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High Noon in der Fußgängerzone

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Helmut Frei | 27.07.2003
    Also ich sage oft, Einzelhandel is ne Kulturveranstaltung, also die Art, wie Menschen ihre Konsumbedürfnisse befriedigen, hängt ab von dem Kulturzusammenhang, in dem sie aufgewachsen sind.

    Einzelhandel als Kulturveranstaltung. Oder wie wär´s mit dieser Variante: Kaufen ist Kult. Das klingt nach flottem Werbespruch, passt jedoch gar nicht zu Götz Werner. Er ist Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der Drogeriemarkt-Kette "dm" mit Sitz in Karlsruhe. Anders als viele Kollegen schaut Götz Werner mit seinem Unternehmen zuversichtlich in die Zukunft.

    Man erinnere sich: Für das letzte Jahr zog der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels eine düstere Bilanz. Er verzeichnete in der Branche einen neuen Pleitenrekord und meldete einen Personalabbau um 32 tausend Stellen gegenüber 2001. Der Umsatz im deutschen Einzelhandel sei um zwei Prozent zurückgegangen. Demnach lässt eine Wende zum Besseren auf sich warten.

    Ganz anders das Unternehmen "dm". Es belegt hinter Schlecker Platz zwei unter den Drogeriemarkt-Ketten im Land. 2002 steigerte die "dm"-Gruppe den Umsatz um knapp 12 Prozent auf über 2,6 Milliarden Euro. Gleichzeitig gibt es immer mehr "dm"-Filialen. Momentan sind es 1470. Davon liegen rund 650 in Deutschland und 820 im benachbarten Ausland. Auch die Zahl der Beschäftigten nimmt ständig zu. Mittlerweile arbeiten bei "dm" insgesamt an die 20.000 Männer und Frauen, 12.000 allein in Deutschland. Firmenschef Götz Werner und sein Führungsteam haben die Weichen weiterhin auf Wachstum gestellt.

    Allerdings expandiert "dm" nicht mit dem Ziel, gleichsam jeden Winkel der Republik zwischen Flensburg, Rostock und Garmisch mit einer Filiale zu beglücken. Neue "dm"-Läden entstehen gerade auch in jenen Gegenden, wo die Firma bereits gut vertreten ist. Dort muss sie nicht erst bekannt werden und kann die Niederlassungen auf kurzen Wegen beliefern. Das ist kostengünstig. Mehrere Geschäfte in einer Stadt, oft nur wenige hundert Meter auseinander, dieses Prinzip heißt "Clusterbildung". Hierzulande praktiziert es erfolgreich unter anderem die Kette amerikanischer Coffee-Shops mit dem Namen "Starbucks" . Motto: lieber klotzen als kleckern. Deshalb hat "dm" im Süden Deutschlands ein immer dichteres Ladennetz, während die Drogeriemarkt-Kette im hohen Norden nach wie vor kaum präsent ist. Schlecker fährt eine andere Strategie und baut sein Filialnetz flächenhaft aus, über die gesamte Bundesrepublik. Es gibt verschiedene Wege zum Erfolg.

    Einen Spitzenwert erreicht die "dm"-Kette bei der Produktivität, also was den Umsatz pro Mitarbeiter und Quadratmeter Verkaufsfläche betrifft. Aufschlussreich der Vergleich mit dem Erzrivalen Schlecker: Während sich in dessen Filialen die Waren auf engstem Raum stapeln, leistet Götz Werners "dm" sich den Luxus einer manchmal beinahe verschwenderischen Großzügigkeit der Läden. Die Mutter, die Babywindeln kauft, braucht den Kinderwagen aus Platzgründen nicht vor dem Laden abzustellen. In den "dm"-Läden wirkt die schiere Warenfülle nicht bedrückend. Die Kunden können sich in Ruhe umschauen und packen schließlich oft mehr in den Einkaufskorb als beabsichtigt. Auch der Mineralwasserspender in den "dm"-Filialen sorgt dafür, dass die Kunden den Laden nicht fluchtartig wieder verlassen.

