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Hightech macht's möglich

Die EU hat sich ein ehrgeiziges Programm vorgenommen: In den kommenden etwa 15 Jahren sollen rund 30.000 Chemikalien, die seit mehr als 20 Jahren vermarktet werden, systematisch auf ihre Sicherheit für Mensch und Umwelt geprüft werden. Der Kern der künftigen Chemikalienpolitik wird ein neues Anmelde-, Bewertungs- und Zulassungsverfahren sein. Die Meinungen über dieses Verfahren, das kurz REACh genannt wird, sind geteilt. Umwelt- und Verbraucherschützern gehen die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Regeln nicht weit genug. Die Wirtschaft sieht unnötige Kosten und viel Bürokratie auf sich zukommen – und Tierschützer sehen unzählige leidende Tiere vor sich. Corina Gericke von der Organisation "Ärzte gegen Tierversuche".

Von Ralph Ahrens | 31.07.2004
    Das ist ein Vorhaben, was wirklich entsetzlich ist, was ein riesiges Tiermassaker auslösen wird, also wir rechnen mit etwa 20 bis 25 Millionen Tieropfer.

    Und das, obwohl das europäische Tierschutzgesetz bereits 1986 Tierversuche als "ethisches Übel" bezeichnet hat. Und im deutschen Grundgesetz ist der Tierschutz seit Mai 2002 als Staatsziel verankert. Auch Umwelt- und Verbraucherschützer würden gerne auf Tierversuche verzichten, doch Hiltrud Breyer von den Grünen im Europäischen Parlament betont:

    Wir brauchen dringend eine Chemiereform. Was wir derzeit haben ist, dass über hunderttausend Chemikalien auf dem Markt sind, ohne dass wir wissen, wie sie wirken, ohne dass wir ihre Risiken kennen. Das ist ein Großversuch an Mensch, Umwelt aber auch an Tieren.

    Aber dürfen deswegen Versuchstiere leiden? Diese Frage ist so heikel, dass sich der Umwelt- und Naturschutzverband WWF in Deutschland kurzzeitig von der Debatte um die künftige europäische Chemikalienpolitik zurückgezogen hat. Der Leiter der Abteilung "Chemische Stoffe" bei der Generaldirektion Unternehmen der Europäischen Kommission, Reinhard Schulte-Braucks, versucht, das emotionale Thema zu versachlichen:

    Die normale deutsche Familie braucht nicht zu befürchten, dass ihnen ihre Haustiere weggenommen werden und die dann chemischen Versuchen ausgesetzt werden. Was in aller Regel geschieht ist, dass Laborratten für Tierversuche hergenommen werden allenfalls auch Mäuse. Das sind Tiere, die würde es normalerweise gar nicht geben, die werden nur für Zwecke von Laborversuchen gezüchtet.

    Und die Europäische Kommission bemüht sicht auch, die Zahl der notwendigen Versuche an Labortieren zu begrenzen. So soll für alle rund 30.000 Chemikalien jeweils nur ein Test an Tieren vorgeschrieben sein, nämlich um zu prüfen, ob ein Stoff eine Hautallergie auslösen kann. Dafür pinseln Wissenschaftler diesen Stoff 20 Mäusen auf ein Ohr und untersuchen einen Tag später, wie das Immunsystem der Mäuse reagiert.

    Alle anderen Tierversuche – um etwa zu testen, ob eine Substanz Krebs auslösen oder Embryos schädigen kann – will die Kommission in der Regel nur bei jenen Stoffen verlangen, von denen eine Firma mehr als zehn Tonnen jährlich vermarktet. Außerdem, so Reinhard Schulte-Braucks, ...

    Es kann nicht jeder hergehen und sagen, ich teste jetzt mal eben meine Chemikalie in Tierversuchen, sondern er muss das vorher ankündigen. Dann prüft die Behörde, ob der entsprechende Stoff nicht schon von jemand anders getestet worden ist. Und wenn entsprechende Tierversuche bereits vorliegen, ist klar, dass die nicht wiederholt werden dürfen. Für solche Tests würde gar keine Genehmigung erteilt werden, sondern man würde dem Zweitanmelder sagen: ‘Du kannst von den Testergebnissen des Erstanmelders profitieren, musst dem natürlich einen Teil seiner Kosten erstatten, Du sollst diese Testergebnisse nicht umsonst bekommen’. Aber jedenfalls eine Vervielfältigung von Tierversuchen wird mit allen vorstellbaren rechtlichen Mitteln verhindert.

