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''High'' Potentials?

Birgit Becker: Jeder fünfte Studierende in Deutschland hat psychische Probleme. Dazu zählen Depressionen, Essstörungen oder Drogenprobleme. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das Bundesforschungsministerium in Auftrag gegeben hat. Für die Studie haben Wissenschaftler am Forschungsschwerpunkt Sucht der Katholischen Fachhochschule NRW 2.500 Studierende in Köln, Aachen und Paderborn nach ihrem Alkohol-, Nikotin und sonstigen Drogenkonsum befragt. Autoren der Zeitschrift UNICUM beschäftigen sich schon lange mit dem Thema, auch in ihrer Septemberausgabe. Ich habe mit Wolfgang Koschny aus der UNICUM-Redaktion darüber gesprochen und ihn gefragt, wie weit der Prozentsatz von zwanzig Prozent psychisch labilen Studierenden über dem Bundesdurchschnitt liegt.

    Wolfgang Koschny: Das aus dieser Studie heraus zu lesen, ist schwierig. Es kommt drauf an, was man genau abfragt. Und zwar haben die Kölner Forscher dort verschiedene Sachen abgefragt. In einigen Bereichen lag das außergewöhnliche Verhalten, das, sagen wir mal, Suchtverhalten oder suchtnahe Verhaltensweisen bei Studierenden deutlich über dem Durchschnitt. Das gilt vor allen Dingen für den Bereich Essstörungen. Dort haben sich neun Prozent der Befragten positiv geäußert, heißt also im negativen Sinne, sie haben also Essstörungen. Und in anderen Bereichen wie zum Beispiel im Nikotingebrauch, da sind Studierende deutlich unter dem Durchschnitt.

    Becker: Aber gerade was zum Beispiel Drogen angeht - wie Cannabis, Marihuana, andere Drogen -, liegen Studierende auch deutlich höher als ihre Altersgenossen, oder?

    Koschny: Da gibt es auch unterschiedliche Stimmen. In dem Falle ist es so, dass sie vor allen Dingen wesentlich leichter mal zu einem Joint greifen, das haben verschiedenste Studien gezeigt. Das belegt auch wieder diese neueste Studie, dass Studierende gerne auch mal kiffen oder Cannabisprodukte zu sich nehmen. Jetzt allerdings zu behaupten, dass auf dem Campus, um es mal ein bisschen wortspielerisch zu sagen, nur noch "high" Potentials herumlaufen, das kann man allerdings nicht sagen. Es ist schon so, dass viele einfach damit mit dem umgehen können, was sie zu sich nehmen. Das hat vor allem auch eine andere Studie von Herrn Dr. Baumgärtner gezeigt. Es ist aber schon so, dass Studierende im Vergleich zu anderen Gruppen doch sehr häufig auch mal zum Joint greifen.

    Becker: Sie sagen jetzt, dass Studierende möglicherweise auch damit umgehen können. Aber diese Kölner Studie hat doch gezeigt, dass zwanzig Prozent, also jeder fünfte Studierende tatsächlich psychische Probleme hat, möglicherweise im Zusammenhang, möglicherweise aber unabhängig von Drogenkonsum oder Drogenmissbrauch. Das ist schon eine erschreckend hohe Zahl.

    Koschny: Ja, das ist eine erschreckend hohe Zahl, vor allen Dingen wenn man vergleicht, wie viele Möglichkeiten Studierende haben, sich an den Universitäten bei diesen Problemen beraten zu lassen. Denn in den meisten Fällen gibt es an den Universitäten nicht ausreichende Beratungsmöglichkeiten. Meistens kommen Studierende in die Beratungsstellen und klagen über Lernschwierigkeiten oder dass sie sich nicht konzentrieren können. Daran wird dann herumgedoktert, aber in den seltensten Fällen wird gefragt, ja, wie sieht es denn aus mit Alkoholkonsum, wie sieht es aus mit Drogenmissbrauch. Dafür soll diese neue Studie ein Handbuch oder ein Fundament schaffen, dass solche Sachen auch einmal auch von dieser Seite aus angegangen werden können.

    Becker: Sie beobachten ja den Drogenkonsum von Studierenden schon länger. Hat sich aus Ihrer Sicht dabei in den vergangenen Jahren etwas verändert?

    Koschny: Ja schon, das lässt sich auf verschiedene Weise interpretieren. Es gibt Leute, die sagen, Cannabis erlebt eine Renaissance genauso wie Schlaghosen oder wie 80er-Jahre-Parties. Das allerdings jetzt anhand einer Studie fest zu machen, ist so in der Form nicht möglich. Es gibt vereinzelt Untersuchungen, die wir auch von UNICUM bestätigt bekommen haben. Zum Beispiel an der Uni Giessen gibt es einen Professor, der jedes Jahr Erstsemester zu deren Verhalten gegenüber Drogen befragt, und dort zeigt sich schon, dass selbst in der Juristischen Fakultät bei den Erstsemestern jeder Zweite einmal Drogen genommen hat. Das ist sicherlich ein erstaunliches Ergebnis, wenn man mal überlegt, wie konservativ man Juristen einschätzt.

    Becker: Sie haben jetzt so relativ locker gesagt, an den Universitäten gibt es möglicherweise viele Leute, die mit diesen Drogen umgehen können. Ganz so einfach ist das ja offenbar nicht, wenn man, wie gesagt, diese Zahl von zwanzig Prozent depressiven oder süchtigen Studierenden hört. Was denken Sie denn, welche Folgen dieser Drogenkonsum haben kann?

    Koschny: Nein, ich will da gar nichts schön reden, das ist eine sehr gefährliche Geschichte. Cannabis kann auch missbraucht werden. Das ist meines Erachtens auch eine Diskussion, die in eine falsche Richtung läuft, wenn man sagt, dass es ungefährlich sei. Aber auch wenn es um Alkohol geht, hat die neuste Studie der Kölner FH gezeigt, dass fast zwanzig Prozent der Studierenden schon mal Vorlesungen haben sausen lassen, weil sie einen Kater hatten. Andere schätzen sogar ein, dass deshalb viele Menschen ihr Studium abbrechen, wie sie halt auch psychische Probleme haben an den Universitäten. Woraus diese psychischen Auffälligkeiten oder Verunsicherungen resultieren, das kann ich jetzt im Einzelnen nicht sagen, aber das zeigt schon, dass es auch ein gesellschaftliches Problem werden könnte. Das heißt, dass man zum Beispiel "human capitals" verschleudert und verschenkt, indem man nicht auf solche Begebenheiten angemessen reagiert.