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Herzog mit Herzinfarkt

Herzog Blaubart als Invalide und seine Frau als vor Neugierde berstende Krankenpflegerin, so inszenierte Regisseur Johan Simons den Einakter "Herzog Blaubart" von Béla Bartók. Dirigiert von Peter Eötvös, mit Michelle DeYoung und Falk Struckman, lockte die Premiere nicht mit großen Überraschungen.

Von Frieder Reininghaus |
    Am Anfang war der Ton. Musik pur leitete hin zur Geschichte vom Herzog Blaubart und seiner soundsovielten Frau. Béla Bartók begann die Fabel 1911 zu komponieren. Vier Orchesterstücke op. 12 entstanden im Kontext mit diesem Einakter. Schon von daher können sie diesem als ausladender Ouvertüre dienen.
    Béla Bartóks Orchestermusik vom Vorabend des Ersten Weltkrieg verströmt dasselbe Aroma wie die einzige Oper Herzog Blaubart. Beide Arbeiten speisen sich aus "impressionistischer" Farbgebung und heftig expressiven Gesten. Ihr Beginn fällt nicht zufällig in das "Schlüsseljahr" der Moderne: 1911. Da setzten Arnold Schönberg mit seinen frei-atonalen Klavierstücken (op. 19) und Anton Webern mit Streicher-Miniaturen (op. 9 und 10) Signale für eine neue Zeit, Charles Ives mit seinen Ragtime Dances oder Ethel Smith mit ihren für die kämpferische Frauenbewegung geschriebenen Songs of Sunrise, Béla Bartók mit dem Allegro Barbaro und Alexandr Skrjabin mit der Symphonischen Dichtung Prometheus, an der auch ein Farbenklavier mitwirkte.

    Bei der Premiere - gestern Abend im Großen Salzburger Festspielhaus - ließ Peter Eötvös die Musik gewähren. Der lange schwerpunktmäßig mit elektronischer Musik befasste Komponist, der sich gleichermaßen auch als Dirigent profilierte, tendiert kaum dazu, die Musiker zu gängeln. Auch veranstaltet er kein musikalisches Architekten-Brimborium, sondern tritt einfach als redlicher Makler des Tonsatzes auf.

    Heterogene Elemente finden jeweils angemessene Berücksichtigung: impressives Flirren der kleinteiligen Klangflächen ebenso wie kräftige expressionistische Pinselstriche. Den gut motivierten Wiener Philharmonikern scheint Eötvös keinen allzu starken Willen, keine dezidierte Interpretation aufdrücken zu wollen - und schon gar keine akustischen Markenzeichen. Das mögen die auf Markennamen fixierten Konsumenten weniger schätzen als jene, die in Bartóks Musik den Ton den Nachhall einer verlorenen Zeit aus einem mehrfach verwüsteten Kulturraum vernehmen.

    Zwischen Bartóks fulminant-elegischen Orchesterstücke und die Kurzoper schaltete der niederländische Regisseur Johan Simons in einem knallbunten und an einen Adventskalender erinnernden Bühnenbild noch ein Supplement: Die Cantata profana von 1930, die sich auf rumänische Weihnachtslieder in einer Übersetzung des Komponisten ins Ungarische stützt. Da geht es um einen Vater und seine neun Söhne, die nichts anderes als das Jagen lernen und sich bei ihrem Herumwildern in Hirsche verwandeln. Offen bleibt, ob dies Strafe ist oder Erlösung.

    Den auf einer barocken Vorlage basierenden Text zum kurz und knapp gehaltenen Ehedrama Herzog Blaubart schrieb der Literat und Cineast Béla Balász. Seine Story kann in transsilvanischen Schlossbildwelten angesiedelt werden, in Symbolen oder in der modernen Wohnküche.

    Johan Simons profilierte sich nicht durch weitergehenden Deutungswillen. Er lässt unter einem großen Tuch, auf dem so etwas wie ein "Lebensbaum" angedeutet sein mag, einen näher nicht verorteten Dialog zeigen, der zum Tode führt. Sonst nichts auf der riesigen Bühne als Falk Struckmann - allweil vor dem Souffleurskasten, im Rollstuhl. Doch nicht nur gehbehindert. Zusätzlich ist mit einem Rohr die rechte Hand des vormaligen Gewaltherrschers und -täters fixiert.

    Um ihn herum ist Michelle DeYoung zu Gang - als Judith, die von Anfang an weiß, worauf sie sich eingelassen hat mit dem alten Knacker, der sich für den letzten Lebensabschnitt ein dralles blondes Prachtstück zulegte. Die Krankenschwester, eindeutig überlegen, beginnt ihn zu quälen: Sie zwingt ihn, den Folterkeller und die Waffenkammer zu öffnen, den Souterrain der Schätze, überhaupt die Räume der Erinnerung. Indem sie vorgibt, ihr Leben ganz mit ihm teilen zu wollen, zieht sie das Gesetz des Handelns, das ihr durch ihre Beweglichkeit ohnedies schon zufiel, definitiv an sich. Versicherungs- oder strafrechtlich ließe sich ihr in dieser Inszenierung höchstens vorwerfen, dass sie Blaubarts Infarkt nicht durch umsichtige Pflege hinauszögerte, sondern beschleunigt.

    Zum Glück aber sind Inszenierungen in den seltensten Fällen straf- oder versicherungsrechtlich zu würdigen, auch eine solch simplifizierende nicht. Sie verweist auf eine Standardsituation im besser situierten Leben von heute. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. So gibt es in Festspielsalzburg etwas zu sehen, was sich vielleicht "redlich" nennen lässt.