    Aber selbst wenn alle vorliegenden Daten genutzt werden, müssen Hersteller und Importeure von Chemikalien europaweit Tests an bis zu sechs Millionen Labortieren vornehmen lassen. Das vermuten Experten von ZEBET, der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch beim Bundesinstitut für Risikoforschung in Berlin. Im einzelnen sind das rund fünf Millionen Ratten, Mäuse oder Meerschweinchen, um Risiken für Menschen abzuschätzen, sowie rund eine Million Fische, um Auswirkungen auf lebende Tiere zu testen. Wahrscheinlich werden es aber weniger als sechs Millionen Tiere sein, die unter der künftigen Chemikalienpolitik leiden müssen. Denn selbst wenn Daten fehlen, soll es keinen Test-Automatismus geben, sondern ein maßgeschneidertes Programm. Noch einmal Reinhard Schulte-Braucks.

    Sondern der Anmelder eines chemischen Stoffes legt der Behörde das vor, was er an Datenmaterial bereits hat und macht lediglich Vorschläge für eventuelle weitere Tests, die seiner Auffassung nach erforderlich sein könnten. Diese Vorschläge werden mit der Behörde, die die Bewertung vornimmt, diskutiert und Anmelder und Behörde können sich ohne weiteres darauf einigen, dass sie sagen, die chemische Struktur dieser Substanz lässt es nicht erwarten, dass diese Substanz in irgendeiner Weise krebserzeugende Eigenschaften hat. Wir verzichten daher auf weitere Tierversuche.

    Hinzu kommt, dass Behörden glaubwürdige Ergebnisse aus älteren Tierversuchen akzeptieren sollen – auch wenn diese Untersuchungen heutigen Standards nicht entsprechen.
    Doch Gerd Romanowski vom Verband der Chemischen Industrie bezweifelt, ob die Behörden sich so flexibel zeigen werden.

    Unsere Erfahrungen mit den Behörden aus den letzten Jahren und Jahrzehnten lässt eigentlich erwarten, dass das nicht in großen Umfange genutzt werden kann, so dass wir davon ausgehen, dass die Testdatenanforderungen relativ starr und schematisch eingehalten werden müssen.

    Dabei stellt Romanowski klar, dass Chemieunternehmen aus eigennützigen Gründen gerne ganz auf Tierversuche verzichten würden:

    Tierversuche kosten viel Geld: Die Tiere müssen gehalten werden, die Tiere müssen gepflegt werden, die Tiere müssen auch beschafft werden. Die Tiere sind teuer, die kosten Geld. Es ist ein organisatorischer Aufwand zu treiben. Sie müssen einen Tierschutzbeauftragten haben, sie müssen die Tierschutzbestimmungen einhalten. Also, das Ganze ist mit erheblichen Kosten und Zeitaufwand verbunden. Und deswegen wäre natürlich jeder in der Industrie bestrebt, Tierversuche so weit es irgend geht zu ersetzen, durch andere unkompliziertere Methoden: Zellkulturen, Gewebekulturen, Stammzellen, gentechnische Untersuchungsmethoden, Eitests. Das ganze Spektrum.

    Also High-Tech statt Tierversuche. Und zu den modernen Methoden zählen auch Computermodelle, mit denen Forscher Eigenschaften von Stoffen vorhersagen können. Finn Bro-Rasmussen von der Technischen Universität Dänemarks in Kopenhagen gehört zu denjenigen Wissenschaftlern, die diese Entwicklung in den letzten Jahren vorangetrieben haben.

    Wir wollen von der Struktur einer Chemikalie auf ihre Eigenschaften schließen, also sagen können, ist der Stoff harmlos oder kann er eventuell Allergien oder Krebs auslösen. Inzwischen stehen uns viele Computermodelle zur Verfügung – und einige von ihnen sagen Stoffeigenschaften fast so sicher wie Tierversuche voraus. Der Einwand ist nun, dass diese Trefferwahrscheinlichkeit nicht so hoch ist wie bei Tierversuchen. Aber wir müssen daran denken, dass auch Tierversuchen große Unsicherheit innewohnt.