    Bei den Preisen schenken sich Schlecker und "dm" nicht viel. Die müssen bei Alltags-Produkten, die den Löwenanteil in Drogeriemärkten ausmachen, vor allem niedrig sein. Auch die Breite des Sortimentes, das die Kunden dort erwartet, liegt weitgehend fest. Selbst auf Artikel mit dem Prädikat Bio kann heute kein Drogeriemarkt mehr verzichten. Andererseits muss das Angebot auch Schrubber und Putzmittel umfassen, Insektensprays und Tiernahrung. Das gehört zu einem Drogeriemarkt einfach dazu, auch wenn es nach Ansicht von "dm"-Gründer Götz Werner nötig ist, im Ausland auf etwas andere Vorstellungen einzugehen:

    Wenn Sie jemand, der im deutschen Kulturzusammenhang aufgewachsen ist, ihn mit dem Begriff Drogerie konfrontieren, dann hat der ne ganz bestimmte Sortimentsvorstellung. Und jetzt ist die Frage, wie stellen wir uns auf diese Vorstellung so ein, dass wir den Kunden so viel wie möglich Produkte anbieten jetzt und so wenjg wie nötig, na, so viel wie möglich im Sinne der Attraktivität, so wenig wie nötig im Sinne der Produktivität, wieder der Preise, na. Also des is glaub ich die Aufgabe, aber des muss man sehen im kulturellen Kontext. Also in Frankreich zum Beispiel, da gibt´s gar keine Drogeriemärkte in dem Sinne.

    Das Management eines Einzelhandelsunternehmens muss also vor allem ein feines Gespür für die Erwartungen der anvisierten Kundschaft entwickeln. Das versucht auch die Firma "Strauss-Innovation". Ihre Vorgeschichte begann 1902 als Textilgeschäft in Düsseldorf. Das traditionsreiche Familienunternehmen überlebte die beiden Weltkriege und dümpelte so vor sich hin, bis 1989 eine neue Generation von Gesellschaftern das Ruder übernahm.

    Mittlerweile hat sich die damals begonnene Entwicklung erheblich beschleunigt - jedes Jahr eröffnet "Strauss-Innovation" neue Filialen. Von den 80 Läden befinden sich weitaus die meisten in Nordrhein-Westfalen. Ein besonders starker Standort mit mehreren Geschäften ist Berlin. Entgegen dem Branchentrend konnte auch dieses mittelständische Familienunternehmen 2002 einen zweistelligen Umsatzzuwachs verbuchen.

    Der Zusatz "Innovation" hinter dem althergebrachten Firmennamen Strauss ist Programm. Die Läden präsentieren sich heute weder als traditionelle Fachgeschäfte, noch lassen sie die alte Warenhausidee aufleben, für die das Motto stand: "tausendfach alles unter einem Dach". Das Sortiment bei "Strauss" bietet von vielem nur etwas, von Unterwäsche und Jacken über Kerzen, Aktentaschen, Rasiersets und Bade-Utensilien bis zu Bettwäsche, Wanderschuhen und italienischen Nudeln. Der im Winter angepriesene Liegestuhl "Davos" tauchte im Frühjahr wieder als "Deckchair" auf, der Vorstellungen von einem Sonnenbad an Bord eines Ozeandampfers wachrufen sollte. Nur Auflage und Thermodecke waren anders gemustert.

    Das Sortiment bei Strauss besteht zum großen Teil aus Artikeln, die zwar irgendwie nützlich sind, die man aber wirklich nicht unbedingt zum Leben braucht. Auf einen Nenner gebracht: "Strauss-Innovation" kapriziert sich auf das, was man "Lifestyle" nennt. Die Laden-Kette appelliert an das Gefühl, dabei zu sein. Denn Einkaufen im Sinne der Versorgung mit Lebensmitteln und den anderen Dingen des alltäglichen Lebens, findet zu einem immer größeren Anteil bei Discountern wie Aldi und Lidl statt oder in einem der Supermärkte und Einkaufszentren draußen in den Gewerbegebieten der Gemeinden. Drinnen in den Stadtzentren muss anderes geboten werden, sagt Peter Geringhoff, einer der Besitzer und Geschäftsführer des Familienunternehmens Strauss:

    Wissen Sie, nur einkaufen, das is doch langweilig für nen Kunden. Also wenn der zum Frisör gehen kann und dann denkt, ach, Mann, ich bin eingeladen heute Abend , ich müsste eigentlich noch ne schöne Bluse oder irgendwas haben: Ich bin in ner Stimmung, ich möchte mich verändern. Das muss er dann können, wenn er in der Stimmung is und nich, wenn irgendein Händler gesagt hat: Jetzt kannst du grade günstig kaufen.

