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Hilfe für die sozial Schwachen

In Florenz gibt es eine ganz besondere Form der Nachbarschaftshilfe: Bewohner einer Siedlung am Stadtrand haben mit Spenden einen Sozialfondss gegründet, der Mitbürgern in Notfällen aus der Patsche hilft. Angeregt wurde die Initiative von Don Alessandro Santoro, einem jungen Priester, der sich um Außenseitergruppen kümmert. Und natürlich hoffen alle Beteiligten, dass ihr Beispiel Schule macht.

Von Christiane Büld Campetti |
    Die Basisgemeinschaft der Stadtrandsiedlung Le Piagge hat sich zusammengetan, um den Lauf der Dinge zu ändern, sagt Senora Chiara Manetti und zieht genüsslich an einer Zigarette. Man habe sich nicht mehr mit einfachen Lösungen zufrieden geben wollen, sondern sei lieber selber aktiv geworden. Und dann erklärt sie ihre Zigarettenpause für beendet und kehrt ins Gemeindehaus zurück.

    Wie fast jeden Mittwochabend sitzt die junge Frau aus den "Bronx von Florenz", wie die gesichtslose Siedlung am Stadtrand gerne genannt wird, mit einigen Nachbarn noch zu später Stunde zusammen, um gemeinsam die eingegangenen Briefe durchzugehen: Es sind ausnahmslos Anfragen nach Kleinkrediten.

    Denn angeregt vom Don Alessandro Santoro, dem Priester der Stadtrandgemeinde, haben sie vor sechs Jahren eine Bürgerinitiative gegründet und einen privaten Sozialfonds eingerichtet, den fondo etico e sociale, um Menschen in ihrer Nachbarschaft, die in soziale Not geraten sind, schnell und unbürokratisch helfen. 60.000 Euro beträgt das Grundkapital, das von zirca 50 ortsansässigen Familien stammt, die ihr Geld eben nicht gewinnbringend, sondern nutzbringend anlegen wollten.

    "Der Sozialfonds ist vor Ort für die Siedlungsbewohner eingerichtet worden. Nur wer hier lebt, kann auch davon Gebrauch machen. Wir wollen natürlich mit den Antragstellern in Kontakt bleiben. Es sind unsere Nachbarn, Menschen, denen wir täglich begegnen, im Supermarkt beispielsweise. Außerdem - man kann ja nie wissen - werden auch wir vielleicht einen Kredit irgendwann einmal selber in Anspruch nehmen müssen. Dazu muss man wissen, dass Le Piagge ein Wohngebiet mit vielen Sozialwohnungen und Arbeitslosen ist. Gerade hier ist es wichtig, dass es diese Form der Nachbarschaftshilfe gibt. Wichtig für die Kreditnehmer, die niemals einen normalen Bankkredit erhalten würden. Und wichtig für die Familien, die das Geld zur Verfügung stellen und die nun sagen können: Auch wir sind in der Lage, Geld zur Seite zu legen und anderen damit zu helfen. "

    Die Höchstgrenze der Kleinkredite für Privatpersonen beträgt 2600 Euro.
    Mit dem Geld werden Arztrechnungen bezahlt, Schulbücher gekauft oder es wird Schuldnern aus der Zinsfalle geholfen.

    Eine Vollversammlung entscheidet darüber, welchem der Anträge stattgegeben wird. Anschließend übernimmt jedes Mitglied der Auswahlkommission, zu der Chiara Manetti gehört, eine Art Patenschaft für die Antragsteller.

    Der Grundgedanke dabei ist, so Chiara Manetti, zwischen den Siedlungsbewohnern eine Beziehung herzustellen, die über den wirtschaftlichen Aspekt hinausgeht. Eine Aufforderung zu mehr Mitverantwortung und Solidarität also.

    Selbstredend müssen die Kredite innerhalb eines festgelegten Zeitraumes zurückbezahlt werden, und zwar ohne Zinsen. Angerechnet werden nur die jährliche Inflationsrate und die Bearbeitungsgebühr für die Finanzierungsgesellschaft, die den Geldtransfer durchführt.

    "Wir wollen mit der Initiative kritisches Bewusstsein fördern. Dazu gehört, dass man Verantwortung für sein Handeln übernimmt und das Geld zurück bezahlen muss. Alles andere fiele in den Bereich der Wohltätigkeit und das ist in unseren Augen kontraproduktiv. Viele Bewohner der Siedlung haben allerdings eine Versorgungsmentalität und glauben lieber, dass die Lösung ihrer Probleme nur von außen kommen kann. Wir hingegen gehen davon aus, dass sich das Selbstwertgefühl verbessert, wenn jemand in der Lage ist, selbst seine Stromrechnungen zu bezahlen oder eine eigene Firma zu gründen. Außerdem, nur wenn das Geld zurückbezahlt wird, kann es auch zirkulieren und kann anschließend ein anderer davon profitieren."

    Unter den eingegangenen Briefen, die an diesem Abend bearbeitet werden, ist auch eine erneute Anfrage von Paolo Rossi. Mit seinem ersten Kredit über 900 Euro hat der Schausteller die Anwaltskosten für einen Prozess gegen die Stadtverwaltung von Florenz beglichen, die ihm seine Standlizenz nicht verlängern wollte. Schon nach sechs Monaten hatte er ihn zurückbezahlt.

    Er hat damals nicht nur den Prozess gewonnen, sagt der todkranke Mann. Er habe auch etwas kennen gelernt, was ihm bis dahin noch niemals begegnet sei: Brüderlichkeit. Als Mitglied des fahrenden Volkes sei er es gewohnt gewesen, von seinen Mitmenschen stets misstrauisch beäugt zu werden.