Freitag, 19. April 2024

Archiv


Hieronymus Bosch - 'Garten der Lüste'

Die Arbeit über Hieronymus Boschs Garten der Lüste sei eine Erholung gewesen, sagt Hans Belting. Und er mag es tatsächlich so empfunden haben; was seinem Buch allerbestens bekommen ist. Es liest sich mit solcher Leichtigkeit, dass es - trotz seines akademischen Anspruchs - zweifellos nicht nur für einen kleinen Kreis von Fachleuten geschrieben wurde, sondern im Redefluss eines profunden Kenners der Materie einem breiteren Publikum gewissermaßen erzählt wird. Die Souveränität im Umgang mit dem Thema gründet auf einem Wissen, das Kunstgeschichte und Kunsttheorie nahezu aller Epochen in sich vereint. An Hans Beltings Veröffentlichungen ist das ebenso ablesbar wie an seiner Lehrtätigkeit: Nach über einem Jahrzehnt an der Ludwig-Maximilians-Universität in München ist er seit 1992 Ordinarius an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und Gastprofessor an der Ruperto-Carola- in Heidelberg sowie an der Columbia-University in New York. Er ist einer der international renommiertesten Kunsthistoriker, hat Standardwerke geschrieben wie Bild und Kult oder Das unsichtbare Meisterwerk, um nur zwei zu nennen; und fast nebenbei arbeitete er an der ambitionierten Ausstellung iconoclash im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe mit, nachdem er kurz zuvor in die phantastische Vorstellungswelt des Hieronymus Bosch eingetaucht war.

Martina Wehlte-Höschele | 05.08.2002
    Dessen Heimatstadt s'Hertogenbosch, nach der sich der Maler Jheronimus Anthonissen van Aken schon bald nannte, war Ende des 15. Jahrhunderts eine blühende Handelsmetropole im Rhein-Maas-Delta und mit rund 17.000 Bürgerinnen und Bürgern die drittgrößte Stadt in Brabant gewesen. Die Reichen und Mächtigen der Welt machten auf ihrem Weg nach Flandern oder weiter ins Deutsche Reich hier Station. Sie brachten Neuigkeiten mit, suchten nach den Strapazen der Reise geistige Erbauung, etwas Schönes fürs Auge, vielleicht noch ein erlesenes Gastgeschenk. In diesem gedeihlichen Klima arbeitete Hieronymus.

    Um 1450 als Spross einer alteingesessenen Maler- und Handwerkerfamilie geboren, konnte er seinen gesellschaftlichen Status durch die Heirat mit einer wohlhabenden Kaufmannstochter festigen und wohnte seit 1481 an der Nordseite des Marktes. Hier könnte ihn 1504 der Sohn Kaiser Maximilians I., Philipp der Schöne, zusammen mit Graf Hendrik von Nassau-Breda besucht und "ein großes Bild von 9 Fuß Höhe und 11 Fuß Breite" bestellt haben: ein Jüngstes Gericht, wohl ähnlich dem beberühmten Triptychon in der Wiener Akademie, und zwar ,pour son très noble plaisir', womit zum Ausdruck gebracht ist, dass es sich um einen Privatauftrag handelte. Bestellte Hendrik III., der gerade das Erbe seines Onkels angetreten hatte und auf der Reise zu seiner Hochzeit war, vielleicht in freundschaftlicher Konkurrenz das Komplementär dazu, den sogenannten Garten der Lüste. Dieses außergewöhnliche Bildwerk im Prado zu Madrid, bestehend aus einer großen Mitteltafel und zwei beidseitig bemalten Holzflügeln, hat die Menschen von je her in seinen Bann gezogen. In zusammengeklapptem Zustand ist die noch unbewohnte Erde in gänzlich farblosem Grisaille zu sehen. Beim Öffnen der beiden Flügel entfaltet sich im Innern des Triptychons eine überwältigende Farbenpracht und besonders im Mittelbild ein Gewusel von nackten Menschen und Tieren in üppiger Vegetation, so dass der Gegensatz nicht größer sein könnte. Adam und Eva, die auf dem linken Innenflügel mit Gottvater im Paradiesgarten zu sehen sind - ohne (und das ist für das Verständnis des Werks wichtig) einen Hinweis auf den Sündenfall, diese beiden haben sich in einem offenbar fortwährenden Paradies lustvoll vermehrt. Alterslos und der reinen Daseinsfreude hingegeben bewegen sich ihre Kinder und Kindeskinder durch ein Gestalt gewordenes Utopia, zu welchem der rechte Innenflügel die Hölle als nächtliches Gegenstück offeriert.