    Doch zur Erfolgsstory wird diese Geschäftsidee erst durch den vergleichsweise niedrigen Preis, zu dem Luxusgegenstände wie Picknick-Koffer, Cashmeredecken oder echt französische Spezialitäten angeboten werden. Inzwischen sind Schnäppchen Bestandteil des Lifestyles geworden. Der Preiskampf, der zunächst im Lebensmitteleinzelhandel tobte, hat das gesamte Gewerbe erfasst. Aber was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn in ihr Slogans wie "Geiz ist geil" in Mode sind?

    Ein schlüssiges Überlebenskonzept sind Preiskampf und Geiz-Kampagnen für den Einzelhandel jedoch nicht. Es geht auch darum, wie etwa ein Fachgeschäft für Bekleidung überhaupt glaubhaft wirken kann, wenn es einen Kurs zwischen gediegen und hochmodisch steuert? Diesen beiden Ansprüchen gerecht zu werden, gleicht der Quadratur des Kreises. Ganz anders der schwedische Familienkonzern "H & M". Das Unternehmen Hennes und Mauritz hat derzeit mehr als 800 Läden in 14 Ländern. Es beschäftigt weltweit 34.000 Frauen und Männer. Mittlerweile ist die Firma hierzulande mit fast 230 Filialen und elftausend Beschäftigten vertreten. Allein im vergangenen Jahr öffneten in Deutschland 20 neue "H & M" – Läden.

    Zwar schwächelte der börsennotierte schwedische Vorzeige-Konzern gelegentlich, kehrte aber dann schnell wieder auf die Straße des Wachstums zurück. Bei der Ursachenforschung stößt man auf die Persönlichkeit des inzwischen verstorbenen Gründers Erling Person. Er wollte von Anfang an hochmodische Kleidung verkaufen, zunächst vor allem für junge Leute – und das zu extrem günstigen Preisen. Diese Haltung teilte er mit Ingvar Kampgard, dem Gründer der Möbelhauskette Ikea. Von Kampgard heißt es, er habe das schwedische Volksheim möbliert, während "H&M"-Gründer Person seine Bewohner eingekleidet habe.

    Solche klaren Vorstellungen fehlen derzeit vielen Einzelhändlern. Sie sind verunsichert. Das weiß auch Edith Wunner von der Modehaus-Kette Hallhuber. Sie beschreibt die Zielgruppe von Hallhuber etwas schwammig als "Leute, die sich jung fühlen". Doch wer will sich nicht jung fühlen? Weder die Namen von Mode-Designern noch die Erweiterung des Stamm-Sortiments um Schuhe oder Tischwäsche, noch niedrige Preise reichen aus, um Glaubwürdigkeit zu schaffen.

    Es ist wirklich nicht so einfach, weil ich denk ja, dass die Billiganbieter wie H&M und Zara momentan sehr an ihrer Zielgruppe gewinnen, weil die Meinung der Kunden natürlich auch dahin geht zu sagen, ok, ich geb nicht so viel Geld aus, ich hol die Trends eben bei diesen günstigen Anbietern, aber ich denk mal, durch diesen Qualitätsanspruch, den wir auch haben, haben wir momentan vielleicht paar Probleme, aber wenn man in die Zukunft wieder geht, weiß der Kunde einfach, dass er den Service bei uns hat, dass er ne sehr gute Qualität bei uns bekommt und deswegen verlieren wir auch nicht so viel wie andere.

    Weil sie kein überzeugendes Konzept haben, nehmen immer mehr Einzelhändler Zuflucht zu Rabatten und animieren die Käuferschaft zur Schnäppchenjagd.

    Dreht sich die Preisspirale weiter nach unten, geraten zwangsläufig immer mehr Einzelhandelsgeschäfte in Schwierigkeiten. Handelsspannen schrumpfen und in der Folge auch Erträge. Pleiten sind die Folge. Das Signal, das von Rabattschlachten ausgeht, ist fatal. Wenn nämlich Kunden die allgegenwärtige Reklame mit Preisnachlässen sehen, müssen sie fast zwangsläufig folgern, dass es offenbar immer noch etwas preiswerter geht. Das erschüttert die Glaubwürdigkeit.

