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High per Kopfhörer?

Die Story füllte perfekt das Sommerloch in Zeitungen und Onlinemedien: Angeblich lädt sich die experimentierfreudige Jugend MP3-Dateien aus dem Netz, die keine Musik enthalten, sondern Klänge, die wie Drogen wirken. Der Trip aus dem Kopfhörer entpuppt sich bei näherer Betrachtung allerdings als teure Luftnummer.

Von Kristin Raabe | 25.08.2010
    "Als ich aufwachte, war ich plötzlich ganz woanders. Ich sah eine sehr große weiße Treppe, die zu einem Stuhl hinaufführte. Ich glaube, ich habe Gott gesehen, ich weiß nicht. Ich sah jemanden. Als Nächstes konnte ich auf die Erde hinabblicken. Dann sah ich einen Engel. Mann, ich weiß es einfach nicht. Es war ausgeflippt gut und hat mir eine Scheißangst gemacht."

    Dieser Bericht stammt nicht etwa von einem Jugendlichen auf einem LSD-Trip. Die beschriebene Gotteserfahrung wurde angeblich durch solche Töne ausgelöst:

    In der Szene werden solche Soundfiles I-Doser genannt. Sie sollen über Kopfhörer angehört ganz ähnliche Effekte wie chemische Drogen auslösen. Ob das tatsächlich funktioniert wird in Internetforen für Drogenkonsumenten zurzeit heiß diskutiert.

    "Ich werde nur nervös von dem Gewummere und Gepiepse, sonst gar nix, habe bis jetzt jedes Mal spätestens nach zehn Minuten genervt ausgemacht."

    In den Anwenderempfehlungen für die neuen Hördrogen ist nachzulesen, dass sie nicht bei jedem wirken können. Stellt sich eine Wirkung ein, so kann sie je nach Hördroge der von Kokain, LSD, Heroin, Haschisch, Alkohol oder irgendeiner anderen psychoaktiven Substanz entsprechen. Häufig werden die Hördrogen auch nach jenen Stoffen benannt, deren Wirkung sie simulieren sollen. Ob das tatsächlich stimmt, hat der Psychologe Jörg Daumann zunächst im Selbstversuch getestet.

    "Ich habe etwas Kopfschmerzen bekommen, war genervt. Man muss jede Substanz, die so eine halbe Stunde in etwa dauern, die man auch nicht abstellen kann, man muss sie also die gesamte Zeit hören. Also ich glaube, ich habe keine Dosis länger als fünf Minuten gehört, vor allem weil ich gelangweilt war."

    Jörg Daumann leitet am Universitätsklinikum Köln eine Arbeitsgruppe für experimentelle Psychiatrie. Er beschäftigt sich schon seit Jahren mit Jugenddrogen und kennt deren Wirkungsweise genau. Die Hördrogen müssen über Köpfhörer angehört werden. Dabei werden dann auf dem linken und rechten Ohr zeitlich versetzt unterschiedliche Frequenzen abgespielt, die die Hirnströme angeblich verändern sollen.

    "Kurz gesagt: Das ist Blödsinn. Es kann bewirken, dass wir uns wohlfühlen, entspannt sind, dass wir aufgeregt sind, aber was es sicher nicht kann, ist die Wirkungsweise unterschiedlicher Substanzen wie Ecstasy, LSD, Kokain oder Heroin zu simulieren. Dazu muss man wissen, dass diese Substanzen sehr, sehr komplexe pharmakologische Wirkmechanismen haben. Die einzige vorstellbare Wirkung ist Entspannung versus Aufgeregtsein, nervös werden, das sind so Wahrnehmungsinhalte, die durch diese Hördrogen vermittelt werden können, aber sicher nicht mehr."

    Damit hätten die Hördrogen also keine andere Wirkung als jedes herkömmliche Musikstück auch. Nur dass sie sich viel langweiliger anhören und viel teurer sind. Bis zu 200 Euro kostet der Download einer Hördroge.

    "Es gibt viele Möglichkeiten in der Moderne sein Geld zu verschwenden aber ich glaube, dass die Absurdität sehr rasch so stark offenkundig wird, dass die Geldbeutel der sogenannten Hördrogenkonsumenten sich auch nicht sonderlich leeren sollten, so hoffe ich zumindest."

    Jörg Daumann jedenfalls glaubt nicht, dass von den Hördrogen ein besonderes Abhängigkeitspotenzial ausgeht. Das sieht die Pariser Neuropsychologin Brigitte Forgeot genauso, die in vielen Artikeln zu den Hördrogen zitiert wird. Sie behauptet aber, dass durch die manipulativen Klänge Hirnströme tatsächlich verändert werden. Angeblich hat sie das in einer wissenschaftlichen Arbeit untersucht.

    "Ich habe mir große Mühe gegeben, diese Veröffentlichung zu finden oder irgendetwas über diese Frau herauszubekommen. Ich muss gestehen, ich bin daran gescheitert. Insofern weiß ich nicht, wer diese Frau ist und ich kenne auch ihre Publikation nicht. Ich würde mal soweit gehen zu behaupten, es gibt die auch nicht."

    Sicherlich liegt es nicht am Urteil dieser Neuropsychologin, dass Hördrogen doch eine gewisse Verbreitung finden. Jörg Daumann kennt andere Beispiele, bei denen Drogenkonsumenten auf falsche Drogen hereingefallen sind.

    "Also es gibt zum einen in der Szene immer wieder einen Haufen von Gerüchten. Angefangen von Muskatnuss, das in hohen Dosen tatsächlich eine psychotrope Wirkung hat, aber erst in einer Dosis, bei der man zuerst eine riesengroße Übelkeit verspürt, bevor diese Wirkung einsetzt. Ich kenne das Gerücht von so Bananenschalenresten, das sind so Fäden, die eine Wirkung haben sollen, die auf der Heizung erstmal getrocknet werden müssen."

    Egal, ob Bananenschalen, Muskatnuss oder nervige Klänge - alle diese Pseudodrogen haben eins gemeinsam: Sie haben keine Wirkung und schaden ihren Konsumenten deswegen auch nicht.