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Hilfe für fettsüchtige Kinder

In den letzten 15 Jahren hat sich die Zahl der übergewichtigen und krankhaft fettsüchtigen Kinder und Jugendlichen verdoppelt. Mit entsprechenden Folgeerkrankungen wie Diabetes und Bluthochdruck. Vorbeugen hilft. Sinnvolle Modellprojekte kommen bisher vor allem aus den reicheren Regionen Deutschlands. Dabei sind gerade die Ärmsten besonders gefährdet.

Von William Vorsatz | 10.06.2008
    Der Unterschied fällt ins Auge. Wer von Hamburg östlich ins Mecklenburger Land fährt, wird feststellen, dass die Kinder und Jugendlichen dort besonders dick sind. Epidemiologische Daten bestätigen das. Professor Reinhard Holl von der Universität Ulm:

    "Die geringsten Adipositas-Raten haben wir in den Stadtstaaten, in Hamburg, in Bremen, teil auch in Berlin, und auf Bundesländer umgerechnet, sind es so etwa 20 Prozent Unterschied der Adipositashäufigkeit zwischen benachteiligten Regionen und zum Beispiel den genannten Stadtstaaten. "

    Mecklenburg-Vorpommern hält den traurigen Rekord. Es besteht ein Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher sowie sozialer Entwicklung einerseits und der Häufigkeit von Adipositas, also krankhafter Fettleibigkeit auf der anderen Seite. Je problematischer die wirtschaftliche und soziale Lage, desto dicker sind die Kinder und Jugendlichen:

    "Wenn man die Bevölkerung nach Einkommen und Bildung in drei Schichten einteilt, dann ist der Unterschied der Adipositashäufigkeit etwa 300 Prozent. Untere Schicht 300 Prozent häufiger als obere Schichten. Nun sind eben die sozialen Verhältnisse in Deutschland nicht gleich verteilt, und entsprechend dieses Problem Adipositas auch nicht gleich verteilt. "

    Wer wirksam Pfunde vermeiden will, kann damit gar nicht früh genug anfangen. Ein Modellprojekt der schweizerischen Nachbarn in der Bodensee-Region setzt deshalb schon in der Phase unmittelbar nach der Zeugung eines Kindes ein. Was die Mutter während der Schwangerschaft und Stillzeit isst, scheint den späteren Geschmack des Nachwuchses dauerhaft zu prägen. Der Präventivmediziner Gaudenz Bachmann aus St. Gallen:

    "Es gibt heute erste Erkenntnisse, dass über die Vermittlung von Geschmackstoffen während der Schwangerschaft, nachher in der Stillzeit, die Erfahrung mit den verschiedenen Geschmackstoffen auch den Boden ebnet, diese Nahrungsmittel später selber zu essen. "

    So bevorzugen beispielsweise Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft und Stillzeit viele Karotten zu sich genommen haben, später im Leben selbst Karotten.

    Das Schweizer Pilot-Projekt begleitet die Kinder und Jugendlichen bis zum jungen Erwachsenenalter. Dabei wenden sich die Berater mit ihren Informationsangeboten direkt an Mütter und Väter, aber auch an Gynäkologen, Hebammen und Still-Berater, die diese Erkenntnisse dann weiter geben sollen.

    Um Kinder, die bereits übergewichtig oder schon adipös sind, kümmert sich ein Modellprojekt im Raum Ravensburg, zusammen mit dem österreichischen Vorarlberg und Kanton St. Gallen in der Schweiz. Kinderarzt Andreas Artlich von der Oberschwabenklinik Ravensburg zum Zustand seiner fettleibigen jungen Patienten:

    "Die haben vielfach zusätzliche Krankheitserscheinungen, zum Beispiel erhöhten Blutdruck, erhöhten Blutzucker, erhöhte Leberfettwerte, und da müssen wir uns in anderer Weise drum kümmern, dass die nicht zusätzlich zu ihrem Übergewicht medizinisch krank werden. "

    Ein interdisziplinäres Team von Beratern hat in dem Forschungsprojekt ein Jahr lang etwa 100 Kinder und ihre Eltern geschult. Dezentral, an verschiedenen Orten. So bekamen Eltern und Kinder medizinisches Wissen, Ernährungskenntnisse, psychologische Fähigkeiten, etwa um Konflikte ohne Frustessen zu verarbeiten, und dazu viel Sport:
    "Dass die Kinder abnehmen, oder zumindest ihr Gewicht halten, das ist zu erwarten, das leisten viele Programme. Was wir untersucht haben, und was wir auch finden, dass wir wirklich kardiovaskuläre Risikofaktoren, erhöhten Blutdruck, erhöhte Blutfettwerte, signifikant vermindern durch unsere Schulung, und das schaffen kurz angelegte Schulungsprogramme nicht. "

    Bleibt zu hoffen, dass solche Modellprojekte auch Nordosten Deutschlands nachgeahmt werden. Etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wo Hilfe am meisten gebraucht wird.