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Hier sind sie durchgezogen

Das Bergisch-Märkische Land soll zum Teil Schauplatz der Nibelungensage gewesen sein, so die These eines Schriftstellers. Harry Böseke nimmt Besucher mit auf eine Expedition durch die Sagenwelt im Rheinisch-Westfälischen Grenzraum.

Von Constanze John | 27.03.2011
    "Sie waren hier. Sie sind hier durchgezogen!"

    "Und diese Orte finden wir in der Landschaft wieder. Nicht nur im Buch."

    "Ich glaube schon, dass die Nibelungen diesen Zug unternommen haben, von der linken Rheinseite, irgendwo aus dem Neffelgebiet, vielleicht auch aus dem Belgischen, belgisch-deutschen Grenzgebiet, das halte ich für offen. Jedenfalls - sie sind gezogen - dann im heutigen Leverkusen, dann also über den Rhein gesetzt, und dann diese Strecke gewandert bis Soest, die das Nibelungenlied auch beschreibt."

    "... flackert in mir dieser Funke wieder auf. Und der gerät jetzt so richtig in Brand. Wenn ich nämlich die Leute um mich herum sehe, wie sie fasziniert sind von diesem Gedanken. Die haben mich mit angesteckt!"

    Viel Staunenswertes ist in den alten Geschichten auf uns gekommen. Kunde von hochberühmten Helden und ihren Taten und ihrer Not, von Festesfreuden und Jammergeschrei und den Kämpfen der Kühnen, und wer mag, kann nun von all dem hören. Es werden aber wundersame Dinge darunter sein.

    Das Bücherdorf Müllenbach/ Marienheide. Am dortigen Haus der Geschichten treffen wir uns. Ich selbst bin hierher westwärts gezogen, bin fremd hier, Gast. Die Nibelungen wiederum sollen nordwärts gezogen sein. Eine Idee, die schon der Germanist Dr. Heinz Ritter-Schaumburg vertrat. Und mit Worms habe all das überhaupt nicht zu tun. Der Schriftsteller Harry Böseke folgt Ritters Grundidee, besitzt aber - im Gegensatz zu Dr. Ritter - sichere Ortskenntnisse.

    Die Ursprünge der Nibelungensage reichen bis in die Zeiten der germanischen Völkerwanderung zurück. Es gab die mündliche Erzählungen - Nibelungenlied, Dietrichssage, Lieder der Edda -, und dann gab es Aufzeichnungen dieser Sagen, Abschriften, Übersetzungen, Nachdichtungen.

    "Es gibt verschiedene Handschriften dieser Abschriften, die im Schwedischen und in Norwegen überlebt haben. Und diese Abschriften habe eine Besonderheit: Sie gleichen sich - bis auf eine. Und diese eine Handschrift B der sogenannten Dietrichschronik, die hab ich nun. Und da sind alle, alle Namen können Sie hier in diesem Bereich herausfinden. Da steht nicht "das Sverige Land", als das Schwedenland, da steht das "Suerige Land", das Sauerland. Welcher Schwede schreibt "Sauerland" und weiß, wie man das hier in Landessprache ausspricht?"

    Und auch der Begriff der Nibelungen - durch Lautverschiebung "Nifelungen" - hat vielleicht eher mit dem Neffelbach zu tun, der im Raum Zülpich seine Flussbett hat - als mit Nifelheim, dem Nebelheim, dem sagenhaften Totenreich.

    "Es gibt natürlich hundert Fragen noch, die offen sind und wo etwas gemacht werden muss."

    Doch der Funke ist längst gesprungen. Heute hat Harry Böseke eingeladen zu einer Nibelungenexpedition durchs Bergisch-Märkische Land. Auch der Heimatforscher Bernd Boskow sowie Ehepaar Henseler sind der Einladung gefolgt. Mit Boskows Wagen fahren wir durch die bergige, reich bewaldete Landschaft. Apropos - reich. Führten die Nibelungen nicht auch einen Schatz bei sich? Was war das für ein Schatz? Und ist er noch zu heben?

    Ich versuche, kühlen Kopf zu bewahren.

    Die Nibelungen zogen nordwärts - von Köln nach Soest. Gerade stehen wir am Ufer der Wupper, dort, wo die Wupper noch Wipper heißt. Etwa fünfunddreißig Kilometer vom Rhein entfernt, befindet sich Wipperfürth, gelegen an einer jungsteinzeitlichen Straße, am sogenannten Herweg, einer Fortsetzung der alten Römerstraße, als Passage in das Sauerland.

