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Heurigentümelnd im Walzerschritt

Als Enfant terrible der Wiener Kleinkunstszene machte sich Kreisler in den 50er Jahren einen Namen – und reifte in den darauf folgenden Jahren vom schwarzhumorigen Entertainer zum politischen Künstler – was ihm, besonders in seiner österreichischen Heimat, nicht nur Freunde machte. Allein seinen erster Erfolg, das berühmte "Taubenvergiften", textete er im Laufe der Jahrzehnte dreimal komplett um, bis am Ende eine gesungene Polemik gegen die Prüderie des Papstes daraus geworden war. Nun endlich ist die erste Biographie Kreislers erschienen.

von Volker Kühn |
    Wenn es ihn nicht gäbe, müsste er erfunden werden. Ein professioneller Nörgler und Nestbeschmutzer, der sich mit dem "Weaner Schmäh" auskennt wie kaum ein zweiter, der heurigentümelnd daherkommt im Walzerschritt, augenzwinkernd vom Taubenvergiften im Park schwärmt, der zum Gattenmord auffordert und die alten Tanten zum Tangotanzen bringt. Dieser Georg Kreisler hat es seinen Bewunderern von jeher schwer gemacht, ihn zu mögen oder gar anzuhimmeln. Und er hat sich vehement den Beifall von der falschen Seite verbeten. Den der Politiker etwa, die ihn gar zu gern so liebevoll umarmt hätten, dass ihm die Luft ausgeblieben wäre. In einem seiner Rundumschläge verbat er sich vor Jahren die obligatorischen Glückwunschtelegramme aus den Amtsstuben der Mächtigen zu runden Geburtstagen. Auf diese Art Heuchelei, so ließ er die Polit-Prominenz wissen, könne er gut verzichten.

    Kratzbürstig und eigenwillig war er schon, als er 1947, damals noch in Amerika, seine ersten schwarzen Lieder im Schallplattenstudio einsang, kleine Hassgesänge wie "I hate you" und "Please, shoot your husband" oder das Bekenntnis, sein Psychoanalyst sei ein kompletter Idiot. Natürlich blieben die Songs, die man dem schlagerseligen Publikum nicht zumuten wollte, damals unveröffentlicht und verschwanden im Giftschrank.
    Sie wieder entdeckt zu haben, so dass man sie heute, nach mehr als einem halben Jahrhundert, erstmals zu Gehör bekommt, ist das Verdienst von zwei Journalisten, Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert. Eine CD mit den sechs rabenschwarzen Gesängen ist einem Buch beigegeben, das die beiden nun als Kreisler-Biographie vorlegen: "Georg Kreisler gibt es gar nicht", so der Titel. Das umtriebige, abenteuerlich unstete Leben eines politischen Querkopfes wird da aufgeblättert, brav am Erinnerungsvermögen ihres Künstlers entlang geschrieben, eine sauber recherchierte Geschichte von einem, der sich nicht anpassen konnte und deshalb permanent zwischen allen Stühlen und Stilen sitzt, die Erfolgsgeschichte eines rebellischen Multitalents, das sich manisch gegen Umarmungen aller Art zur Wehr setzt und gegen die eigene Resignation ankämpft.

    Da ist von den dunklen Jugendjahren die Rede, in denen die Mutter ihm zuraunte: "Sei nicht so laut – wir sind Juden", da werden die Beziehungskrisen eines Schwierigen abgehandelt, auch der familiäre Streit um den Sohn mit Hollaenders Tochter Philine, mit der er verheiratet war - eine von drei gescheiterten Ehen, bis er in einer vierten endlich Ruhe und Erfüllung fand. Das alles ist vornehm-zurückhaltend aufgeschrieben, mit wenig Distanz um Gegenstand, man liest die Furcht zwischen den Zeilen davor heraus, der Meister könne diese oder jene Formulierung nicht abnicken.

    "Wenn ich mir was dürfen dürfte", heißt es in einem Chanson von Kreislers Ex-Schwiegervater Friedrich Hollaender, mit dem ihn nicht nur das Kabarett-Metier verband. Wenn man sich hätte was wünschen dürfen, so wäre es eine Biographie aus erster Hand gewesen, Kreisler über Kreisler also, boshafte Anmerkungen eines begnadeten Sprachjongleurs und Pointenschmieds zu seiner Vita und darüber, wie er wurde, was er war und ist. So bleibt nur, hin und wieder Kreisler zu hören, wenn er sich seinen ungereimten Reim auf die Wirklichkeit macht, die uns alle umgibt.
    (Musik: Der Kanzler lacht)
    Da ist er dann wieder ganz er selbst. Zupackend, böse, detailgenau. Satire pur. Und wo bleibt der Humor? Ja, weiß der Teufel, wo der bleibt, fragte sich schon Erich Kästner.
    Dieser Mann war und ist ein Phänomen. Seine alten bösen Lieder sind so etwas wie das Pfeifen im dunklen Keller, mit denen man die Angst in den Griff bekommen möchte. Als Schriftsteller, Kabarettist, Komponist und Chanson-Interpret hat er sich früh als Meister des Makabren etabliert, war er allzeit boshaft und grantig und hat sich Zeit seines Leben dagegen gewehrt, vereinnahmt zu werden. Diesem Mann, so scheint es, konnte man es nicht recht machen.