    Doch die heutige Gesetzgebung verlangt Tierversuche, um die Sicherheit von Arbeitern und Verbrauchern vor Chemikalien, Arzneimitteln, Kosmetika und Pestiziden zu gewährleisten. Und das hat eine Geschichte. Horst Spielmann von ZEBET blickt 40 Jahre zurück.

    Bei der Katastrophe mit Contergan hat man gemerkt, dass man einfach zu wenig weiß über die Giftigkeit von Stoffen und man hat sich nicht weiter zu helfen gewusst und hat damals Tierversuche genommen, um alle Bereiche, die es in der Toxikologie oder in der Lehre von den Nebenwirkungen gibt, abzubilden in Tierversuchen. Das heißt, wir haben für alle Bereiche Tierversuche.

    Damals wurde der Grundstein für die heute geltenden Regeln zur Risikobewertung von Stoffen gelegt. An diesen Regeln kommt kein Unternehmen vorbei, wenn es etwa eine neue Chemikalie anmelden will. Helma Hermans von der Industrieplattform für In-vitro-Tests, einem europäischen Zusammenschluss von 25 Unternehmen zur Förderung von Alternativen zu Tierversuchen

    Die kritische Öffentlichkeit sieht die Industrie zwar oft als Schurken. Aber ich kenne niemanden in der Industrie, der gerne Tierversuche ausführt. Doch wir müssen Tiere testen, weil wir es uns einfach nicht leisten können, ein Produkt auf den Markt zu bringen, das zum Beispiel nicht sicher für Verbraucher ist und kurz- oder langfristig schädlich wirkt. Aber wirklich, wir wollen weg von den Tierversuchen – so wie jeder andere auch.

    Tierschützern gehen jedoch die Vorschläge der Europäischen Kommission, Tierversuche im Rahmen der künftigen Chemikalienpolitik zu vermeiden, nicht weit genug. Sie argumentieren grundsätzlicher. Corina Gericke von den Ärzten gegen Tierversuche:

    Natürlich ist es wichtig, dass die Verbraucher vor schädlichen Substanzen geschützt werden, aber gerade Tierversuche sind der falsche Weg, um diese berechtigte Sicherheit zu gewährleisten.

    Denn weil sich Mensch und Tier in der Art und Weise unterscheiden, wie sie Substanzen aufnehmen, im Körper umsetzen und auch wieder ausscheiden, seien Ergebnisse aus Tierversuchen nicht auf Menschen übertragbar.

    Man kann Bücher damit füllen mit Beispielen, wie Mensch und Tier unterschiedlich reagiert. Beispiel: Blausäure ist für den Menschen sehr giftig, während einige Tierarten – Koala-Bär, Schaf – das sehr gut vertragen auch in größeren Mengen. Umgekehrt ist zum Beispiel die Petersilie für den Papageien schädlich und für den Menschen nicht.

    Emily McIvor von der ‘Europäischen Koalition zur Beendigung von Tierversuchen’ ergänzt:

    Daten aus Tierversuchen sagen nur etwas aus über Wirkungen bei einzelnen Tieren. Doch Ratten oder Mäuse unterscheiden sich untereinander genauso wie verschiedene Menschen. Außerdem leben Labortiere meist nur ein oder zwei Jahre, während Menschen jahrzehntelang mit Chemikalien belastet werden. Aus alle dem folgt für uns, dass Tierversuche keine verlässlichen Daten liefern – und daher nicht genutzt werden können, um den Menschen oder die Umwelt zu schützen.

    Mit anderen Worten: Tierschützer wollen das seit Jahrzehnten bestehende System zur Risikobewertung von Stoffen umkrempeln. Um Mensch und Umwelt ohne Tierversuche zu schützen, müssten unter anderem alle verfügbaren Daten genutzt und Unternehmen gezwungen werden, alle in ihren Laboren gewonnenen Daten herauszugeben. Tierschützer fordern außerdem, Ergebnisse aus Computerrechnungen zu berücksichtigen. Außerdem sollte die Entwicklung und Erprobung tierversuchsfreier Testmethoden stärker als bisher gefördert werden.
    Und das wird auch geschehen, glaubt Johannes van de Sandt von der Industrieplattform für In-vitro-Tests

    Der Streit um die künftige Chemikalienpolitik wird die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden stimulieren – keine Frage. Und wenn hier der Gesetzgeber sagt, künftig soll die Gefährlichkeit einer Chemikalie nicht mehr mit Tierversuchen, sondern schnell mit Labortests abgeschätzt werden, wird das die Risikobewertung verändern.