    Dem Preiskampf über Sonderangebote und Rabatte können sich selbst weitsichtige Firmen wie die Drogeriemarkt-Kette "dm" nur teilweise entziehen. Sie hat eine eigene Kundenkarte, die ihren Besitzern auch Rabatte bei einigen anderen überregionalen Unternehmen des Einzelhandels gewährt. Dazu gehört der Warenhauskonzern Galeria-Kaufhof, der kräftig in der Rabattschlacht mitmischt. Immerhin hat "dm" bereits vor knapp einem Jahrzehnt die sogenannten "Dauerpreise" eingeführt, die mindestens vier Monate lang gleich bleiben. Seit langem lehnt "dm"-Chef Werner saisonale Sonderaktionen für seine Filialen ab, weil er seinen Kunden beweisen will, dass sie bei ihm immer günstig einkaufen.

    Wir sind der Meinung, dass wir unsere gesamte Angebotspolitik so gestalten sollten – und des machen wir schon seit über zehn Jahren -, dass der Kunde dann einkaufen kann, wenn ER das Bedürfnis hat. Und das ist einmal – sagen wir – die philosophische Basis für unser Dauerpreiskonzept: Der Kunde soll dann einkaufen, wenn er die Ware braucht. Wenn ich ein Angebotskonzept habe, dann will ich sozusagen mit Sonderangeboten und Rabattgewährung und allem Möglichen den Kunden dazu bringen, dass er dann einkauft, wenn ICH es eigentlich will. Da kann man also nicht jeden Sonderangebotspreis mitmachen, aber ich finde, der Verbraucher hat nichts davon, wenn irgendwas ne Woche lang günstiger is, aber ich in dem Moment gar nicht die Ware brauche. Also des auch, glaube ich, ein Ausdruck von konsequenter, wirklich konsequenter Kundenorientierung, zu sagen: Der Kunde soll dann einkaufen, wenn er will – und wir stehen zur Verfügung.

    Das setzt flexible Arbeitszeiten im Einzelhandel voraus. Damit haben die Belegschaften in erfolgreichen Läden in der Regel weniger Probleme als ihre Kolleginnen und Kolleginnen in Geschäften, in denen zu wenig läuft. Der Erfolg macht Laune, schafft motivierte Mitarbeiter. Diese Erfahrung teilt Peter Geringhoff, Miteigentümer und Geschäftsführer von "Strauss-Innovation":

    Also wir haben zum Beispiel in Berlin sehr oft – sehr oft, oder doch öfter -, dass wir einen Abendverkauf oder Nachtverkauf haben bis zwölf Uhr. Da machen wir ne kleine Bar auf. Das macht allen Verkäuferinnen auch Spaß. Da gibt es überhaupt nicht dieses dumem Gerede "ach unsere armen Verkäuferinnen", also da muss man wirklich umdenken. Da kann man nicht in Schubladen, in Kategorien denken: Ich bin Gewerkschaft und ich bin Unternehmer und dieser ganze Unsinn. Das ist alles Quatsch. Es gibt ganz viele Leute, die arbeiten gern zu ganz anderen Zeiten und haben dann zu ganz anderen Zeiten frei, da können die was ganz anderes machen. Wir tun immer so, als wenn es nur die Hausfrau gäb oder wenn es nur die Familie gäb und den Mann mit den fünf Kindern, sagen wir mal, wo die Frau kocht und zwischendrin auch noch Verkäuferin is. Das haben wir heut ja ganz wenig. Wir haben ja ganz viele Verkäuferinnen, das sind ganz andere Typen – und Verkäufer. Das sind ganz andere Menschen; und in den erfolgreichen Läden, da sind auch ganz andere Menschen heute beschäftigt. Die finden Verkaufen als Kommunikation mit den Menschen und das finden die natürlich abends viel schöner als morgens. Die schlafen lieber morgens lange.

    Tatsächlich lassen sich Mitarbeiter heute nicht mehr gängeln, sagt auch Götz Werner, der gelernte Drogist, der sich 1973 mit seiner ersten "dm"-Filiale selbständig machte. Morgendliche Rituale, bei denen wie bei den aus Amerika zu uns herübergekommenen Wal-Mart-Supermärkten der Korpsgeist der Beschäftigten beschworen wird, verabscheut der "dm"-Chef. Den Besuch in einer Filiale kündigt Götz Werner an. Er taucht also nicht überraschend auf, um kurz mal nach dem Rechten zu sehen – das überlässt er lieber seinen leitenden Angestellten.