    "Nachdem die uns bekannten Niflungen aus der Voreifel eben den Rhein erreichten und über den Rhein gingen, wo sie übrigens ziemlich kenterten, denn sie kannten die Gesetzmäßigkeiten des Flusses nicht und sind also ziemlich nass geworden."

    Und das soll genau an der Stelle geschehen sein, wo die Duna in den Rhein "fällt". Duna wurde übersetzt mit Donau. Doch nirgendwo "fällt" dieselbe tatsächlich in den Rhein. Deshalb - die Exkursionsteilnehmer sind sich in Hauptindiz Nummer Eins einig - könne es nur die Dune sein, die Dünn, die noch bis 1820 nahe Leverkusen in den Rhein floss.

    "... Wir haben ja an der Dünn gewohnt, praktisch also in der Nähe der Dünn. ... Und ich weiß, alte Schreibungen lauteten Dunn. Oder auch Dun. Oder auch der Fluss - Dune, ja. Also ... da besteht überhaupt kein Zweifel bei mir, dass die Dünn gemeint ist."

    "Vielleicht sind auch einige ertrunken, einige haben es geschafft. Hagen vorneweg. Der war dabei. Einer der Ersten, der das Land erreicht hat. So. Aber ob sie den Schatz auch haben retten können, in dieser Situation, ob sie auch dran gedacht haben, ja, ihre Satteltaschen auch zu retten, das bezweifle ich auch ohnehin."

    Das hieße, es könne sein, eventuell und unter bestimmten Bedingungen, dass der Schatz der Nibelungen noch heute auf dem Grund des Rheins liegt? Günter Henselers klare Meinung: Nein! Denn gerade auf der Strecke durch Köln habe der Rhein mehrmals sein Bett geändert. Unter einem Ackerstück könne er aber noch liegen, unter einem Stück Wald. Das durchaus. Die Furth an der Wipper durchquerten sie vielleicht schon ohne Schatz.

    "Nach einem Tag sind sie dann hier genau angekommen. Das können wir hier (von der Wege) vom Wegeverlauf deshalb nachweisen, weil wir diesen Weg auch mit Pferden abgegangen sind. Wir wissen, wann die Pferde müde waren. (Und warum soll die Bedeutung nicht da auch ihren Niederschlag gefunden haben.) Wir finden hier aller 25, 35 km die nächsten mittelgroßen Städte. Und das waren die Punkte der Rast und der Einkehr."

    Unsere nächste Station ist, nur wenige Kilometer von Lüdenscheid entfernt, der Ort Bollwerk. In Bollwerk kommt zum ersten Mal das Bergisch-Märkische Land als das Ruhrgebiet des Mittelalters zur Sprache. Hier wurde in großem Umfang Eisen gewonnen. Eisen brauchte man - unter anderem - zur Herstellung von Kettenhemden, Rüstungen und Schwertern. So ausgerüstet könnten die Nibelungen gut über den jungsteinzeitlichen Herweg auch durch Bollwerk gekommen sein.

    "Ja, die Nibelungen waren, nehme ich an, alle nur zu Pferde."

    "Die hatten keine Wagen mit. Diesen Schatz, den sie angeblich mitgeführt haben, der wird wohl anderweitig existiert haben."

    "Das war Männersache. Die Frauen haben da nichts zu suchen gehabt. Zur damaligen Zeit noch nicht."

    "Brunhild war zu Hause und Krimhild war in Soest. Sie hatte dort Attila geheiratet, den König der Hunnen. Daraus wird im Nibelungenlied Attala oder Etzel, der König der Hunnen. (Diese Verschreibung der Geschichte hat länger überlebt als alles andere.) ... Und der Zug der Niflungen wurde auch deshalb gemacht, weil Krimhild ihre Brüder gebeten hat zu kommen, denn ihr Mann war schon sehr alt. Und ihre Brüder sollten nun sozusagen dieses Land mitverwalten. Und das haben sie sich nicht zweimal sagen lassen und sind also aufgebrochen."

    "Siegfried der Drachentöter?", fragte König Giselher. "Man kann ihn nicht töten", sagte Hagen. "Seine Haut ist vollständig mit Horn überzogen. Er hat sich im Blut des erschlagenen Drachen gebadet, da ist ihm ein Panzer gewachsen, der ihn unverwundbar macht."

