
40 große Karten stapeln sich auf einem Konferenztisch im Bauamt der Kreisstadt Herzberg im Landkreis Elbe-Elster, 90 Kilometer südlich von Berlin, an der Grenze zu Sachsen-Anhalt und Sachsen. Bürgermeister Michael Oecknigk und Stadtplanerin Jeanette Lehmann beugen sich mit gerunzelten Stirnen über das Kartenwerk, das im Potsdamer Umweltministerium mithilfe von Satelliten- und Klimadaten der Europäischen Union entstand.
"Wie Sie sehen, sehr, sehr viel blau. Alles, was hier jetzt blau markiert ist, sind die Flächen, die bei einem hundertjährigen Hochwasser von übertretenem Wasser über den Deich überflutet wären. Und es sind leider nicht nur Ackerflächen und Wiesenflächen, sondern auch sehr viele Flächen dabei, die bebaut sind."
Herzberg: im 13. Jahrhundert gegründet, heute Kreisstadt mit 9.000 Einwohnern. Die Schwarze Elster strömt quer durch die Stadt. Mehr noch: Herzberg liegt in einem von dem Fluss gebildeten Tiefland voller Bäche und Fließe.
"Wir liegen richtig in der Mulde drin, wenn man das so will. Wir saufen richtig ab, wenn es kommt."
Und das Wasser kommt oft, erzählt Bürgermeister Michael Oecknigk. Zur Demonstration der Misere bittet er an das neu gebaute Stauwehr am Rand eines Wohngebietes, nur wenige Fahrminuten vom Bauamt entfernt.
"Hier ist im Bereich des Wehres der Deich erneuert, angehoben und verstärkt worden. Und dann haben wir die Allee, die 50, 60 Zentimeter tiefer liegt. Und jetzt gehen Sie mal mit mir einen Schritt. Merken Sie wie es hier bergab geht? Und genau das ist das Problem. Wenn wir Hochwasser haben, dann steht das Wasser bis dort ran und wir müssen dann auf diesem Deich, zwischen den Lindenbäumen, müssen wir Säcke packen. Hier muss grundhaft schnellstens was gemacht werden, weil von hier aus die Innenstadt dann überschwemmt wird."
Angst vor Wertverlust von Grundstücken
Dass die 100 Jahre alten Deiche von Herzberg marode sind, ist in Potsdam bekannt. Bisher habe das Wissen aber nicht zur Aktion geführt, beschwert sich Bürgermeister Oecknigk.
"Ich erinnere gerne an den August 2002, als das erste Hochwasser hier durch ist, Jahrhunderthochwasser, was ich in meiner Amtszeit erleben musste, da hatte der damalige Minister Birthler - dem unterstand das Umweltressort und das Landwirtschaftsressort - den Bürgern hier gesagt: 'Wir werden so schnell wie möglich Polderflächen schaffen. Wir werden die Deicherneuerung vornehmen', es ist nichts passiert, 13 Jahre danach nichts."
Doch jetzt gibt es immerhin die neuen Überschwemmungskarten. Zu hunderten eilten die Bürger ins Bauamt, voller Sorge, dass ihr Grundstück im blau markierten Überflutungsgebiet liegt. Das hat nämlich gravierende Folgen. Und ein erschwerter Versicherungsschutz ist nur eine davon.
"Erst mal natürlich sind die ersten Äußerungen von den Leuten, die hier stehen: 'Jetzt ist ja mein Grundstück gar nichts mehr wert.' Unabhängig davon sind es aber natürlich die rechtlichen Konsequenzen, das Wasserhaushaltsgesetz sieht da eine Vielzahl vor. Es besteht ein grundsätzliches Bauverbot. Das hat natürlich auch katastrophale Auswirkungen: Ausweisung neuer Baugebiete ist in dem Bereich komplett verboten."
50 Millionen jährlich für den Hochwasserschutz
Doch das Bauverbot müsse sein, sagt Kurt Augustin, Abteilungsleiter Wasser- und Bodenschutz im Landesumweltministerium. Die Flüsse bräuchten mehr Raum.
"Es sollen auch sonstige Maßnahmen verhindert werden, wie beispielsweise für die Landwirtschaft keinen Umbruch mehr von Grünland in Ackerfläche, das heißt, es muss auch der Abfluss gewährleistet werden, keine Verwallungen mehr oder sonstige Hindernisse und so, dass das Wasser nicht abfließen kann."
Nachdem zunächst die Elbe an der Reihe war, will die im vergangenen Herbst neu gewählte Landesregierung künftig 50 Millionen Euro jährlich in den Hochwasserschutz investieren.
"Für die Zukunft gilt jetzt, dass wir an den Nebenflüssen vor allen Dingen Retentionsflächen schaffen, also weniger technische Maßnahmen, sondern Deichrückverlegungen vorzunehmen oder beispielsweise auch Polder zu schaffen, wo wir Wasser stapeln können, um den Scheitel zu kappen. Wir haben neun Einzugsgebiete im Land Brandenburg und die werden wir Stück für Stück jetzt abarbeiten. Als Nächstes werden wir für die Untere Spree und die Müggelspree die Karten auslegen. Ich hoffe, dass wir das in diesem Jahr noch schaffen. So tasten wir uns an alle Flüsse ran."