Während ihrer Recherchen findet Margriet de Moor heraus, daß es weniger Bauern und Bürger waren, die die Völker der Roma und Sinti ausgrenzten, sondern vielmehr staatliche Autoritäten, wie Grenzschutz, Justiz und Innenministerium. De Moor erklärt: "Man kann es vielleicht zurückführen auf eine wirklich sehr, sehr große Kulturdifferenz zwischen der bürgerlichen Kultur seit der Aufklärung mit den hohen Maßstäben von Erziehung und Intellekt und einer Gruppe von Menschen, denen das eigentlich gleichgültig ist, die ihre eigenen Maßstäbe haben und sich da überhaupt nicht einfügen wollen. Das kann einen Haß aufrufen, und das hat es auch getan."
"Herzog von Ägypten" ist bei aller Sozialkritik ein Hohes Lied auf die Liebe: die Liebe zwischen einem Roma-Zigeuner und einer niederländischen Bäuerin, eine Liebe, deren Treibstoff ihre Fremdheit ist. Der Roman handelt davon, wie diese Fremdheit als solide Basis einer sechzehn Jahre währenden glücklichen Partnerschaft zu wirken vermag. Die Liebe zwischen der Bäuerin Lucie und dem Zigeuner Joseph ist von den Gesetzen seiner Herkunft geprägt, und Lucie verliert kein einziges Wort, wenn ihr Mann 16 Jahre hintereinander jedesmal im Mai aufbricht, unruhig, schweigsam, sie allein mit drei kleinen Kindern, einem greisen Vater und einem Hof voller Tiere zurückläßt, um im Spätherbst desselben Jahres zurückzukehren, voller Geschichten, Bildern von Mandelbäumen und Holzfeuern, Bärenführern und Balkanfideln, Bildern, die er mit ihr teilt, die ihre Liebe erneuern. "Sie war verliebt in einen Fremden. Der Mann, der mit ihr schlief, der jeden Spätsommer zurückkommen durfte, um sich im Bett an sie zu schmiegen, mußte ihr unendlich vertraut, aber am liebsten auch unendlich fremd sein", schreibt Margriet de Moor. "Das Buch fängt an in dem Moment, wenn's nicht mehr so gut geht mit den beiden", so de Moor. "Er hört auf zu reisen, und er wird krank, und das Gestüt geht nicht mehr so gut, und dann gibt’s den Ehebruch, und es ist auch, glaub' ich, schlechtes Wetter. All diese kleinen Faktoren zusammen machen, daß es eine Atmosphäre von Malaise gibt."
Die persönliche Geschichte Josephs ist untrennbar mit der seines Volkes verbunden, auch durch Ereignisse, wie sie sich beispielsweise am 16. Mai 1944 in s’Hertogenbosch ereigneten: da klopft die nationalsozialistische Landwehr der Niederlande an die Wohnwagentüren, eskortiert eine Gruppe von etwa 40 Menschen in Züge, wo bereits sämtliche Zigeuner Limburgs und Ostbrabants versammelt sind. Die Reisenden werden erst in Auschwitz aussteigen dürfen. Wie sechs Millionen Juden werden auch viele tausende Zigeuner in Hitlers Gaskammern enden; von den aufgegriffenenen niederländischen Zigeunern werden nur sechzehn Frauen und vierzehn Männer die Konzentrationslager überleben. "Es war eine Maßnahme der Nazibesatzung, aber es ist völlig ausgeführt worden von der holländischen Polizei, ohne Protest", sagt Margriet de Moor.
Dem damals neunjährigen Joseph und seinem Bruder gelingt wie durch ein Wunder die Flucht aus dem Zug. Fesselnd erzählt Margriet de Moor von Menschen, die mit der deutschen SS kollaborierten, aber auch von der aktiven Twenter Widerstandsbewegung, der auch Lucies Vater Gerard angehörte. Dann, im 17. Jahr ihrer Liebe, stirbt Joseph an Krebs, Lucie fühlt seine Präsenz auch nach seinem Tod. Zum Beispiel auf dem Dach ihres Hauses, wohin Lucie klettert, um den First neu zu streichen. Plötzlich steht ihr verstorbener Mann an ihrer Seite, weist mit dem Arm in die blaue Weite und beginnt, eine neue Geschichte zu erzählen. "Ich wollte das Buch optimistisch enden wegen meiner Freundschaft mit den Sinti und Roma in der Wirklichkeit", sagt de Moor. "Alles, was ich erzähle, ist eigentlich tragisch, aber es ist mir erzählt worden mit der Stimme der Würde und des Stolzes und eigentlich mit der Stimme des Optimismus. Und ich wollte das Buch nicht traurig enden, und dafür mußte ich wirklich sehr weit zurückgehen, zum 16. Jahrhundert, als sie ganz stolz und gut in Holland eingezogen sind und auch willkommen waren."
In allen dreien der bisher vorliegenden Romane Margriet de Moors geht es um menschliche Leidenschaften, um eine Intensität des Lebens, der Gefühle, auch um Obsessionen. Die Objekte dieser Leidenschaft sind sehr unterschiedlich: sie reichen vom Lesen und Geschichtenerzählen, über Pferdezucht, bis zum Mord an der Geliebten oder zur bedingungslosen Hingabe an eine wunderbare Stimme, wie in "Der Virtuose". Ist es Zufall, daß Margriet de Moor das Thema Leidenschaft immer wieder neu und anders variiert? "Was ist Zufall? Ich bedenke es nicht, wie ich eigentlich keines meiner Themen wirklich bedenke oder bedacht habe. Wenn ich an "Herzog von Ägypten" denke, dann sehe ich, daß einige von meinen Themen dahineingekommen sind: Das ist natürlich die erzählende Stimme, das ist die An- und Abwesenheit der Geliebten, und das ist vielleicht vor allem die Fixiertheit auf die andere oder den anderen, das Leben mit einem Wesen, das man nicht kennen kann, das Lieben von einem Wesen, das man nicht wirklich kennen kann. Und Leidenschaft, ja natürlich, das ist, weil das Schreiben selber eine leidenschaftliche Sache ist, etwas Obsessives, das eigentlich nicht so viel zu tun hat mit Disziplin, ist vielleicht damit verbunden, daß man sich auch gerne konzentriert auf Leidenschaften; das geht ganz natürlich, und ich glaube auch, daß Menschen sehr leidenschaftliche Wesen, und die großen Entscheidungen werden meistens nicht rational genommen."