    Götz Werner hat seine eigene Unternehmensphilosophie entwickelt. Er nennt die Firma "Arbeitsgemeinschaft" - und sträubte sich nicht wie sein Gegenspieler Schlecker gegen Betriebsräte. Statt vom "Kostenfaktor Personal" redet Werner von "Mitarbeitereinkommen", das die Beschäftigten für das Unternehmen als Ganzes erwirtschaften. Es entspreche der unternehmerischen Verantwortung, den Ertrag wieder in neue Arbeitsplätze zu investieren. Doch die Konjunktur- und Kostenkrise geht auch an Werners Drogeriemarkt-Kette nicht spurlos vorbei. In etlichen Filialen wurde die Zahl der Teilzeitbeschäftigten verringert, um das Stammpersonal halten zu können. Dabei macht "dm" möglichst keine Abstriche bei den Auszubildenden. 1500 sind es derzeit in Deutschland, 500 mehr als 2001. Sie heißen im offiziellen Sprachgebrauch der Firma "Lernlinge". Wie Jessica Metzger aus Stuttgart besuchen sie die Berufsschule. Den Unterricht dort ergänz eine betriebsinterne Ausbildung. Für sie haben Spezialisten ein Programm namens "Lida" entwickelt: Lernen bei der Arbeit.

    Der Lehrling, der muss sich seine Aufgaben selbständig aussuchen und die dann auch alleine machen, also ohne, dass man etwas erklärt bekommt und das dann einfach nachahmt, so wie die Person es dir erklärt hat. Sogar so Sachen, für die man recht viel Verantwortung braucht wie zum Tresor mit dem Geld. Ich hab da gefragt, ob ich da zuschauen darf, also ob ich das auch zum Beispiel mal machen darf. Dann haben sie gesagt: na klar. Dann hab ich das mit meiner Stellvertretung zusammen gemacht und mit meiner Filialleitung ein paar Mal. Jetzt weiß ich auch, wie das geht.

    Zweimal während der Lehre nehmen die "Lernlinge" von "dm" an einem einwöchigen Theaterworkshop teil. Er endet mit einer Aufführung vor Eltern, Kollegen und Freunden. Die Theaterprojekte sollen das Zusammengehörigkeitsgefühl der Auszubildenden fördern und ihnen helfen, im Laden selbstbewusst aufzutreten, auch gegenüber Vorgesetzten, die bei der Gelegenheit künftige Führungskräfte entdecken.

    Sicher: das Beispiel "dm" lässt sich nicht eins zu eins auf andere Firmen des Einzelhandels übertragen, zumal es entscheidend von der Unternehmerpersönlichkeit Götz Werner geprägt wird. Aus seinem Menschenbild speist sich seine Zuversicht und Kreativität. Hinzu kommt seine unternehmerische Weitsicht. So investiert Götz Werner in Zeiten des Erfolgs beispielsweise in die Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten, was sich in schwierigen Jahren auszahlt.

    Nicht wenige der insgesamt 430 tausend Einzelhandelsgeschäfte in Deutschland – vom kleinen Verkaufs-Kiosk bis zum Weltstadtwarenhaus – fürchten, auf der Strecke zu bleiben. Die Situation ist in den neuen Bundesländen besonders prekär, wie ein kurzer Blick auf Erfurt lehrt. Dort entstand mitten in der City ein großes Einkaufszentrum, dessen größte Fläche ein Karstadt-Warenhaus einnimmt. Wie geplant zieht dieses Einkaufszentrum Kunden an und bildet somit ein Gegengewicht zu den Supermärkten und Einkaufzentren, die am Rande der Landeshauptstadt Thüringens aus dem Boden geschossen sind.

    Zwischen den beiden unsatzträchtigen Polen drinnen in der Stadt und draußen auf der asphaltierten "Grünen Wiese" können sich zahlreiche mittelständische Fachgeschäfte nur äußerst mühsam behaupten. In Erfurt stehen etliche Läden leer. Sogar das renommierte Stuttgarter Vorzeige-Unternehmen Breuninger, das 1997 einen viel beachteten Kaufhausneubau in der Altstadt eröffnete, hat zu kämpfen. Es ist durch das Einkaufszentrum, das Karstadt beherrscht, etwas ins Abseits geraten. Wenige hundert Meter können viel ausmachen, sagt Christoph Hagedorn, der Geschäftsführer von Breuninger in Erfurt. Das Sortiment musste gestrafft werden.

