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Herrin-Magd-Dialektik

Einer der Großen des europäischen Autorenkinos ist zurück: Istvan Szabó führt mit seiner Romanadaption "Hinter der Tür" ins Budapest der 60er-Jahre. Ein seltsam aus der Zeit gefallenes Kammerspiel – und doch die sehenswerte Wortmeldung eines Verschwundenen.

Von Josef Schnelle |
    "Guten Morgen!" – "Ich wollte Sie um Hilfe bitten. Mein Mann und ich wohnen gegenüber. Wir sind vor ein paar Tagen hergezogen. Unsere alte Wohnung war kleiner. Die konnte ich alleine in Ordnung halten. Aber jetzt würd ich gern Schreiben." – "Was schreiben Sie?" – "Romane, bis jetzt hab ich unterrichtet." – "Wenn Sie jemanden haben, der mir sagen kann, was für'n Mensch Sie sind, wird ich vielleicht mal drüber nachdenken."

    Eine Herrin-und-Magd-Geschichte beginnt. Manchmal sind die Rollen nicht ganz klar verteilt zwischen der Intellektuellen-Familie um die Schriftstellerin Magda und der schroff-abweisenden Haushälterin Emerence. Die Geschichte spielt in einem kalten Land, im Ungarn der 1960er-Jahre. Der Film basiert auf einem Roman von Magda Szabó, der in Ihrem Heimatland zu den Kultbüchern gehört. Mit dem Regisseur und Oscarpreisträger Istvan Szabó ist sie nicht verwandt. Kein Wunder, denn Szabó ist in Ungarn als Name so geläufig wie bei uns Schneider und Schmitz. Es geht um zwei Häuser und eine Straße mit zwei Bürgersteigen dazwischen. Immer gibt es etwas zu fegen - Schnee oder Laub und immerzu ist Emerence damit beschäftigt. Sie erfüllt ihre Pflichten im großbürgerlichen Haushalt aber eines ist klar: Hinter ihre eigene Tür darf niemand schauen. Das macht die Nachbarn misstrauisch.
    "Wir wohnen hier schon 20 Jahre. In dieser Zeit hat Emerence noch nie jemand in ihre Wohnung gelassen." – "Sie hat eine Katze in der Wohnung. Das Miauen hören wir hin und wieder. Wer weiß, was sie sonst noch in der Wohnung verborgen hält."

    Emerence – gespielt von der großartigen Hellen Mirren – ist ein schwieriger Mensch, dessen verhärmte Freundlichkeit gleich ein Dutzend Geheimnisse verbergen könnte. Das muss Magda bald erkennen und auch manche böse Attacke dulden. Kitschige Porzellan-Figuren überschwemmen das Haus und mit ihrem merkwürdigen Regelwerk übernimmt Emmerence bald die Herrschaft im Haus.

    "Wollen Sie nicht auch mal ein bisschen fegen. Sie gehen doch nur zum Flennen in die Kirche. Es gibt zwei Arten von Menschen auf der Welt. Die die fegen gibt’s und die die Fegen lassen gibt’s. Jesus hat gefegt."

    Istvan Szabó ist einer der großen Regisseure des europäischen Autorenkinos mit Erfolgen wie "Mephisto" 1981 und "Oberst Redl" 1985 die Filmgeschichte geschrieben haben. Seit mehr als zehn Jahren schon werden die Geschichten aber immer kleiner, die der 74-jährige Szabó noch realisieren kann. Mit diesem Kammerspiel, das in Ungarn auf Grund der Bekanntheit der Romanautorin sehr erfolgreich ist, zeigt er sich als jemand, der aus der Zeit herausgefallen ist. Ein kleines Wunder ist es, dass er Superstar Hellen Mirren zu dieser undankbaren Rolle einer mürrischen Alten überreden konnte. Die deutsche Schauspielerin Martina Gedeck wirkt dagegen als offene, sympathische Figur, die sich von der geheimnisvollen Redlichkeit der Haushälterin angezogen fühlt und sie ist das Gegenmittel gegen die Misogynie der Hauptfigur, die doch nur das Katzenparadies in ihrer Wohnung gegen die Missgunst der Welt verteidigen will. Die Beziehung der beiden Frauen nimmt immer mehr an Intimität zu. Hellen Mirren suhlt sich lustvoll im geheimnisvollen Charakter, dem man eine gewisse Bewunderung für seine Rätselhaftigkeit und seine tief empfundenen verborgenen Geheimnisse nicht versagen kann. Ein seltsam hermetisches Kammerspiel in der Studioatmosphäre künstlichen Schnees aufblüht. Da dürfen die Rollen auch schon einmal durcheinanderpurzeln. Einmal spielt sich die Magd sogar als Herrscherin auf.

    "Also was ich wollte, sagen wollte. Ich bekomm in ein paar Tagen Besuch. Darf ich meinen Gast hier bei Ihnen empfangen in Ihrem Haus?" – "Sie wollen hier einen Gast empfangen?" – "Sie müssen meinem Gast gegenüber nur so tun, als würd ich hier bei Ihnen wohnen. Sagen Sie einfach Ja."

    Meisterregisseure müssen nicht immer meisterliches anbieten. Istvan Szabó beklagt in einem Interview, dass Hollywood die Geschichte von Gewinnern erzählt. Das europäische Kino aber nur noch die Verlierer im Blick habe. Er möchte das europäische Kino immer noch Erneuern und wieder zur alten Größe von Neorealismus und Nouvelle Vague führen. Sein Film ist kein wirklich gelungener Schritt dahin, aber die sehenswerte Wortmeldung eines Verschwunden geglaubten.