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Hier entstanden nicht nur Rilkes Elegien

Das Meer liegt direkt unterhalb der Terrassen. Oder um es genauer zu sagen: unterhalb der vielen Terrassen und Gärten. Ein raues Meer, das nicht selten von starken Winden gegen die Küste getrieben wird. Bora heißen die schlimmsten Winde. Sie sind Stürmen gleich und peitschen das Wasser in Richtung Norden. An jene Küste, an der die Hafenstadt Triest liegt und wo sich, direkt am Meer, das Castello di Duino erhebt.

Von Thomas Migge |
    Das Schloss von Duino ist ein Neubau. Auch wenn es alt aussieht. 1916 wurde es zerstört, aber in kürzester Zeit wieder aufgebaut. Originalgetreu mit einer mittelalterlichen Zinnenkrone und einem einschüchternd festungsartigem Aussehen. Der Turm der Anlage ist der älteste Bauteil. Er stammt aus der Zeit der alten Römer. Ein Schloss in Privatbesitz: der italienische Zweig derer von Thurn und Taxis, die hier Torre e Tasso heißen, wohnt hier. 1911 besuchte Rainer Maria Rilke das Schloss von Duino. Er blieb ein Jahr als Gast der Fürstin und verfasste die "Duineser Elegien", eines der bekanntesten deutschen Gedichte überhaupt, weiß der Literaturexperte und Schriftsteller Emanuele Trevi:

    Das Unendliche im Kleinen, das war es, was Rilke in Duino faszinierte. Das heißt: die geographisch eigentlich kleine Adria wirkt, vom Schloss aus besehen, auf den Betrachter wie ein großes Meer mit einem riesigen, schier endlosen Horizont. Wenn man dann begreift, wie klein dieses Meer hier ist, dann will man das zunächst gar nicht glauben.

    Ende des 19. Jahrhunderts hielten im Schloss von Duino Teresa Thurn-Hofer Valsassina und ihre Tochter Maria von Thurn und Taxis Hof. Sie öffnete ihre Salons für den kulturellen Jet Set ihrer Zeit. Zu Gast waren Franz Liszt und Johann Strauss, Kaiserin Sissi und der italienischkritische Mark Twain, Paul Valery und auch Rainer Maria Rilke. Der deutsche Dichter war von der gutaussehenden Maria so angetan, dass er 17 Jahre Briefe mit ihr wechselte.

    Es gibt keinen anderen Ort für Rilke, an dem er sich in Italien so wohl fühlte wie in diesem Schloss. Bei allem, was er über Italien schrieb, scheinen ihm die Monate mit Maria die bewegendsten gewesen zu sein. Deshalb bedeutet die jetzige Öffnung des Schlosses, dass Rilke-Liebhaber endlich die Möglichkeit haben, dieses Traumschloss deutscher romantischer Dichtung zu besuchen. Rilke liebte diese Landschaft.

    Die den Besuchern zugänglichen Räume sind insgesamt 15 Säle. Zu besichtigen sind unter anderem die berühmte Wendeltreppe des berühmten Renaissancebaumeisters Palladio und das von Liszt gespielte Klavier. Die einzelnen Sälen zeigen Kunstwerke aus der jahrhundertealten Geschichte des Schlosses aber auch Raritäten, die vom ganz persönlichen Geschmack der Familie Thurn und Taxis zeugen. Einige Säle stellen archäologische Fundstücke aus, andere Dokumente, die einen Einblick in die europäischen Verflechtungen der Familie von Thurn und Taxis liefern: Briefe von Napoleon, Geschenke von Königen und Fürsten.

    Besonders interessant ist der veröffentliche Briefwechsel zwischen Rilke und Prinzessin Maria. Der Inhalt dieser Briefe wird - so versprechen die Museumskuratoren - in verschiedenen Sprachen wiedergegeben. Sehr interessant ist auch das schlosseigene Fotoarchiv. Tausende von Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen Könige und Zaren, Sigmund Freud und die Hohenlohes und andere Prominente des 19. Jahrhunderts. Emanuele Trevi:

    Vielleicht gibt es in ganz Italien keinen Ort, der so sehr eine Idee von der intellektuellen Atmosphäre des späten 19. Jahrhunderts vermittelt wie dieses Schloss. Hier entstand ein poetischer Mythos, der bisher nicht zu besichtigen war. Das Werk Rilkes ist auch in Italien sehr beliebt.

    Und so pilgern auch viele Italiener zu dem Schloss von Duino. Zu jenem berühmten Park mit seinen fantastischen Skulpturen, mit den Alleen und Brunnen, die wie eine kultivierte Antithese zu dem wilden Meer unterhalb des Schlosses wirken. Wer nicht von rilkeschem Geist getrieben ist kann sich am Mobiliar des Schlosses berauschen. Kostbarstes Mobiliar: da ist ein französisches Bett aus der Zeit von Ludwig XV. von Frankreich. Eine unschätzbare Antiquität. Da ist ein komplettes Barockschlafzimmer aus Venedig. Ganz zu schweigen von Schreibtischen und Sofas, von Aubusson-Teppichen und Lackschränken im Chinastil. Immer wieder trifft der Besucher beim Gang durch das Schloss auf Bezüge zu Teresa Thurn-Hofer Valsassina und ihrer Tochter Maria. Fotografien, Gemälde und jene Musikinstrumente, die man damals gemeinsam mit berühmten Musikern spielte.

    In einem der jetzt geöffneten Säle steht ein Pianoforte von Johann Schnatz aus Wien mit einem vergoldeten Bronzedekor und 5 Pedalen. Hier musizierten Teresa und Franz Liszt. Sie interpretierten Schumann und Werke von Liszt. Wie zum Beispiel das Stück "La Perla", die Perle. Der deutsche Musiker komponierte es nach einer Poesie seiner Hausherrin.

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