    Große Industrieansiedlungen, die fehlen einfach, die sind anderswo hingegangen und deswegen ist einfach die Kaufkraft hier nicht gegeben. Für Erfurt kommt erschwerend hinzu, dass wir hier halt Mittelzentrum sind zwischen Leipzig, Dresden, Berlin und Nürnberg und dass halt viel Kaufkraft auch weggeht an Nürnberg, an Berlin, an Leipzig, oder auch an München und Düsseldorf, wo auch viele Kunden hinfahren, oder auch an Frankfurt. Es gibt immer noch sehr viele, die einfach nicht gewillt sind, hier zu kaufen, zahlungskräftige Kundschaft, auch viele Westler, die hier mittlerweile hier wohnen, die fahren übers Wochenende halt nach Hause und kaufen dann dort zuhause ein.

    Weil die Kaufkraft in Erfurt selbst und seiner unmittelbaren Umgebung zu gering ist für ein Warenhaus und Fachgeschäfte mit einem stattlichen Anteil an Markenartikeln, versuchen Breuninger und andere Einzelhandelunternehmen aus Erfurt die Kundschaft schon weit im Hinterland zu umwerben. Ein Ergebnis: I thüringischen Städten wie Suhl, Saalfeld oder Apolda müssen immer mehr Einzelhändler aufgeben. Christoph Hagedorn vom Warenhaus Breuninger macht den Kollegen draußen in der Provinz keine falschen Hoffnungen:

    Wir müssen die Kunden in Eisenach und Jena, das sind sehr gute Industriestandorte, ansprechen. Und es muss uns gelingen, den Südthüringer Raum zu erreichen, Suhl und Umgebung. Dort gibt´s fast keinen Einzelhandel mehr und mit der neuen Autobahn ist man innerhalb von ner halben Stunde in Erfurt, was ja ein Riesenvorteil ist, und das muß uns werbetechnisch gelingen, diese Kunden zu erreichen. Da arbeiten wir dann auch zusammen im Citymanagement. Ich bin selber auch im Vorstand, um halt Werbung für die Innenstadt Erfurt zu machen.

    Schlechte Aussichten also, auf den ersten Blick zumindest. Viele Läden werden noch aus dem Bild der Städte und Gemeinden verschwinden. Der seit Jahren anhaltende Umbruch im Einzelhandel, den Fachleute auch als Strukturwandel bezeichnen, geht weiter. Die Ursachen sind vielschichtig. Viele namhafte Betriebe treiben ziemlich orientierungslos vor sich hin. Sie können den Leuten nicht vermitteln, warum sie gerade bei ihnen kaufen sollen, da es genügend Alternativen gibt. Anderseits überstehen manche Unternehmen die Krise überraschend gut. Sie nutzen ihre Chance wie "Hennes & Mauritz", die Drogeriemarkt-Kette "dm" oder der Lifestyle-Filialist "Strauss-Innovation". Diese Firmen beseelt der Schwung ideenreicher Unternehmer mit Weitblick. Sie klagen nicht, sondern packen an, und haben damit begonnen, mittelgroße Städte in der Provinz zu erobern.

    Trotz des Überflussangebotes, was wir in Deutschland haben, werden die Kunden in mittleren Städten sehr vernachlässigt. Und das sagen die Kunden einem auch. Ich glaube, da is noch ein ganz großes Potenzial für uns. Für die ganz Großen, die ziehen sich ja immer mehr aus diesen kleinen Städten zurück, weil die haben dafür scheinbar noch nicht das richtige Konzept gefunden und immer wollen Sie ja auch nicht beim Disconter kaufen, also man will natürlich nicht für jeden Einkauf auf Paletten und Containern rumkriechen und sich seine Ware suchen. Wenn wir einen handgemachten Schuh verkaufen, den verkaufen wir natürlich in der Innenstadt, wo die Banker alle sind, schneller. Aber wir haben ihn auch in der Kleinstadt, weil der Apotheker, der Drogist, der Fleischer, die auch ein bisschen Ahnung haben, die freuen sich auch, wenn sie einen handgemachten Schuh kaufen können. Und die haben wir dann langfristig auch als Kunden gewonnen, na.