    An Wien störten ihn die Wiener, an der Politik störten ihn die Politiker, Charaktermasken, die im Machtpoker all ihre Visionen hinter sich lassen und ihre Grundsätze verraten, an der öffentlichen Meinung stört ihn die Dummheit, an der veröffentlichten Meinung die Ignoranz, an den Beglückungstheorien stört ihn das Dogmatische der Ideologien, am Wohlstand das Elend der Armen, auf deren Kosten er zustande kommt.
    Wer genau hinhörte, konnte früh herausfinden, dass sich hinter der pessimistischen Weltsicht ein enttäuschter Romantiker verbirgt, ein entwurzelter Jude und heimlicher Moralist wie Kurt Tucholsky, der einst "die Welt gut haben" wollte, und als er sah, dass sie schlecht ist, verzweifelt gegen das Schlechte anrennt. Aus diesem Holz sind, so Tucholsky, sind Satiriker geschnitzt.
    Heimatlos wie Tucholsky war auch Kreisler, der gebürtige Wiener, der versucht hat, in Amerika, später wieder in Wien, dann in München und Berlin ein Zuhause zu finden, ehe er sich endlich nach Basel zurückzog. Dort lebt er, inzwischen 83 Jahre alt, und lässt noch immer nicht locker. Schreibt Opern, kleine Musicals, Geschichten, Romane, erinnert sich, wünscht gute Unterhaltung und schlägt zuweilen immer noch zu. Bedauerlicherweise nicht mit der Aufarbeitung seiner eigenen Geschichte:
    1922 in Wien als Sohn eines Rechtsanwalts auf die Welt gekommen, entpuppt er sich bald ein als musikalisches Wunderkind. Als er 15 Jahre alt ist, erlebt er in seiner geliebten Heimatstadt den Einmarsch der deutschen Truppen. Und kommt aus dem Staunen nicht heraus.
    Kreisler:
    "Als es am 12. März 1938 so weit war, lief alles mit der Präzision eines Uhrwerks ab. Über Nacht hingen an sämtlichen Häusern Wiens große Hakenkreuzfahnen. Wo hatte man die hergenommen? Die Nazipartei - und natürlich auch deren Flagge - war ja verboten. Tausende Flaggen mussten heimlich, aber natürlich mit Wissen der Hausbesitzer und Hausmeister, in den Kellern gelagert worden sein, sonst wäre eine solche Massenbeflaggung nicht möglich gewesen. Über Nacht hatten auch alle Leute ein Hakenkreuzabzeichen im Knopfloch, kleinere, größere, silbrige, farbige, aber jeder Mann, jede Frau, jedes Kind hatte eines."
    Georg Kreisler versteht die Zeichen der Zeit. In letzter Minute gelingt ihm und seinen Eltern die Flucht nach Amerika. Er verkehrt in Emigrantenkreisen, wird zur Army eingezogen, wird Dolmetscher und ist bei den Verhören der Nazi-Größen wie Julius Streicher und Hermann Göring dabei. Zurück in den Staaten, versucht er sich als Bar-Pianist und Entertainer, assistiert Charlie Chaplin, wenn der als "Monsieur Verdoux" im Filmstudio am Klavier sitzt. Mitte der Fünfziger kehrt er nach Europa zurück, macht mit Qualtinger, Wehle und Bronner Kabarett, findet das auf die Dauer zu harmlos, startet seine Solokarriere als politischer Liedermacher mit "seltsamen Gesängen", "nichtarischen Arien" und "Liedern zum Fürchten".
    Sein Markenzeichen wird das aggressive Chanson, mit dem er sich immer wieder - weitab von Wienerischer Weinseligkeit und gemütlichem Budikenfrohsinn - gegen das Vergessen, gegen Restauration und Neonazismus zu Wort meldet. Und gegen die Mächtigen zu Felde zieht, gegen die da oben, denen er – gebranntes Kind, das er ist – nun mal nicht über den Weg traut. Schade, dass davon in der vorliegenden Biographie so wenig zu spüren ist.

    Michael Seufert und Hans Jürgen Fink: "Georg Kreisler gibt es gar nicht. Die Biographie". Das Buch umfasst 319 Seiten und kostet 24,90 Euro; beigelegt ist eine CD mit den verschollen geglaubten ersten Aufnahmen Kreislers von 1947. Erschienen ist das Ganze im Scherz Verlag München.