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Hier geblieben!

Zwei Drittel der Studenten in Sachsen-Anhalt zieht es nach dem Abschluss in die Ferne. Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) fordert nun von den Hochschulen, dass künftig mehr Absolventen im Land der Frühaufsteher bleiben. "Klebeeffekt" nennt er das. Der Vorschlag sorgt für Kritik - mancher fühlt sich gar an DDR-Zeiten erinnert.

Von Christoph Richter | 12.04.2013
    "Es gibt Studiengänge, da fangen die an, und nach zwei, drei Semestern sind die raus."

    Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff ist entrüstet. Und kritisiert, dass Studierende wegen der guten Studienbedingungen aus ganz Deutschland nach Halle, Magdeburg oder Merseburg kommen, studieren und dann einfach wieder gehen. Damit kann sich der studierte Physiker Haseloff nicht abfinden. Und rechnet vor, dass nur ein Drittel der derzeit Studierenden im Lande bleiben würden. Man bilde für den Westen aus, sagt er. Dazu sei er nicht bereit. Das koste schlicht zu viel Geld. Und das habe man nicht. Der Klebeeffekt – eine unschöne Politvokabel - müsse stimmen, betont Ministerpräsident Haseloff. Das heißt: Absolventen sollten möglichst in Sachsen-Anhalt bleiben. Eben kleben bleiben.

    "Klebeeffekt ist ja nur dann gewährleistet, wenn Absolventen hinten bei uns, an unserer Hochschule rauskommen. Hier bleiben. Und nicht, weil sie den Numerus Clausus an einer anderen Ecke umgangen sind, dass sie schlicht und einfach, dass Land dann wieder verlassen. Dass kann doch nicht unsere Kapazitätsplanung sein."

    SPD-Finanzminister Jens Bullerjahn geht noch weiter und spricht gar von finanziellen Anreizen. Mit denen die Hochschulen belohnt werden könnten, die viele Absolventen im Lande hielten.

    "Wenn ich dann noch erlebe, dass wir die Arbeit derer machen, die unter Bedarf ausbilden, wie Bayern und andere, wie das bei den Ärzten ist. Was ergibt das für einen Sinn, wenn wir – noch mit Schulden – Hochschulen vorhalten. Das will mir nicht in den Kopf. Also wenn die alle hier bleiben würden, dann lege ich noch was drauf. Sofort."

    Das heißt, man will nur noch die Studierenden, die man später im Lande auch braucht. Wie er das allerdings berechnen will, weiß Jens Bullerjahn nicht. Klingt alles ein wenig nach Planwirtschaft. Und hat den Geruch der Absolventenverpflichtung, wie man sie in der früheren DDR praktiziert hat. Als man nach dem Abschluss des Studiums zur Arbeit an ferne Orte zwangsverpflichtet wurde. Forderungen die an der heutigen Lebenswirklichkeit vieler Studierender schlicht vorbei geht.

    "Ich selbst kann es mir nicht vorstellen, weil ich etwas studiere, wo man auch ins Ausland geht. Also ich möchte eigentlich lieber irgendwo arbeiten, wo vielleicht ein größeres Unternehmen angesiedelt ist, was auch international agiert."

    Sagt Sabine Dehnert. Sie kommt aus Salzgitter und studiert an der Uni Magdeburg im 4. Semester Internationales Management. Ähnlich sieht es der Umwelt- und Energieprozesstechnikstudent Frank Richter. Auch er will dem Land den Rücken kehren.

    "Ich meine, ich hab mein ganzes Leben hier verbracht. Ich kenne jede Ecke hier. Und Zeit für was Neues wäre es schon mal. Und ich denke, da wäre eine etwas größere Stadt so Richtung Leipzig, Köln. Das wäre schon interessanter."

    Mediokre Landespolitik nennen kritische Beobachter das Szenario der Forderung nach einer Absolventenlenkung. Damit werde eine gesichtslose Zukunft geschaffen. Sagen auch Hochschulrektoren, wie Andreas Geiger von der FH Magdeburg-Stendal.

    "Das ist nicht Sache, kann nicht Sache der Hochschulen sein, dass die Absolventen hier bleiben."

    Sozialwissenschaftler Geiger ergänzt, dass es nicht gerade einer offenen, multikulturellen Wissensgesellschaft entspräche, wenn man Studierende zwänge, nach dem Studium im Land zu bleiben. Ähnlich sieht es Jens Strackeljahn, ein habilitierter Maschinenbauer. Rektor der 1993 gegründeten Otto von Guericke Universität Magdeburg.

    "Das ist die freie Entscheidung derer, die als Absolventen dann die Uni verlassen. Was wir tun können – da könnten wir uns durchaus verpflichten – dass wir sagen: Okay, es findet eine Exkursion zu einem großen Automobilbauer nach Süddeutschland statt, aber wir zeigen euch auch, dass 20.000 Beschäftigte in der Zulieferindustrie in Sachsen-Anhalt ihr Brot verdienen. Und dass kreative Ingenieure ihren Beitrag leisten, auch hier im Land gebraucht werden. Das sind Angebote, die wir schaffen können."

    Konkrete Zahlen wie viele Absolventen letztlich in Sachsen Anhalt bleiben, sind schwer zu bekommen. Nach verschiedenen Studien – wie vom Allensbach-Institut oder der MINT-Studie – bleiben etwa 43 Prozent der Studierenden im Land. Aber eigentlich will sich der Magdeburger Rektor Jens Strackeljahn mit der Forderung der Landespolitiker nach Absolventenlenkung gar nicht beschäftigen.

    "Da würde ich mir Rahmenbedingungen und einen Schwung durch die Landesregierung, so einen Wind der hier durchs Land weht, wünschen. Eine Ansiedlungspolitik, sodass man sagt: Jawohl, hier komme ich hin. Das ist ein Land in Deutschland, in Europa, wo die Post abgeht. Das wäre mein Wunsch."

    Und: Die Hochschulen seien es, die das Land am Leben halten. Sie bringen Studierende und damit junge Leute nach Sachsen-Anhalt, die die demografische Überalterung dämpfen. Strackeljahn warnt, der vitalen Hochschullandschaft Sachsen-Anhalts den Hahn abzudrehen. Letztlich seien die Studierenden so was, wie die Über-Lebensversicherung Sachsen-Anhalts. Und das gehe eben nur ohne Zwang und ohne postsozialistische Absolventenlenkung.