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Archiv

Hildesheimer "Center for world"-Music
Weltmusik für die Konserve

Das Hildesheimer "Center for world"-Music hat es sich zum Ziel gesetzt, das musikalische Erbe der Menschheit zu konservieren. Überall auf der Welt retten die Hildesheimer historische Klang-Bestände, zum Beispiel auch aus dem Iran: Der Auftrag ist hochpolitisch.

Von Alexander Kohlmann | 24.02.2015
    Klänge von einer alten Schallplatte aus Teheran. Aus einem fernen Land, mit dem wir alles andere als Musikgeschichte assoziieren. Nicht so Raimund Vogels. Der Musik-Ethnologe ist Leiter des "Center for World Music" an der Universität Hildesheim. Deutschlandweit einzigartig ist diese Einrichtung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Klänge der Welt zu konservieren.
    "Für uns ist das Entscheidende dieser Archivarbeit, dass sie ja auch in die Zukunft wirkt. Es geht ja nicht darum alte Klänge wiederum für tote Räume zu konservieren und keiner hört es."
    Tonaufnahmen seien eine wichtige kulturhistorische Quelle - und eine sehr schwierig zu handhabende, da ist sich Vogels sicher. Denn ohne Ordnungssystem und Zugriff funktioniere gar nichts. Die historische Technik ist, vor allem für Tonbänder, oft nicht mehr überall verfügbar. Außerdem sind viele Bestände in einem schlechten Zustand. Deshalb werden die alten Tonträger erst einmal aufwendig gereinigt, dann in Echtzeit abgespielt. Es muss immer ein Spezialist zuhören, während das historische Material in mp3s verwandelt wird.
    Zeitaufwändige Erfassung in Datenbank
    Oft dauert die Digitalisierung monatelang. Aber der zeitaufwendigste Teil kommt erst danach - die Erfassung der Bestände in einer Datenbank mit Suchfunktion. Erst dann können Forscher überall auf der Welt auf die Archive zugreifen. Mittlerweile haben sich die Hildesheimer Klang-Sammler ein internationales Renommee erworben. Unter anderem in Kairo haben sie monatelang verstaubte Tonträger vor dem Verfall gerettet. Doch der Auftrag, an dem sie im Moment arbeiten, ist auch für Vogels und seine Kollegen ein besonderer. Mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes sichern sie das musikalische Erbe des Iran. 16000 Tonträger wollen sie digitalisieren. Die liegen im Musik Museum in Teheran.
    "Also das Archiv ist mehr oder weniger die ganze iranische Musik-Geschichte. Wir haben eine Reihe von unterschiedlichen Sammlungen. Die früheste ist tatsächlich eine Schellak-Schallplattensammlung, die geht von 1906 bis 1933."
    Ein Auftrag von hoher Symbolkraft sei das, betont Vogels. Denn natürlich werfen die Verstrickungen der internationalen Politik auch auf die Arbeit der Musik-Ethnologen ihren Schatten. Am wichtigsten sei es, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen - in einem schwierigen Umfeld. Es habe schon Augenblicke gegeben, in denen nicht klar gewesen sei, ob die Arbeit fortgesetzt werden könne, erinnert sich Vogels.
    "Wir haben zum Beispiel mal einen Beitrag von BBC-Iran mit Material unterstützt, und das war zu einem Zeitpunkt, wo im Iran Umbrüche waren, und da wurde uns dann doch vorgeworfen, dass wir da Einfluss nehmen wollten, was gar nicht unsere Absicht war, das heißt, wir wurden anders gesehen, als unsere Intention war."
    In dem Projekt geht es um mehr als nur um Musik - das sei auch den Verantwortlichen in Teheran klar. Denn mit der Aufarbeitung der Musikgeschichte werden viele Aspekte der komplizierten Historie des Landes berührt. Wenn das Auswärtige Amt ein Projekt wie dieses fördert, dann verbinden die Diplomaten damit immer auch Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderungen.
    Musikgeschichte als Trojanisches Pferd, gewissermaßen, auch wenn Vogels diesen Vergleich gar nicht so gerne hört.
    "Eigentlich alle Geisteswissenschaft und insbesondere die Musik-Ethnologie, auch wenn sie von außen nicht so wirkt, ist ein politisches Projekt. Insofern: Trojanisches Pferd ist vielleicht ein bisschen viel, aber als politischer Agent und Akteur, das ist durchaus eine Rolle, die wir akzeptieren können."
    Zugriff auf ein gigantisches Archiv
    Kioomars Musayyebi ist Student am "Center for world music". Der iranische Musiker kam vor drei Jahren nach Deutschland, nachdem er im Iran Musiktheorie und Komposition gelernt hat. Jetzt genießt er den Austausch mit den europäischen Studierenden und den Zugriff auf ein gigantisches Archiv aus Quellenmaterial.
    "Es wurden viele Fenster und Wege für mich geöffnet."
    Sagt Kioomars, den vor allem beeindruckt hat, dass die Hildesheimer bereit waren, ihn zum Studium zuzulassen - obwohl er die deutsche Sprache noch nicht perfekt beherrscht. Es ging um seine Musik, die er jetzt vernetzt mit Kollegen aus der ganzen Welt weiter entwickeln kann.
    Dabei interessiere ihn nicht nur traditionelle persische Musik, sondern er mischt in seinen Kompositionen arabische, türkische, indische und europäische Klänge.
    So wird die Musik in Hildesheim nicht einfach nur um ihrer selbst Willen gesammelt, sondern sie steht bereits einer ersten Forscher- und Musiker-Generation für ihre Arbeit zur Verfügung. Die Archive bieten Material für Generationen. Und es lagern immer noch überall auf der Welt unentdeckte Schätze.