    Blut? Panzer? Unverwundbar? - Harry Böseke entwickelte Indiz Nummer Zwei. Denn wurden nicht aus dem hiesigen Eisenerz Kettenhemden hergestellt? Und wurden dieselben nicht zum Härten und zur Oberflächenveredelung in Tierblut gebadet? Bei Kettenhemden gab es nur eine einzige verwundbare Stelle - zwischen den Schulterblättern, wo das Kettenhemd mit einem Lederriemen verschlossen wurde. Eine Stelle - nicht größer als ein Lindenblatt!

    "Wir sind zwar nicht im Hochgebirge, aber wir sind im Land der tausend Berge. Wo es rauf und runter geht. Tausend ist vielleicht untertrieben."

    Wir erreichen etwas abseits des Nibelungenweges Alfrin. Eine freundliche Anwohnerin bietet uns hinter ihrem Haus einen Platz zum Rasten an. Sie und auch ihre etwa achtjährige Tochter hören Harry Böseke zu, als er aus der Dietrichssage Handschrift B zu lesen beginnt. Und das soll vor tausendfünfhundert Jahren hier geschehen sein:

    "Als Dietrich zwölf Jahre alt war, reitet er mit Meister Hildebrand eines Tages mit ihm aus, mit Habicht und Hund. Sie pflegten auch niemals auszureiten, ohne dass sie ihre Rüstung anhatten. Sie erblickten einen Hirsch und schlugen ihre Hunde los. Hirschheit - zu denen gehört Alfrik - hat im Wappen - einen Hirschen."

    "Genau!"

    "Nun", sagte er. "Lass mich am Leben. Ich hole dir so viel Gold und Silberweisen, wie dein Vater nie hat!" Dietrik fragte, wo das wäre. Der antwortete: "In einem Berg hier ganz nebenbei!" - Es lohnt sich für Sie zu gucken!"

    "Sehen Sie, und wir suchen seit Jahren hier nach dem Hausschatz."

    "Den gibt es! Und nun bitte noch: "Der Schatz ist da. Dort wohnt ein großer Mann. Der heißt Grimm."

    "Und ich dachte, der heißt Friedhelm. So heißt mein Mann!"

    "Siering, Danklin, Merlin, Marlin, alles Namen, alle die auf diesen Ort mit -in enden. Wie hier. Und die sind in einem großen Kreis um Räring. Wir haben jetzt an einer Stelle, haben wir sinngemäß: "Sie konnten in den neun Königshöfen..." Und das sind neun! Es sind neun, die sich hier rum gruppieren! ... "Konnten sie kein Wasser finden, um das Eisen zu härten."

    "Was mir durchaus geläufig ist, dass es hier an Wasser mangelt. Denn sowas werden wir hier nicht viel finden."

    "Aha."

    "... Jetzt haben alle Häuser Hausbrunnen. Wir hatten früher sehr viele Menschen im Haus. Da haben wir sehr oft Sommer gehabt, die sehr heiß waren und wo wir nicht genügend Wasser hatten ... Hier gab es keine feste Wasserleitung, die man auch zuschalten könnte oder so. ... Und ich erinnere mich, dass wir oft die Hände gefaltet haben und gebetet haben um Regen. Damit wieder Wasser kommt."


    "Das sind Nachrichten aus 500 oder 700 nach Christi. Wahrscheinlich zur Zeit Karl des Großen ist das geschrieben worden. (...) Da wurde alles übersetzt, weil man die Gegend nicht kannte, mit Schweden, Seeland. Und da steht gar nicht Schweden, da steht Suarige Land."

    "Ah, Suarige Land!"

    "Wie würden Sie es sagen?"

    "Jaja, Suarige Land."

    "Suarige Land. Und es steht Siejerland."

    "Ganz herzlichen Dank, Ihnen an dieser Stelle! Es wird die Geschichte verändern. Ich hoffe ... Machen Sie eine Gastwirtschaft auf!"

    Nun hört von dem Schatz wunderbare Märe:
    Zwölf schwere Wagen mussten dreimal hin und her
    voll beladen fahren vom Berge Tag und Nacht
    und brauchten doch vier Tage, bis man ihn aus dem Berg gebracht.

    Wir erreichen Herscheid und legen unsere Mittagsrast ein. Ich muss wieder an den Schatz denken. Was machte ihn aus? Gab es ihn noch? Und wenn ja - wo?

    "Bei mir allein ist nun verborgen der ganze Schatz der Nibelungen", sagt Gunter. "Der Rhein soll walten des Kampferzes der Helden." Er spricht von Erz (...) und nicht von Edelsteinen. Von Erz!"

    "Am Rhein?"

    "Am Rhein, ja, vielleicht ist er mit ..."