    Für Gerd Romanowski vom Verband der chemischen Industriegibt es aber zurzeit keine Alternative zu Tierversuchen – obwohl er weiß, dass sie ihre Grenzen haben.

    Natürlich. Die Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen ist nur begrenzt. Aber die Übertragung von anderen Methoden auf lebende Systeme ist noch begrenzter. Bei vielen Tests ist man auf das komplette, auf das ganzheitliche lebende System angewiesen. Dinge, wie Mehrgenerationenstudien, aufwendige Kanzerogenitätstests, allergieauslösendes Potenzial sind nur schwer vorstellbar an anderen Systemen als Tieren.

    Versuche im Labor und Tierversuche unterscheiden sich grundsätzlich voneinander. So haben Laborversuche – so genannte in-vitro-Tests – den Vorteil, dass sie unter kontrollierten Bedingungen ablaufen und leicht wiederholt werden können. Es sind aber einfache und schlichte Untersuchungen. Tiere hingegen und auch Menschen sind so komplex, dass sie niemals in einem Laborsystem nachzubilden sind. Das heißt für Helma Hermanns:

    Man wird Testbatterien und Teststrategien entwickeln. Und es kann gut sein, dass für eine spezielle Fragestellung dann fünf verschiedene in-vitro-Tests benutzt werden müssen. Und dann kann es immer noch sein, dass für eine ganz spezielle Frage auf einen Tierversuch zurückgegriffen werden muss.

    Das Bundesministerium für Wissenschaft fördert seit mehr als 20 Jahren ‘Alternativen zu Tierversuchen’ – inzwischen mit mehr als 4,5 Millionen Euro jährlich. Und es gibt Erfolge. So dürfen hierzulande Forscher keine Kosmetika mehr in Augen von Kaninchen tröpfeln, um zu testen, ob dadurch Augen gereizt werden. Diese Frage beantworten Forscher heute mit Hühnereiern.Solche Fortschritte in Deutschland seien zwar gut, meint Gerd Romanowski von der chemischen Industrie, aber ...

    ...es reicht nicht aus, national solche Ergänzungs- oder Ersatzmethoden einzuführen, weil wir natürlich wegen der europäischen Harmonisierung der einschlägigen Gesetzeslage – sei es im Arzneimittelbereich oder bei Chemikalien – natürlich gehalten sind, europaweit anerkannte Methoden zu haben.

    Da Unternehmen heute Produkte weltweit vertreiben, macht es wenig Sinn, eine Chemikalie oder ein Arzneimittel in allen Ländern neu auf ihre Risiken zu untersuchen. Daher treffen sich seit den 80er Jahren regelmäßig Experten aus Europa, Japan, den USA und Australien, um ihre nationalen Vorschriften einander anzugleichen – sich also darauf zu einigen, welcher Tierversuch wie ausgeführt werden muss, damit er überall anerkannt wird. Sich zwischen verschiedenen Staaten zu einigen, braucht Zeit. Gerd Romanowski hat dafür Verständnis,

    ... weil nämlich die Behörden bei der Anerkennung von Ersatzmethoden anstelle von Tierversuchen für bestimmte gesetzlich vorgeschriebene Tests sehr langsam und zögerlich vorgehen und sehr vorsichtig sind und es erfahrungsgemäß sehr lange dauert, bis ein solcher Ersatztest anerkannt wird und für gesetzlich vorgeschriebene Untersuchungen eingesetzt werden darf.

    Aber es geht voran: Es wird erwartet, dass die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die OECD einige Ersatzmethoden in den nächsten Jahren offiziell anerkennt. Die Bundesregierung versucht diesen Prozeß zu beschleunigen. Aber auch die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden erweist sich als ein steiniger Weg.
    Helma Hermanns blickt zurück:

    Vor 15 Jahren glaubten wir, mit genügend Forschungsförderung haben wir nach etwa fünf Jahren einen Labortest, um Stoffe etwa auf Haut- und Augenreizungen prüfen zu können. Das war aber ein Irrtum. Wir alle – aus Wissenschaft, Behörden und Industrie – mussten lernen, dass alles sehr komplex ist. Und dass man erst verstehen muss, wie ein Krankheit funktioniert, bevor man eine Ersatzmethode entwickeln kann.

