliche Clowns auf einer grünen Wiese, die sich selbst decouvrieren. Es gibt nichts Jämmerlicheres auf einer Bühne als Menschen im Badeanzug: Tilman Gersch zeigt uns statuarische Langhaarige mit Bierbauch, die in einem Schwimmbad der schönen Kathrin den Hof machen. Er zeigt uns paranoide Kneipenbesitzer, die überall Zivilbullen wittern, überkandidelte Eltern, die aus der Provinz zu Besuch kommen; er zeigt einen Besuch in einer Schwulenkneipe, in die man als vorurteilsfreier Hetero unbedingt mal rein muss, er verfolgt, als einzigen tragischen Einschub, das Zerbrechen eines Möchtegern-Künstlers, und er zeigt vor allem den Herrn Lehmann, der in Gestalt von Hanns Jörg Krumpholz ein triefiger Looser ist.

    Natürlich geht das nicht sehr tief, es ist fortgeschrittenes, auch ein bisschen ordinäres Jugendtheater - aber man erlebt zwei bedingt kurzweilige Theaterstunden. Das ist mehr als in vielen anderen Inszenierungen dieser Spielzeit.