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"Herrenbestatter"

In Theresia Walsers neues Stück"Herrenbestatter" am Nationaltheater Mannheim geht es um einen Ausstatter, der schon tot ist, bevor er in Rente geht. Herren, die es auszustatten gälte, gibt es schon lange nicht mehr.

Von Cornelie Ueding | 19.12.2009
    Der letzte Arbeitstag im Leben eines Verkäufers in der Herrenabteilung eines Kaufhauses. Der Nachfolger mit dem verheißungsvollen Namen Lenz steht schon bereit – angezogen wie eine Schaufensterpuppe, ebenso trendy und knallig wie geschmacklos. Man sieht, bevor überhaupt der erste zweifelhafte Kunde in Sicht kommt: Kleider machen Leute. Denn der ausgediente Ellen-beck besticht durch untadelige, stilvolle Eleganz. Ebenso unterschiedlich – und offenkundig generationsabhängig - ist die Verkaufsstrategie.

    Doch angesichts des Defilees durchgeknallter Kunden muß man feststellen: ob einer nun auf die Wünsche der Kunden eingeht oder ihnen Wünsche suggeriert, von denen sie noch gar nichts wussten; ob man ihnen die Waren wie Preziosen ausgewählt präsentiert oder aufdrängt, was gerade da ist – gekauft wird sowieso nicht. Der Alte lebt in seinem Beruf und ist ein notorischer Besserwisser – der Junge auch. Nur aus Opportunismus. Das Kollegenduett: ein angstgetöntes Rivalitätsgeplänkel. Ihr Paarlauf in Zeiten der Kaufhausdämmerung: komisch und desaströs.

    Die Karstadt-Quelle-Pleite ist durchaus gegenwärtig in Theresia Walsers Auftragsstück für das Mannheimer Schauspiel, wenn sie, ganz allgemein, über die Bedeutung von Kaufhäusern nachdenkt, einst und jetzt, sowie über Fragen von Kündigung, Vorruhestand, Mitabeiter- und Kundenpflege in Krisen-zweiten. Und über unsere Abhängigkeit von Erfolg, Geld und Waren.

    Die Figuren sind Beweisstücke in diesem Argumentationsgeflecht. Und sie sind geschwätzig. Sie geben furchtbar viele Episoden aus ihrem Erfahrungsschatz preis, schwärmen von lebendigen Rolltreppengeräuschen, erinnern sich an den ersten BH-Kauf oder den ersten Brustbeutel, sinnieren über Leben und Tod und flechten dabei immer wieder ein, welche Rolle das Einkaufen oder nur das Bummeln im Kaufhaus für sie spielte.

    Das Kaufhaus als Schule und Durchgangsstation des Lebens. Dafür hätte die Regie stimmige Situationen und ja, überzeugende wenn nicht Menschen, so doch Typen schaffen müssen. Kurz und knackig und mehr als ein Hauch der besessenen Ernsthaftigkeit von Loriot-Figuren und der Genauigkeit seiner Situationen, und der Abend hätte so absurd wie komisch werden können, bis einem das Lachen im Halse stecken bleibt. Aber Burkhard Kosminski lässt’s lieber krachen. Und wenn er mit einer Figur nichts anfangen kann brüllen.

    Die Abteilungsleiterin schreit, wenn sie ihre aberwitzigen Anweisungen gibt, wie man aus Schaulustigen Käufer macht: man muss einfach ihren schnellen Durchlauf bremsen und ihnen Kleiderständer als Hindernisse in den Weg stellen.

    Der dickliche Junior, der alles kaputt macht, was er anprobiert, damit er’s billiger bekommt, muß ausgiebig in der Unterhose herumlaufen, während seine Mutter unablässig und leider auch lauthals mit ihm und dem Leben hadert. Wie wahr. Beim Umkleiden entblößen sich die Menschen. Und Regisseure auch, wenn sie aus Figuren Knall-Chargen machen.

    Gegen Ende, als der scheidende Verkäufer alles verschenkt, was nicht gekauft wird (inzwischen auch er weitestgehend entkleidet), muß er, der immer die Contenance gewahrt hat, beherzt alle Stücke vom Kleiderständer reißen und damit schmeißen. Das kleine Werk, ein sprachverliebtes Kammerspiel mit grotesken Einsprengseln, verträgt das leider gar nicht.

    Und die sich von Gag zu Gag hangelnde Aufführung ist schon lange vor dem gespenstischen Kaufhaussterben mausetot. Mit einer Ausnahme: Peter Rührig, der als Gast die tragende Rolle des Ellenbeck mit Leben füllt, mahlt nörgelnd mit den Zähnen, kräuselt die Lippen, weitet die Augen, erstarrt, denkt sich sein Teil, lächelt kundig und professionell, versteckt, überspielt seine Gefühle, wie es sich für einen untadeligen Verkäufer gehört – und zeigt sie gerade dadurch. Er allein macht trotz aller Vergröberungen der Regie aus der Figur einen Menschen, der mit dem Beruf seinen Lebensinhalt verliert.