Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


Hightech-Bett verhindert Wundliegen

Medizin. - Mit steigender Lebenserwartung klettert auch die Zahl pflegebedürftiger Menschen nach oben. Besonders, wer ans Bett gefesselt ist, fürchtet den so genannten Dekubitus, umgangssprachlich auch Wundliegen genannt. Auf der diesjährigen REHACare, der Düsseldorfer Fachmesse für Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf, wird ein Bett vorgestellt, in dem es sich erstens gut schlafen lässt und in dem zweitens das gefürchtete Wundliegen der Vergangenheit angehört.

Von Mirko Smiljanic | 12.10.2005
    Das Bett sieht schick aus: Zwei mal einen Meter misst es, die Füße sind aus elegant geschwungenen Aluminiumteilen gefertigt, ein roter Bezug bedeckt die Matratze. Ansonsten nichts besonderes, sieht man mal von einem kleinen Kasten am Fußende ab, in dem ein paar Dioden grün und rot blinken.

    " Ich haben jetzt das System eingeschaltet und Sie werden jetzt über Ihren Rücken eine Welle spüren, die von oben nach unten und wieder zurück läuft,"

    sagt Thomas Aretz vom IGAP, dem Institut für Innovationen im Gesundheitswesen und angewandte Pflegeforschung in Bremervörde. Tatsächlich spürt man durch die etwa zehn Zentimeter dicke Matratze eine leichte Bewegung, die bei den Füßen beginnt, um dann langsam über den gesamten Körper zu wandern. Eine Minimassage würden Laien sagen, Pflegeforscher sprechen von einer Mikro-Stimulation. Und die hat es in sich: Sie verhindert das gefürchtete Wundliegen bettlägeriger Menschen, so Natascha Woltemade, Pflegewissenschaftlerin am IGAP:

    " Durch den Druck, der auf den Körper ausgeübt wird, wird die Blutversorgung in dem entsprechenden Gewebe unterdrückt, man hat also eine Mangeldurchblutung in dem Gewebe, und dadurch entstehen letztendlich diese chronischen Wunden, die meist über einen sehr, sehr langen Zeitraum den Patienten behelligen."

    Etwa 60 Mal pro Nacht bewegt sich ein gesunder Mensch, sagt Natascha Woltemade. Das hat nichts mit Unruhe zu tun, es ist vielmehr ein natürlicher Schutz vor dem Dekubitus. Weil Pflegebedürftige sich nicht mehr bewegen können, muss von außen nachgeholfen werden. Dafür sind unter der Matratze in regelmäßigen Abständen 52 Flügelfedern mit jeweils zwei Auflageplättchen angebracht. Ein Rechner steuert die Federn nun so an, dass sie von Aktoren bewegt langsam nach rechts und links kippen. Thomas Aretz:

    " Das sind letztendlich kleine Gummibälle, über die ein Luftkreislauf läuft und der dementsprechend gesteuert wird."

    Drei Bewegungsmuster sind möglich: Die schon vorgestellte Welle von oben nach unten, eine Kippbewegung von rechts nach links und eine Rotation, bei der die Flügelelemente den Druck kreisförmig an die Matratze abgeben. Die Wirkung wird, so Natascha Woltemade, dadurch erzielt,

    "dass durch die Hautsensorik des Patienten er fortwährend eine Information über sein Körperbild erhält, das heißt über den Erhalt seines Körperbildes, über das Spüren seines Körpers bekommt er die Voraussetzung, selber in die Eigenbewegung zu gehen."

    Will heißen: In gewisser Weise stört die Hightech-Matratze den Schlaf des Patienten und animiert ihn so zur Eigenbewegung - wobei "stören" aber nicht wortwörtlich verstanden werden darf: Die Bewegungen sind sanft und erinnern eher an ein Wellnessbett. Aber auch wer sich nicht selbst bewegt, kann trotzdem zumindest etwas dem Dekubitus vorbeugen. Woltemade:

    " Es ist eine gewisse Mikrozirkulation da und die wird auch im Gewebe ermöglicht, aber unser Ansatz ist noch etwas tiefer greifend als uns jetzt nur darauf zu reduzieren, zu sagen, wir wollen nur für die Mikrozirkulation im Gewebe sorgen, wir wollen wirklich bewegen, das ist ein ganz wichtiger Punkt."

    Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Die sanfte Massage verhindert nicht nur den Dekubitus, gleichzeitig verbessert sich binnen weniger Wochen die gesamte gesundheitliche Situation der Patienten - so die Resultate einer Klinischen Studie des Instituts für Innovationen im Gesundheitswesen und angewandte Pflegeforschung. Und noch einen erstaunlichen Nebeneffekt fanden die Bremervörder Wissenschaftler heraus: Wer sich nachts mikrostimulieren lässt, schläft besser. Klinisch nachgewiesen wurde dies an behinderten Kindern, der Effekt - da sind sich die Entwickler sicher - tritt aber bei jedem Menschen auf.