    Das ist zum Teil bei Krankheiten mit relativ einfachen Wirkmechanismen gelungen. So wird seit Juni 2000 nicht mehr an Nagetieren getestet, ob ein Arzneimittel oder eine Chemikalie in Sonnencremes bei Sonneneinstrahlung die Haut angreift, sondern an Zellkulturen. Horst Spielmann von ZEBET.

    Wenn ich früher einen Tierversuch gemacht habe an Kaninchen, Maus oder Meerschweinchen, dann hat es vier, fünf Tage gedauert – mit Vorversuchen hat es mindestens einen Monat gedauert, bevor ich da eine Antwort bekommen habe. Und ich kann dann auch nur drei oder fünf Stoffe prüfen. Und heute kann ich an einem Tag zehn ohne weiteres prüfen und die Kosten sind viel geringer, indem ich nur Zellen exponiere, über Nacht behandle und am nächsten Tag mit einer Maschine herauslesen lasse, welche sind giftig, welche sind ungiftig. Das lässt sich schnell und einfach automatisieren.

    Aber, fährt Horst Spielmann fort,...

    Ich weiß bis heute nicht, niemand weiß, wie Krebs entsteht. Embryotoxizität versteht niemand. Ob es in einer Ratte was macht, in der Maus nicht, beim Menschen wieder. Da gibt es keine einheitlichen Ursachen. Deswegen kann ich ein relativ kompliziertes toxisches Vorgehen ganz schwierig - bei Embryotox ist auch noch so, Mutter, Embyro und das alles zusammen, auf die Haut, schlucken, das ist so kompliziert, dass es keinen einfachen Test bisher gibt, mit dem man das voraussagen kann.

    Es muss also weiter geforscht werden. Und während Deutschland seit 20 Jahren sicherstellt, dass für die Entwicklung von Ersatzmethoden Geld zur Verfügung steht, fehlt für solche Forschung im europäischen Haushalt ein festes Budget, klagt Helma Hermanns:

    Zurzeit konkurriert jedes Forschungsvorhaben zum Tierschutz mit hunderten von anderen wichtigen Projekten – etwa zur Entwicklung von Arzneimitteln gegen Krankheiten beim Menschen. Und da haben Projekte zum Tierschutz natürlich nur wenig Chancen. Wenn das Europäische Parlament uns wirklich helfen will, dann soll es die Kommission auffordern, Geld für die Forschung bereit zu stellen und auch für die Überprüfung, ob die neuen Konzepte wirken oder nicht.

    Ein Projekt allerdings konnte sich im letzten Jahr im Rahmen des sechsten europäischen Forschungsrahmenprogramms gegen die Konkurrenz durchsetzen. So fördert die Europäische Kommission jetzt mit zehn Millionen Euro fünf Jahre lang Projekte, um Ersatzmethoden zu entwickeln, mit denen einfach und schnell im Labor geprüft werden kann, ob eine Chemikalie Eier und Samen schädigen kann oder eine Gefahr für Föten im Mutterleib darstellt – ohne dass Tiere leiden müssen. Aber bis alle heute vorgeschriebenen Tierversuche ersetzt werden können, bis dahin wird noch einige Zeit vergehen. Noch einmal Helma Hermanns:

    Die Optimisten sprechen vom Jahr 2020, die Pessimisten von 2050 oder 2060. Wir wären alle sehr glücklich, würden wir das in den nächsten 15, 20 Jahren schaffen. Aber falsche Hoffnungen zu wecken, indem man sagt, wir werden im Jahr 2015 ohne Tierversuche auszukommen, das halte ich für kriminell.

    Doch in einem sind sich Tierschützer und Industrievertreter einig. Der aktuelle Streit um die künftige europäische Chemikalienpolitik trägt dazu bei, verstärkt über bessere Konzepte zur Risikobewertung von Stoffen nachzudenken. Das heißt: Eine Zukunft ohne Tierversuche ist denkbar – sei es in 5, 10, 20 oder auch erst in 50 Jahren.