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"Herzog Theodor von Gothland"

Gleich zu Beginn brennt die Bühne: Die Welt steht in Flammen, daran lässt diese Inszenierung von Tina Lanik keinen Zweifel, wahlweise fällt auch Schnee oder rauscht Regen. Die Gewalt Natur ist hier in Christian Dietrich Grabbes ungehemmtem Erstlingswerk ebenso los, wie die Gewalt Mensch. Und die überkommt das Geschehen in Gestalt von Herzog Theodor von Gothland, der im Verlauf des Stückes infolge einer Kette von tragischen Irrtümern zur wahren Bestie mutiert. Als Sohn Bruder, Vater, Ehemann und Königstreuer verwandelt er sich in einen Brudermörder und Landesverräter, er verstößt die Frau, peitscht den Sohn, trachtet dem Vater nach dem Leben. Grund sind die Täuschungsmanöver seines Gegenspielers, des Negers Berdoa, der etwa den natürlichen Tod eines der drei Gothland-Brüder so darstellzustellen weiß, als habe der jüngste Bruder die Axt geschwungen - zum exzessiven Brudermord.

Von Sven Ricklefs |
    Mit seinen Intrigen rächt sich der Neger für die Misshandlungen, die ihm, dem ehemaligen Sklaven, die Europäer im Allgemeinen und Gothland im Besonderen zugefügt hatten. Zivilisation und Barbarei, Christentum und Heidentum, Schwarz und Weiß, in plakativen Kontrasten malte Grabbe ein dramatisches Monstrum vor sturmgepeitschter skandinavischer Landschaft, in der Rache, Hass, Gewalt, Anarchie und Blasphemie in grausiger Gemengelage Einstand feiern. Am Schluss steht die totale Negation alles vermeintlich Menschlichen.

    Ungeteilten Beifall fand dieser ungeschlachte Erstling nie, der es ungekürzt sicherlich gern auf sechs Stunden und mehr bringen würde, wobei die Summe seiner Metzeleien wohl sämtliche gebunkerten Vorräte an Theaterblut verströmte. Von psychologischer oder auch dramaturgischer Feinfühligkeit ist er jedenfalls nicht ein bisschen getrübt, und seine sprachlichen Sprünge zwischen Blankvers und freien Rhythmen, zwischen Lyrik und Kraftmeierei riss Ludwig Tieck einst zu der Alliteration hin: Krämpfe sind keine Kraft!

    Nun ist die Dramaturgie von Dieter Dorn ja schon immer dafür bekannt, die eine oder andere voluminöse Merkwürdigkeit mit möglichst sichtbaren Bezug auf Politik und Weltgeschehen auf den Spielplan zu hieven und womöglich auch noch in voller Länge zu präsentieren. (Und wer sieht nicht die aktuellen Bezüge zu jenem aktuellen Weltgeschehen, in dem die Unterdrückten zum gnadenlosen Terror greifen).

    Vor der vollen Länge war - so scheint es - in diesem Fall immerhin die junge Regisseurin Tina Lanik, die sich das dramatische Ungetüm auf beinahe erträgliche drei Stunden zurechtgestutzt hat, um es in ebenso groben wie beeindruckenden Szenen in einen leeren Raum zu stemmen, dessen Mauern im Verlauf des Abends bedrohlich in die Höhe wachsen. Der eigentlich interessante Kunstgriff der Regisseurin aber ist, den Neger in Gestalt von Barbara Melzl mit einer Frau zu besetzen. Tritt die Schauspielerin zunächst in dieser Rolle als androgyner in fremde Tücher gehüllter, zynischer Eskimo auf, so outet sie ihre Weiblichkeit im wahrsten Sinne des Wortes spätestens, als sie ihrem Widersacher Gothland mit blanker Brust gegenüber tritt. In brutal erotischer Umschlingung zeigt sich hier eindeutig, dass "dieser" Neger und Gothland ein Paar sind, (und dies nicht über den "Umweg" der Homoerotik), dass sie sich wechselseitig bedingen, zwei Seiten einer Medaille sind und dass dieser hier vorgeführte Weltensturz in ihrer fatalen Gemeinsamkeit liegt.

    Immer wieder laufen hier Barbara Melzl, deren Talent normalerweise arg pathosgefährdet ist, und Thomas Loibl als Gothland, trotz der Grobschlächtigkeit von Grabbes Personenzeichnung zu großer Form auf und ziehen hinein in die Inszenierung von Tina Lanik, die jedoch trotz ihrer Wucht spätestens in der letzten Aufführungsstunde auch nicht mehr wirklich über die grundsätzliche Zweifelhaftigkeit dieses Stückes hinwegtäuschen kann.

    Immerhin aber gibt sich das Bayerische Staatsschauspiel von Dieter Dorn bei seinem diesjährigen Saisonauftakt ganz gegen die Gewohnheit jugendlich und schon das lässt aufhorchen bei einem Haus, dass sonst ausschließlich Alt-gewordene, Alt-Gediente, Alt-Backene oder zumindest Alt-Wirkende beschäftigt. Zwar drückte sich der Nachwuchsregisseur Florian Boesch bei seiner Inszenierung von Sarah Kanes Phädras Liebe in dieser Woche im Münchner Marstall noch um einige szenische Drastik, aber auch sein frischer Zugriff auf Sarah Kanes gnadenlose suche nach Liebe, die immer wieder nur Gewalt findet, lässt zumindest hoffen, dass auch Dieter Dorns Theater langsam die Zeichen der Zeit entdeckt. Für München wäre es zu hoffen.