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Hetzjagd auf Boateng

Michael Ballack, der verletzte Kapitän der DFB-Mannschaft, hat sich zum Urlaub nach Mallorca abgemeldet. Nach wie vor aber tobt im Internet eine Art Glaubenskrieg zum Foul des ghanaischen Nationalspielers Kevin-Prince Boateng, dessen Folge Ballacks WM-Zwangsverzicht war.

Von Heinz Peter Kreuzer | 22.05.2010
    Online-Mobbing, Bashing, die Hetzjagd auf Kevin Prince Boateng hat viele Namen. In Netzwerken wie Facebook und StudiVZ sowie auf Twitter haben sich Gruppen gefunden, die sich zum Beispiel "82 Millionen gegen Boateng" nennen. Schon weniger als zwei Tage danach hatte diese Gruppe mehr als 100 000 Mitglieder. Das funktioniert wie ein Schneeballsystem: Wenn ein Nutzer dieser Gruppe beitritt, erfahren es zugleich die Hunderte oder Tausende seiner Kontakte. Jan-Hinrik Schmidt, Soziologe am Hans-Bredow-Institut für Medienforschung der Universität Hamburg, beobachtet berufsmäßig dieses Phänomen. Er sagt, auf Facebook und auf Netzwerkplattformen trete man oft Gruppen bei, nur um ein Statement abzugeben, und nicht um sich mit Gleichgesinnten inhaltlich auszutauschen.

    "Sondern man tritt einer Gruppe bei, weil man den Titel der Gruppe treffend, lustig oder witzig findet. Und ich vermute, das bei einem großen Teil dieser Leute, die diesen Anti-Boateng-Gruppen beigetreten sind, das auch auf eine Art von Affekt oder spontan entstanden ist. Weil die sich im Moment über das Foul geärgert haben, und sich gedacht haben, so ein Mist, jetzt hat Boateng dafür gesorgt, das unsere WM-Chancen sinken."
    Im Fall Boateng haben Nutzer ihrem Ärger Luft gemacht, etwa der Art. "Hoffentlich bekommt dieser Drecksack eine rein, das er nicht mehr Fußball spielen kann". Andere fordern Deutschlands Fußball-Rüpel Nummer eins, Maik Franz, für das Nationalteam, um mit Boateng abzurechnen. Das passt zu einer Gruppe mit dem Namen "Am 23.06. treten wir Kevin Prince Boateng um", dann nämlich trifft trifft die DFB-Mannschaft auf Ghana. Auch auf Boatengs Fan-Seite bei Facebook sind Drohungen eingegangen.

    Für den Soziologen Schmidt ist eine so starke Fokussierung auf eine Person eine Überraschung. Selbst so umstrittene Fußballer wie Tim Wiese, Maik Franz oder Torsten Frings hätten nicht eine solche Protestwelle ausgelöst. Außerdem werde mit zweierlei Maß gemessen, wenn man Boatengs Attacke mit Fouls vergleiche, wie zum Beispiel von Frings an Schweinsteiger im DFB-Pokalfinale oder Riberys Tritt im Champions League-Halbfinale vergleiche. Das habe mit der speziellen Konstellation der beiden Hauptakteure zu tun: Ballack als Kapitän und Hoffnungsträger der deutschen Nationalmannschaft...

    "Auf der anderen Seite mit Boateng haben wir jemanden, der teilweise durch seine eigene Inszenierung, teilweise durch die Art wie er dargestellt wird in den Medien, den Ruf des Brutalos, des Ghetto-Kids hat. Hier waren die Rollen deutlich klarer verteilt zwischen gut und böse, zumindest in der Wahrnehmung von vielen Menschen."

    Denn neben der großen schweigenden Masse gibt es eine sehr präsente Minderheit, die fremdenfeindlich und rassistisch reagiert.

    "In den einschlägigen Foren im Internet auf so Plattformen wie Facebook gab es jede Mengen Meinungsäußerungen, die teilweise über das Ziel hinausgeschossen sind, unsportlich waren, eindeutig rassistisch, beleidigende Äußerungen."

    Denn unter dem Deckmantel eines Pseudonyms sagen viele, was sie offen nicht äußern würden. Zum anderen fühlen sich beispielsweise manche Facebook-Nutzer als Teil einer eingeschränkten Öffentlichkeit, obwohl das nicht der Wirklichkeit entspricht. Als Gegenmittel zu solchen Attacken, wie Boateng sie jetzt erleiden muss, schlägt Schmidt Statements vor wie "Wir finden dass nicht in Ordnung, wie hier mit einer Person umgesprungen wird, Wir verurteilen diese fremdenfeindlichen Äußerungen".

    "Der Mechanismus der sozialen Kontrolle innerhalb der Nutzer-Gemeinde kombiniert mit einem Durchgreifen von Forenbetreibern, die bestimmte Nutzer löschen oder Kommentare sperren, das sind also für mich Wege, wie man so einer kommunikativen Dynamik entgegenwirken kann."

    Diese Kontrolle funktioniert im Netz. Viele Fußballfans wehren sich dagegen, beschimpfen die Verfasser fremdenfeindlicher Äußerungen als "rechte Schmeißfliegen." Ansonsten hält sich der Widerstand gegen die Hass-Attacken in Grenzen. Nur wenige hundert traten der Facebook-Gruppe unter der Bezeichnung "GEGEN die Hetzjagd von Kevin Prince Boateng" bei.