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"Heute wird eine Ära beendet"

Die Region um die Stadt Vechta ist festes CDU-Land. Jürgen Trittin traute sich trotzdem hin, um dort als erster Grüner eine Festzeltrede zu halten. Der Empfang war freundlich - doch vermutlich wird es auch schon das letzte Mal gewesen sein.

Von Susanne Schrammar | 18.08.2011
    Vielleicht hatte Jürgen Trittin schon in der Berg- und Talbahn den Verdacht, dass dieser Tag nicht sein bester wird. Während sich das Karussell immer schneller dreht, umklammert der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag krampfhaft die Haltestange und versucht, nicht zu sehr in eine Ecke abzurutschen. Hinter ihm zwei kleine Mädchen, die gar nicht genug vom wilden Hin- und Her bekommen können. Trittin jedoch scheint keinen Spaß zu haben: Der hochgewachsene Mann verzieht keine Miene, selbst als er dem schnellen Gefährt wieder entsteigt.

    "Muss man Spur halten, ne? Ich gelte ja als jemand, der stur ganz gerade aus geht."

    Jürgen Trittin beim Stoppelmarkt in Vechta. Es hat tagelang geregnet, der Festplatz ist matschig und aufgeweicht. Der grüne Politiker schaut zuerst bei den Viehhändlern vorbei, die hier traditionell per Handschlag ihre Geschäfte machen. Als eine Ziege ihn keck anspringt, zuckt er ruckartig zurück, lieber schnell weiter zum Frühstück in einem der 20 kleinen Bierzelte. Die Region um Vechta ist kinderreich, geprägt von Landwirtschaft, wirtschaftlich erfolgreich und tiefschwarz. Wer wie an diesem Vormittag schon um halb zehn ein Bier zum Marmeladenbrötchen trinkt, der wählt aus Überzeugung CDU. Seit Jahrzehnten. Und doch sind die meisten Menschen neugierig auf den, der heute die - in der Region viel beachtete Festrede halten wird. "Hallo Herr Trittin!" ruft jemand freudig und der 57-jährige strahlt überrascht.

    "Ich find's gut, dass er hier ist, das ist mal was Anderes. Belebt mal den Stoppelmarktsmontag."

    "Also, ich finde es mutig von ihm, dass er hier im schwarzen Land auftreten tut."

    "Er hat sich ja unheimlich entwickelt, nicht? Heute ist er ja ein ganz smarter Typ geworden, hat sich meiner Meinung nach auch verändert."

    "Ich möchte's schon hören, denke ich."

    "Alles ist gespannt, was er sagen wird."

    "Ich frag mich nur, was steckt dahinter?"

    Der prominente Grüne tritt auf Wunsch des Bürgermeisters als Festredner auf. Eine Einladung mit Hintergedanken: Denn in einer Zeit, in der die Ökopartei bei Wahlen die 20-Prozent-Hürde locker überspringt, in der die CDU nicht mehr nur heimlich über schwarz-grüne Bündnisse nachdenkt und manche sogar vom Kanzlerkandidaten Jürgen Trittin träumen, wäre es ja nicht schlecht, in der konservativen Provinz ein wenig gute Stimmung zu machen. Doch der Stoppelmarkt ist kein einfaches Pflaster. Die 900 geladenen Gäste sind anspruchsvoll, erwarten pointiert-witzige Reden, in denen der Politiker Mensch ist, sich selbst und die eigene Partei auch mal auf die Schippe nimmt. Dafür werden die Redner in der Regel mit viel Applaus und überregionalen Schlagzeilen belohnt. Es gibt Spitzenpolitiker, die zugeben sich 14 Tage auf ihren Auftritt beim Stoppelmarkt vorbereitet zu haben. Und Jürgen Trittin? Der war vorher lieber mit seiner Mutter wandern.

    "Naja, ich bin ja nicht ganz unerfahren, ich rede seit Jahren immer auf Aschermittwochsveranstaltungen im Süddeutschen, ich hab auch schon in Bayern zwei, dreimal in Festzelten Reden gehalten, ja, man gibt sich da schon Mühe, aber 14 Tage finde ich da zu viel Aufwand."

    Durchaus wohlwollend wird der gebürtige Bremer in der Nachbarregion empfangen, auch der erste kleine Witz wird freundlich belacht, obwohl Trittin gleich zu Anfang den alten Provokateur gibt.

    "Heute wird eine Ära beendet, über 700 Jahre, seit 1289 war der Stoppelmarkt redetechnisch grünenfrei. Das ist vorbei. Eine schwarze Zeit ist zu Ende."

    Doch nach ein paar kurzen Schmeicheleien über die Region, ein paar charmanten Spitzen gegen die schwarz-gelben Regierungen in Bund und Land holt Trittin die parteipolitische Keule raus. Die meiste Zeit ätzt sich der grüne Fraktionsvorsitzende nahezu humorfrei durch die politische Landschaft. Er lästert, drischt auf Gegner ein und hält – kurz vor der Kommunalwahl in Niedersachsen – eine lupenreine Wahlkampfrede. Was fehlt, ist Leichtigkeit und Selbstironie. Stattdessen: Dauerwerbung in eigener Sache.

    "In Wahrheit regieren die Grünen. Sie waren es, die schon immer für langes, gemeinsames Lernen waren, sie waren es, die seit Jahren die Abschaffung der Wehrpflicht gefordert haben, sie sind es, die seit 30 Jahren für den Ausstieg aus der Atomenergie gestritten haben."

    Am Ende gibt es vereinzelt sogar Buhrufe für Jürgen Trittin. Der bleibt zwar noch tapfer zum traditionellen Bohnenessen, doch die Schwarzen auf dem Stoppelmarkt bleiben auf Abstand zu ihm. Die Chance, die Herzen der traditionellen CDU-Wähler für die Grünen zu erwärmen, vertan.

    "Am Ende, war es zu sehr politisch und passte überhaupt nicht in den Rahmen des Stoppelmarktes hinein."

    "Eine Wahlkampfrede, die er auch bei den Grünen hätte halten können."

    "Was er an Wählern beim ersten Teil gewonnen hat, das hat er beim zweiten Teil verloren."

    "Er glaubt sicher, dass er das nicht nötig hat – Sympathiepunkte zu sammeln."

    "Auch ein Politiker, der nicht schwarz ist, hat nachher Standing Ovations gekriegt, wenn's sich gelohnt hat. Bei ihm ist keiner aufgestanden."