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Hessen
Erstaufnahme in der Ex-Zentrale von Neckermann

Hessens zweitgrößte Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge entsteht in der leer stehenden ehemaligen Firmenzentrale des Versandhändlers Neckermann. Das große Gebäude lässt sich flexibel nutzen und soll 2.000 Flüchtlingen Platz bieten - Politiker vor Ort haben deshalb allerdings Sorgen.

Von Ludger Fittkau | 30.11.2015
    Die ehemalige Zentrale des Versandhändlers Neckermann in Frankfurt am Main. Hier sollen nun Flüchtlinge einquartiert werden.
    Egon Eiermann war in den Anfängen der Bundesrepublik ein bedeutender Architekt in der Tradition der "Neuen Sachlichkeit" und des Bauhauses in Deutschland. Eiermann baute unter anderem den Deutschen Pavillon auf der Weltausstellung in Brüssel 1958, die neue Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Berlin oder weniger Jahre später auch das Abgeordneten- Hochhaus in Bonn. In der Tradition des "Bauhaus" entwarf Egon Eiermann als Industriedesigner auch zahlreiche Möbel, die teilweise bis heute produziert werden. Bereits in den 1950er-Jahren in Frankfurt am Main plante er die riesige neue Firmenzentrale des ehemaligen Versandhändlers Neckermann. Diese denkmalgeschützte Ikone der Nachkriegsmoderne, wie sie damals genannt wurde steht seit der Neckermann-Pleite 2012 leer und wird nun Erstaufnahme-Einrichtung für 2000 Flüchtlinge.
    Ein Kran hievt Spanplatten von der Ladefläche eines LKW durch ein Fenster in das Innere der leer stehenden ehemaligen Neckermann-Zentrale in Frankfurt-Fechenheim. Die Platten werden in den nächsten Tagen in den früheren Lagerräumen des 2012 Pleite gegangenen Versandhändlers zu Trennwänden verarbeitet. Damit soll rund 2000 Flüchtlingen in den Hallen des Gebäudes ein bisschen Privatsphäre gegeben werden, die ab Mitte Dezember einziehen sollen.
    Gebäude bietet viele Möglichkeiten
    Alexander Böhmer ist stellvertretender Regierungspräsident in Darmstadt. Seine Behörde ist für die Einrichtung des dann zweitgrößten hessischen Erstaufnahmelagers in der benachbarten Mainmetropole zuständig:
    "Das Gebäude bringt aufgrund der Größe ein hohes Maß an Flexibilität mit sich. Ein großer Teil der Räumlichkeiten war bislang als Halle genutzt, Logistik- oder Lagerhalle. Dort werden wir in Trockenbauweise Wände einziehen. Die können wir natürlich ganz konkret nach unseren Bedürfnissen beziehungsweise der der Flüchtlinge einrichten und gestalten. Das bringt eben der Vorteil einer so großen Liegenschaft mit sich."
    250 Meter lang und sechs Stockwerke hoch ist das in den 1950er-Jahren von dem berühmten Architekten Egon Eiermann entworfene Gebäude. Das damals als "Ikone der Nachkriegsmoderne" bezeichnete Bauwerk verfügt über eine großzügige Kantine und eine Küche.
    Während der Kran die künftigen Trennwände für die Flüchtlingsunterbringung in den dritten Stock emporschweben lässt, beobachtet eine ehemalige Neckermann-Mitarbeiterin die Vorbereitungen für die Einrichtung der Asylunterkunft an ihrem früheren Arbeitsplatz. Die Frau um die 70 will ihren Namen nicht nennen:
    "Es ist so riesig. Ich habe früher da gearbeitet. Sachen, die bestellt worden sind, eingelegt. Da ist das Band gelaufen, das war Akkord. Das war keine leichte Arbeit. Hetze, Hetze, Hetze."
    Hetze – die wird es für die Flüchtlinge im Neckermann-Gebäude erst einmal nicht geben. Eher Langeweile im Gewerbegebiet, in dem das Areal des ehemaligen Versandhändlers liegt.
    Stadt Frankfurt zeigt sich nicht begeistert
    Die Stadt Frankfurt am Main ist nicht sehr begeistert, neben den ohnehin vorhandenen Verpflichtungen für Asylsuchende nun auch die zweitgrößte hessische Erstaufnahmeeinrichtung nach Gießen zu bekommen. Die Frankfurter Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU):
    "Selbstverständlich handelt es sich um eine Liegenschaft in Frankfurt, wo wir bereits jetzt viele Flüchtlinge untergebracht haben. Entsprechend ist die Besorgnis der Bevölkerung groß. Es ist schwierig, zu vermitteln, dass es sich hier um eine Erstaufnahme handelt und sich in dem Fall auch nicht um die Frage bewegt, wie können wir diese Flüchtlinge integrieren. Denn vom Land Hessen ist ja vorgesehen, diese Asylbewerber innerhalb von vier bis sechs Wochen weiter zu verlegen in andere Bundesländer oder in andere Städte."
    Sebastian Schugar ist Chef des Gewerbevereins sowie Vize-Vorsitzender der CDU im zuständigen Ortsbeirat im Frankfurter Ortsteil Fechenheim, in dessen Gebiet das Neckermann-Gebäude liegt. Im Stadtteil habe man ohnehin einen hohen Anteil von Bewohnern mit Migrationshintergrund und Hartz-IV-Empfänger, so Schugar. Jetzt besteht die Sorge, dass die Erstaufnahmeeinrichtung die problematische Sozialstruktur des Stadtteils zusätzlich belaste:
    "Ganz klar, wir müssen den Flüchtlingen irgendwie helfen, die zu uns kommen. Wir müssen denen gerade im drohenden Winter ein Dach über dem Kopf bieten. Auf der anderen Seite haben wir halt hier in Fechenheim so ein bisschen das Problem: Wir haben rund 16.500 Einwohner, das sind circa 2,5 Prozent der Frankfurter Gesamtbevölkerung. Bekommen allerdings jetzt, wenn wir diese 2000 noch dazu bekommen, fast 3000 Flüchtlinge in unseren Stadtteil hinein. Was dann auf die Gesamtmenge der Flüchtlinge, die Frankfurt aufnimmt, an die 35 Prozent sind."
    Die Angst im Stadtteil vor einem Image-Verlust durch das große Flüchtlingslager kann Alexander Böhmer vom zuständigen Regierungspräsidium Darmstadt nicht nachvollziehen. Zumal in den großen Räumen des Neckermann-Gebäudes problemlos Sozialbetreuung und Angebote für die Kinder organisiert werden könnten, so Böhmer:
    "Ich sehe keinen Anhaltspunkt, wieso die Unterkunft für Flüchtlinge zu einer weiteren Abwertung des Stadtteils führen soll. Das sind Flüchtlinge, die bei uns Hilfe suchen, die in dieser Liegenschaft wohnen. Die sich im Übrigen frei bewegen können, natürlich auch aus diesem Gebäude herausgehen. Aber dass jetzt da konkrete Risiken daraus entstehen, diese Gefahr sehe ich nicht."