Es sieht aus wie eine mittelalterliche Büßer-Allegorie: Von einem höflichen Knecht mit der einladenden Geste "Nach Ihnen" angetrieben, wandelt da eine Gruppe sauberer, rosa Schweine über ein Planke in den dunklen Schlund einer rot lackierten Dampfmaschine; auf der anderen Seite fallen fertige Würste und Schinken aus dem Ungetüm, oben sprudelt es – neben viel Qualm – ein Feuerwerk von Wiener Würstchen in die Luft. Dralle rosa Metzgerinnen schneiden die fleischlichen Lustobjekte in Scheiben, zapfen Schmalz aus einem Hahn, und im Hintergrund wird die Ware auf einem übervollen Pferdefuhrwerk in alle Welt abtransportiert. So fantastisch bunt pries die Braunschweiger Wurstfabrik Decke & Himmel ihre Produkte anno 1890 an. Nur eins von den vielen, erstaunlich populären Beispielen von Chromodrucken, die jetzt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe nach über 100 Jahren erstmals von dem Kurator Jürgen Döring aus den Depots geholt wurden.
"Diese Blätter entstanden zu der Zeit, wo die Grenzen zwischen Kunst und Werbung oder angewandter Kunst noch nicht gezogen waren. Es ist in Deutschland ja heute üblich, dass man zwischen freier Kunst und Angewandtem trennt. Wir müssen uns schon vorstellen, dass alle diese Drucke in dem Sinne gemacht wurden: Wir machen Kunst! Ob das für ein Zweck ist wie Werbung oder ein Kinderbuch oder für etwas anderes, das ist egal."
Die technologische Kunst-Explosion im Druckerei- und Verlagswesen zwischen 1840 und 1890 ähnelte durchaus der digitalen Revolution von heute. Plötzlich drängten neue, sinnliche, bunte und aktuelle Medien auf den Markt: Illustrierte Zeitschriften, Widmungsblätter und Werbung, Sammelbilder und andere "fliegende bebilderte Blätter". Dabei waren die komplizierten Druck-Techniken zunächst Sache für hoch spezialisierte Handwerker:
"Chromolithografie, der Begriff wurde 1837 erfunden von Godefroy Engelmann, einem Elsässer, der diesen lithografischen Farbendruck patentieren ließ. Das besagt nichts anderes, als dass die Lithografie nicht von einem Stein, sondern von mehreren Steinen und Farben übereinander gedruckt wird."
Mehrere Tausend Chromo-Prints hütet das Hamburger Museum, Resultat der Sammelleidenschaft des Gründungsdirektors Justus Brinckmann. Dieser sammelte damals alles, was bunt und anschaulich war: Plakate und Verpackungen, Bildnisse von Damen aus Adels- und Modehäusern, gern auch drollige, pausbäckige Kinder. Da werden erzieherische Abenteuer und romantische Märchen illustriert, biedere Stadt- und Fabrikansichten und imposante, hoch aufragende Passagierschiffe porträtiert. Der Bogen reicht von fein ornamentierten Menükarten des Berliner Königshauses über bunte Weinetiketten bis zu großen, dekorativen Farbdrucken fürs Wohnzimmer. Kulturkritiker waren schon damals skeptisch. Man fürchtete einen Verfall der Sitten durch die Flut der "Chromo-Angebote". Dass man damals nicht vor der Kitsch-Gefahr dieser bonbonfarbenen Wohlfühl-Bilder warnte, liegt schlicht daran, dass der Begriff "Kitsch" noch gar nicht erfunden war:
"Dieses Empfinden, dass das Kitsch ist, das haben wir heute, angesichts mancher dieser Blätter, weil sie wirklich sehr süßlich sind, aber wenn Sie 50 Jahre zurückdenken, dann hat man fast alles von dem hier nicht mehr angekuckt. Genauso wie man den Jugendstil bis Anfang der 60er-Jahre nicht angucken wollte. Der galt als fürchterlich kitschig. Unser Geschmack wandelt sich, und wir können jetzt viel davon wieder vorbehaltlos betrachten und den Informationswert herausfiltern."