    "Aber ich kann mir nicht denken, dass die Nibelungen aus dem Linksrheinischen Erz in das Rechtsrheinische befördert haben."

    "Eher anders herum."

    "Sie haben Eisenerz genug gehabt."

    "Und ich gehe auch in diesem Fall davon aus, dass es etwas hochgespielt worden ist. (...) Man brachte sich ja Geschenke. Und das könnte auch ein kleiner Schatz gewesen sein. Das muss aber nicht Wagen voller Gold gewesen sein."

    "Ich sehe das mit dem Schatz so, also, ich denke, wenn es diesen Schatz überhaupt gegeben hat und er nicht das Produkt der dichterischen Freiheit gewesen ist, dann war es schon ein Goldschatz. (...) Die Nibelungen wohnten in einem Gebiet, was ja bis zum Jahre 70 römisches Siedlungsgebiet gewesen ist. (...) Die Römer haben also sehr viel Kultur mitgebracht, Gläser, auch Gold ..."

    In Herscheid, gegenüber dem Hotel Adler, ist an einer Hauswand eine große Landkarte angebracht. Harry Böseke fasst unseren bisherigen Weg noch einmal - sagenhaft - zusammen.

    "Ja, in dieser Landgemeinde Herscheid - ein schöner Ausflugsort - mitten im Ebbegebirge, oder am Ebbegebirge, ist insofern bedeutungsvoll, weil hier drei Sagenkreise zusammenkommen. Wir haben zum einen die Geschichte von Wieland dem Schmied, mit den allerbesten Eisen- und anderen Vorkommen, Metallvorkommen dieser Gegend. Wir haben auf der anderen Seit den Ritt von Dietrich vom Rhein in diese Gegend, weil es auch eine Jagdgegend war, wo er den Hirschen gejagt hat (...) Und die dritte Sage: Drei Kilometer nur weiter läuft der Weg von Köln nach Soest. Autogeräusche Es ist also der Weg, den wir gegangen sind."

    Und nicht nur wir sind ihn gegangen, sondern einst möglicherweise die Nibelungen. Unser letztes Ziel für heute ist Schloss Neuenhof. - Auch Schloss Neuenhof liegt am bergisch-märkischen Nibelungenweg. Zeitweise öffnet der ortsansässige Baron gern die Türen seines Hauses. Das Nibelungenfieber hat auch ihn erfasst. - Wir erreichen das Gelände des Wasserschlosses früher als verabredet.

    "Fantastisch! - Kann man gar nicht hoch genug ein ..."

    "Ehepaar Henseler!"

    "... schon seit vielen Jahren."

    "Und Bernd Boskow. Sie kennen sich ja auch. Ja, schön. Wir sind etwas früher, aber vom Zeitpunkt her, geht's doch."

    "... bis vor einem Jahr, Herr Böseke weiß noch genau das Datum, waren wir noch nicht davon überzeugt, dass die Nibelungen hier vorbei marschiert sind. Denn es fehlte uns bis dato ein irgendwie greifbarer Beweis, dass der Weg, der hier vorbei führt, den wir auch schon immer als Fernweg interpretiert hatten, tatsächlich als solcher benutzt worden war. Und diesen Beweis, oder soll ich sagen Indiz, hat uns dann Herr Böseke mit seiner fabelhaften Expedition gebracht, als Pferd und Hund und Mensch plötzlich auf dem Hof standen. Und sie sagten, sie haben schon einige zig Kilometer hinter sich, sind immer wieder bestätigt worden unterwegs, dass sie auf dem Nibelungen- also auf dem Heerweg waren, und so hier angekommen sind. (...) Die Wasserburg ist zwar erst aus dem 12. Jahrhundert nachgewiesen, aber dieser Platz war auf jeden Fall ein wichtiger Platz, oder war ein Platz an einem Fernweg."

    Der Tag neigt sich. Mit den Nibelungen habe ich auch Land und Leute im Bergisch-Märkischen kennengelernt. Wie hätte ich das ahnen können, was sich mir als Durchreisenden noch verschloss - an Geschichte und Geschichten? Ja, und vielleicht ist das der eigentliche Schatz und Harry Böseke und seine Mitstreiter haben ihn gehoben?

    "Schafft mir die Nibelungen her!" "Die Nibelungen? Wer ist das, Herrin?"
    "Sie besitzen den Schatz der Nibelungen", erwiderte Kriemhild. "Darum nenne ich sie so. Nun geht und bedenkt, wie ihr Hagen herbringt!"

    "Sie waren hier. Sie sind hier durchgezogen!"