    Für mich ist das Paradies, was also nach der Vulgata , Ort der Lust' heißt, , locus voluptatis' - das hat ja Luther geändert - ist dieses Paradies eine Gegenwelt. Während die Hölle, die sich dann anschließt, eben so sehr mit weltlichen Szenen durchsetzt ist, mit Wirtshausszenen und allem möglichen, dass man eigentlich den Schluss ziehen muss, dass, wenn Bosch diese Hölle darstellt, er eigentlich die Welt darstellt.

    Dass Hieronymus Boschs Bilderwelt schon für die Zeitgenossen ein Faszinosum gewesen sein muss, lässt sich aus den zahlreichen Kopien, Paraphrasen und Fälschungen schließen. Sie bedienten eine offenbar unerschöpfliche Nachfrage, die kein künstlerischer Nachfolger, keine Bosch-Schule stillen konnte, weil des Meisters Werk aus einer einzigartigen schöpferischen Phantasie heraus entstand. Eine gewisse innere Verwandtschaft gibt es allenfalls zu Pieter Brueghel dem Älteren.

    Zu Boschs Lebzeiten gab es in den Niederlanden noch keine Kunstliteratur wie in Italien, so dass authentische Berichte über sein Schaffen, über Art, Umfang und Rezeption seiner Werke fehlen. Das ändert sich schlagartig ein Jahrhundert später, als diese merkwürdigen Bilder im Escorial in Madrid sind und auf dem Höhepunkt der Gegenreformation im Hinblick auf ihre religiöse Korrektheit gerechtfertigt werden müssen. So nahm beispielsweise der spanische Mönch Jose de Siguenza durch seine emblematische Deutung des Triptychons Bosch gegen den Verdacht der Ketzerei in Schutz. Und seither?

    Im 20. Jahrhundert ändert sich das wiederum, und zwar nicht nur durch den Surrealismus sondern zum Beispiel durch Wilhelm Fraenger, der unabhängig vom Surrealismus schon um 1920 in einem Rahmen, der die Kunst- und Literaturgeschichte neu verstehen will, Bosch entdeckt als jemanden, der unorthodox ist, der anscheinend mittelalterliche Bilder malt, aber auf eine Weise, die man sich damals nur vorstellen konnte als eine direkte Subversion der kirchlichen Positionen.

    Und das hat natürlich großes Interesse erweckt. Davon ausgehend hat man in Bosch einen Verbindungsmann zu Geheimbünden vermutet, zu aufständischen Organisationen usw., um in der Zeit um 1500 eine andere Gesellschaft zu entdecken als diejenige der offiziellen Quellen. Darüber wurde allerdings Bosch, der Maler vergessen. Belting hingegen nimmt - und das ist seine charakteristische Vorgehensweise - Bosch als Maler in den Blick: als einen Maler, der eine leere Fläche vor sich hat und - primär - Kunst machen will, die er - in zweiter Linie -inhaltlich rückbinden muss. Das heißt, Bosch ist über das Selbstverständnis mittelalterlicher Künstler hinausgegangen, hat aber noch nicht die italienische Kunsttheorie hinter sich, die den Schritt zur ars liberalis, zur freien Kunst, vollzog. Er ist ein Künstler der Zeitenwende vom Mittelalter zur Renaissance, und der Garten der Lüste ist für seine neue künstlerische Auffassung ein Schlüsselbild. Die Aufwertung der Malerei von einer bloßen Dienerin der Religion zu einem Medium der Bibelexegese - gewissermaßen an Stelle der Theologie - wird nach Belting an der Bild gewordenen Utopie vom irdischen Paradies auf der Mitteltafel des Triptychons ersichtlich. Der Maler nutzte hier einen inhaltlichen Freiraum, den die Genesis bot, indem er darstellte, wie die Welt geworden wäre, wenn der Sündenfall nicht stattgefunden hätte, dh. er füllte "eine Lücke in der Bibel" - so eine der Kapitelüberschriften -, indem er das kollektive Imaginäre darstellte.

    Und es scheint nun, dass man auch heute wiederum immer noch diese Ambivalenz bei Bosch als Faszinosum empfindet: Was ist er denn eigentlich? Ein mittelalterlicher Maier7 Ist er ein moderner Maler? Mein Freund Dietmar Kamper, der Soziologe aus Berlin, der kürzlich verstorben ist und dem ich das Buch gewidmet habe, hat immer wieder versucht (jetzt) das revolutionäre Potential in der Bildgeschichte und in der Literaturgeschichte zu entdecken und damit eine Unterströmung der offiziellen Geschichte dieser Künste. Der ästhetische Reiz auf der einen Seite und diese vollkommen unorthodoxe Behandlung anscheinend religiöser Themen oder gesellschaftlicher Themen, die halten eigentlich das Interesse an dem Maler Bosch, von dem man so wenig weiß und von dem man so viel wissen möchte immer wieder lebendig.