So bleibt – angesichts der bunten Bilderrevolution von einst – wahr, was der schottische Philosoph David Hume schon 1756 schrieb: "Schönheit ist keine Eigenschaft der Dinge an sich: sie ist lediglich in dem Geist vorhanden, der die Dinge betrachtet." Wer sich vom Kitschvorwurf nicht ins Bockshorn jagen lässt, wird in den Hamburger Exponaten eine heitere Fülle von Hinweisen auf die Lebendigkeit und die Skurrilität des Alltags von einst entdecken können.
"Diese Blätter entstanden zu der Zeit, wo die Grenzen zwischen Kunst und Werbung oder angewandter Kunst noch nicht gezogen waren. Es ist in Deutschland ja heute üblich, dass man zwischen freier Kunst und Angewandtem trennt. Wir müssen uns schon vorstellen, dass alle diese Drucke in dem Sinne gemacht wurden: Wir machen Kunst! Ob das für ein Zweck ist wie Werbung oder ein Kinderbuch oder für etwas anderes, das ist egal."
Die technologische Kunst-Explosion im Druckerei- und Verlagswesen zwischen 1840 und 1890 ähnelte durchaus der digitalen Revolution von heute. Plötzlich drängten neue, sinnliche, bunte und aktuelle Medien auf den Markt: Illustrierte Zeitschriften, Widmungsblätter und Werbung, Sammelbilder und andere "fliegende bebilderte Blätter". Dabei waren die komplizierten Druck-Techniken zunächst Sache für hoch spezialisierte Handwerker:
"Chromolithografie, der Begriff wurde 1837 erfunden von Godefroy Engelmann, einem Elsässer, der diesen lithografischen Farbendruck patentieren ließ. Das besagt nichts anderes, als dass die Lithografie nicht von einem Stein, sondern von mehreren Steinen und Farben übereinander gedruckt wird."
Mehrere Tausend Chromo-Prints hütet das Hamburger Museum, Resultat der Sammelleidenschaft des Gründungsdirektors Justus Brinckmann. Dieser sammelte damals alles, was bunt und anschaulich war: Plakate und Verpackungen, Bildnisse von Damen aus Adels- und Modehäusern, gern auch drollige, pausbäckige Kinder. Da werden erzieherische Abenteuer und romantische Märchen illustriert, biedere Stadt- und Fabrikansichten und imposante, hoch aufragende Passagierschiffe porträtiert. Der Bogen reicht von fein ornamentierten Menükarten des Berliner Königshauses über bunte Weinetiketten bis zu großen, dekorativen Farbdrucken fürs Wohnzimmer. Kulturkritiker waren schon damals skeptisch. Man fürchtete einen Verfall der Sitten durch die Flut der "Chromo-Angebote". Dass man damals nicht vor der Kitsch-Gefahr dieser bonbonfarbenen Wohlfühl-Bilder warnte, liegt schlicht daran, dass der Begriff "Kitsch" noch gar nicht erfunden war:
"Dieses Empfinden, dass das Kitsch ist, das haben wir heute, angesichts mancher dieser Blätter, weil sie wirklich sehr süßlich sind, aber wenn Sie 50 Jahre zurückdenken, dann hat man fast alles von dem hier nicht mehr angekuckt. Genauso wie man den Jugendstil bis Anfang der 60er-Jahre nicht angucken wollte. Der galt als fürchterlich kitschig. Unser Geschmack wandelt sich, und wir können jetzt viel davon wieder vorbehaltlos betrachten und den Informationswert herausfiltern."
So bleibt – angesichts der bunten Bilderrevolution von einst – wahr, was der schottische Philosoph David Hume schon 1756 schrieb: "Schönheit ist keine Eigenschaft der Dinge an sich: sie ist lediglich in dem Geist vorhanden, der die Dinge betrachtet." Wer sich vom Kitschvorwurf nicht ins Bockshorn jagen lässt, wird in den Hamburger Exponaten eine heitere Fülle von Hinweisen auf die Lebendigkeit und die Skurrilität des Alltags von einst entdecken können.