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Herz nach Maß

Mediziner können aus körpereigenen Zellen bereits einfache Körperteile wie Hautstücke züchten. Sie arbeiten nun am Nachbau komplexerer Organe. Als Gerüst für die Zellansiedlung dienen dabei Gewebe aus dünnen Polymerfäden. Die müssen nicht nur in die richtige Form gebracht werden, sondern auch die Ansiedlung unerwünschte Zellen verhindern.

Von Peter Kaiser | 29.12.2010
    Nanofasern auf der Basis von Kunststoffen oder Biopolymeren können durch das sogenannte Elektrospinning hergestellt werden. Aus diesen bis zu zehn Nanometern, also dem Hunderttausendstel eines Millimeters durchmessenden Fasern entstehen dreidimensionale Gerüste, auf denen sich Zellen ansiedeln. Diese Zellen, die in einer solchen Polymermatrix heranwachsen, könnten in nicht allzu ferner Zukunft die Bausteine für Organgewebe sein. Doch sind zwar sind jetzt schon künstliche Hautteile, Herzklappen oder Harnblasen möglich, der Aufbau komplexer Organe wie Herzen, Lebern, Nieren oder anderer Organe aber ist extrem schwierig. Eine Voraussetzung dazu ist die beim Elektrospinning erzeugte dreidimensionale Matrix aus Polymerfäden. Jürgen Groll, Materialwissenschaftler an der Universität Würzburg erklärt das Elektrospinning.

    "Dabei wird eine Polymerlösung in Spritze durch eine dünne Nadel gepumpt, mit einer sehr langsamen Geschwindigkeit. Und im eigentlichen Prozess wird eine Hochspannung angelegt zwischen die Nadel dieser Spritze und einem Ziel, auf das der Faden dann eben abgelegt werden soll. Das sind mehrere Tausend Volt. Und durch diese hohe Spannung konzentrieren sich dann Ladungen auf. Und die führen dazu, dass sehr, sehr dünne und feine Fäden aus diesem Tropfen in Richtung dieser Gegenelektrode geschleudert werden. Und das ergibt dann dieses dünne dreidimensionale Faservlies dort auf diesem Ziel."

    Zwar ist es schon jetzt Forschern gelungen, an dieser Matrix Leberzellen anzusiedeln, doch konnte bislang die Ansiedlung anderer, unerwünschter Zellen nicht verhindert werden. Das Team um Jürgen Groll ist nun bei der Steuerung der Polymermatrix einen wichtigen Schritt vorangekommen. Sie geben der Polymerlösung schon vor dem Elektrospinning ein Makromolekül bei, das die vorher wasserabweisende Matrix verändert.

    "Das heißt, dieses ganze Konstrukt wird wasserliebend, hydrophil, und dadurch auch wieder biokompatibler."

    Durch das neue Makromolekül verändern sich die Oberflächen der Matrix, also dort, wo die Zellansiedlungen stattfinden, so radikal, dass man damit die Anlagerung unerwünschter Proteine an dieses Baugerüst verhindern kann. Jürgen Groll:

    "Zunächst ist es so, dass wenn wir nur dieses Additiv, also dieses Polymer zugeben, ist es im ersten Schritt erschwert für Proteine und Zellen, auf diese Konstrukte zu gehen. Das Spezielle der Entwicklung ist nun, dass wir bestimmen können, welche Zellen und welche Proteine sich dann dort anlagern. Darin besteht dann die Chance in der Tat, dass man sich eben, salopp gesagt, aussuchen kann, welche Zelltypen, und dadurch dann auch später auch welches Gewebe auf diesen Fäden aufwächst."

    Die Vorteile der Implantate, die auf den dreidimensionalen Polymergerüsten gewachsen sind, sind für Igor-Maximilian Sauer, Transplantationsmediziner an der Berliner Charité eindeutig. Denn es müsste kein fremdes Organ mehr in einen Körper eingebracht werden, mit den altbekannten Problemen wie etwa der Immunreaktion des Empfängerkörpers, die dauerhaft medikamentös unterdrückt werden muss, sagt Sauer:

    "Es ist dann eben keine Transplantation mehr, sondern die Implantation eines gezüchteten Organs. Sicherlich derzeit noch eine Zukunftsvision, aber insbesondere wenn man berücksichtigt, dass man gegebenenfalls patienteneigene Zellen nehmen kann, die expandiert, also vervielfältigt, und aus diesen patienteneigenen Zellen ein Organ züchtet, dann hat man auch den Vorteil, dass man auch auf eine Immunsuppression verzichten kann. Und somit auch auf all die Nachteile, die man sich bei einem immunsupprimierten Patienten einkauft, Infektionen, Tumorentstehung, all diese Probleme könnte man dann unter Umständen umgehen."

    Zwar wird die fabrikartige Herstellung von Organen noch auf sich warten lassen, doch die neue Entwicklung der Würzburger Forscher, und die damit verbundene höhere Steuerungsmöglichkeit für Zellen, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.