    Auch der Umstand, dass man das Thema der Mitteltafel nicht kennt oder zumindest vor Beltings überzeugender Interpretation nicht kannte und damit den Sinnzusammenhang der drei aufeinander bezogenen inwendigen Darstellungen nicht erkannte, eben das lieferte einen ständigen Anreiz sich gerade mit diesem unverständlichen Werk in einem ohnehin schwer verständlichen Oeuvre auseinander zu setzen. Darüber hinaus ist es das heutige Interesse am Tabubruch. Wie war es möglich, dass um 1500 nackte Paare beim Liebesspiel oder in erotischer Annäherung mit Tieren als darstellungswürdig erachtet wurden, umgeben von organoiden fleischtonigen Gebilden, von Früchten, Blüten und Ranken, Fischen und Vögeln, deren Sexualsymbolik eindeutig aber nicht anstößig ist. Der Blick des Betrachters gleitet an den merkwürdig bleichen Körpern entlang, die sogar schon als Seelen interpretiert wurden, und die tatsächlich von keuscher Anmut sind, wo man doch ebenso darauf gefasst sein müsste, auf irgendeine Perversion zu stoßen. Da ist sie wieder, diese Ambivalenz der Bildaussage, die im Hinblick auf andere Werke - auch das Höllenszenarium der rechten Innentafel unseres Triptychons - unter dem Topos der verkehrten Welt subsummiert und als fundamentale Kritik verstanden wird. In der Darstellung des irdischen Paradieses ist es eine hochsubtile, spannungsgeladene Bildtextur, welche die menschliche Gratwanderung zwischen Schuld und Unschuld vorführt.

    Es ist undenkbar, dass Hieronymus Bosch ein derart aufwendiges Bild von sich aus gemalt hat. Über den Auftraggeber, als welcher Hendrik III. gelten kann, wüsste man fast ebenso gerne mehr wie über den Maler. Er war der Erzieher Karls V., Humanist, ein Kunstfreund und -kennner, ein weltläufiger Mann von renaissancehafter Extravaganz; sicher ein Genießer, -vielleicht ein Lebemensch? Dass er auf Selbstdarstellung Wert gelegt haben muss, bezeugt sein Porträt von Jan Gossaert, und dazu passt Beltings Überlegung, er könnte das Öffnen der Außenflügel seines Triptychons, das nie für einen sakralen Raum bestimmt war, analog der kirchlichen Zeremonie inszeniert und das Erstaunen seiner Gäste goutiert haben.

    Für mich ist dieser Dualismus zwischen Thema und Behandlung des Themas das eigentlich Reizvolle bei Bosch.... Im Mittelalter gibt es Bilder, die stellen religiöse Wahrheiten dar. Bei Bosch gibt es Bilder, die stellen künstlerische Ideen dar mit Hilfe mittelalterlicher Ikonografie.

    Das heißt, Bosch führt die Fiktion in der Malerei ein, wo Jahrhunderte lang nur biblische Glaubenswahrheiten transportiert wurden. In diesen Zusammenhang passt auch das Vorgehen seines Sammlers Hendrik, der zunächst Werke von Bosch erwarb und sich später den Italianisten mit ihren mythologischen Themen zuwandte; Themen, die das eigentliche künstlerische Interesse an einem Akt, einem Liebespaar inhaltlich verbrämten.

    Diese Ambivalenz im Werk drückt sich ja auch darin aus, dass es eine Altarform benutzt, aber kein Altar gewesen ist, mit Sicherheit kein Altar, sondern zu einer Frühform der fürstlichen, später bürgerlichen Kunst- und Wunderkammer gehörte, in der Kuriositäten ausgestellt wurden. Gerade diese Verschiebung vom kirchlichen Ort, vom Kirchenraum, vom Altar zu einem ganz ändern Ort drückt sich auch darin aus, dass es die alte Form des Altarbildes, des dreißügligen Altares benutzt, aber nicht mehr einen solchen darstellt. Bosch ist ein Maler, der Themen, die bis dahin nur in der Literatur existierten, in die Malerei einbringt. Das ist - nicht in diesem, sondern in anderen Werken - seine Gesellschaftskritik. Gesellschaftskritik bedeutet, dass hier ein Thema durchgespielt wird, das in der damaligen lateinischen und noch mehr der neuen, jungen volkssprachlichen Literatur bereits Gang und Gäbe war - ich nenne nur den Narrenspiegel von Sebastian Brandt - was aber noch niemand gemalt hatte. Der Punkt ist, dass er etwas gemacht hat, was bis dahin nur die Literaten gemacht hatten.

    Darin liegt das Neue, das Moderne des Hieronymus Bosch, das uns heute noch fasziniert.