Im Kloster Sankt Marien zu Helfta, nahe der Lutherstadt Eisleben in Sachsen-Anhalt: Sechsmal am Tag, sieben Tage die Woche beten die Zisterzienserinnen in der Klosterkirche. Gerade hat die Mittagshore, das Mittagsgebet angefangen.
"Magnificentia et pulchritudo in conspectu eius … "
Das Zisterzienserinnenkloster wurde 1999 wiederbelebt - nach mehr als 450 Jahren geistlicher Abstinenz. Im Mittelalter - seit dem 9. Jahrhundert - wirkten hier Mystikerinnen wie Mechthild von Magdeburg oder Gertrud von Helfta. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Kloster ein "Volkseigenes Gut". Heute leben im Konvent wieder zwölf Ordensfrauen - eine davon Hildegard Striegl, die den Ordensnamen Schwester Gertrud trägt.
"Wir haben als Aufgabe, geschwisterlich, brüderlich miteinander zu leben. Wir müssen ein Zeugnis geben, das nach außen wirkt und dass wir zusammen gut arbeiten oder uns gut absprechen können und jeder seinen Dienst ordentlich erfüllt", sagt Schwester Gertrud.
"Ich halte das nicht mehr aus"
Auf dieses Leben im Kloster hat sich die Zisterzienserin im Noviziat und Postulat vorbereitet. Was Gemeinschaft aber wirklich bedeute, erklärt die Ordensfrau, merke man erst, wenn man dort lebt und es Konflikte mit Mitschwestern gibt, wie bei ihr.
"Das war für mich so bedrängend und schwer, dass ich immer wieder gesagt habe, ich halte das nicht mehr aus. Das waren mindestens sieben, acht Jahre, wo ich das Gefühl habe, ich hasse diese Schwester und ich möchte mit ihr nichts mehr zu tun haben."
Schwester Gertrud hat mit sich gerungen und versucht, den Konflikt zu verdrängen. Doch in einer kleinen, abgeschlossenen Gemeinschaft ist es unmöglich, sich aus dem Weg zu gehen. Es gibt Berührungspunkte: beim Gebet, beim Essen, bei der Arbeit. Mehr und mehr zog sie sich zurück. Und dabei ging es ihr immer schlechter.
"Meine Oberin hat es dann gemerkt, als sie mich gesehen hat, wie ich wirklich bitterlich geweint habe. Da ist sie so erschrocken, dass sie gesagt hat, so kann es nicht weitergehen."
Überlastung und Burn-out auch bei Ordensleuten
Die Glocke der Benediktinerabtei Münsterschwarzach in Franken ruft zur Vesper, dem feierlichen Abendgebet. Die vor 105 Jahren von Missionsbenediktinern aus St. Ottilien gegründet Abtei zählt zu den bedeutendsten Klöstern im deutschsprachigen Raum.
Getreu dem benediktinischen Grundsatz "ora et labora" beten die 125 zum Konvent gehörenden Mönche in der Abteikirche und arbeiten in über 20 Klosterbetrieben. Aber immer weniger Frauen und Männer entscheiden sich für Kloster-Leben. Und so können klösterliche Gemeinschaften sich nicht über mangelnde Arbeit beklagen: Die anstehenden Aufgaben müssen erledigt und auf wenige verteilt werden. So werden Stress, Überlastung und Burn-out auch für Ordensleute eine zunehmende Gefahr. Dafür gibt es das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach. Frei übersetzt heißt "recollectio" "zurückbesinnen", erklärt Pater Zacharias, der mit bürgerlichen Namen Götz Heyes heißt.
"Und es geht darum, dass Menschen eine Zeit bekommen oder sich nehmen, wo sie wieder sich sammeln können, wo sie wieder zu sich selber finden können."
Für Seelsorger schwer, Hilflosigkeit einzugestehen
Das Recollectio-Haus sei ein Therapiezentrum, in dem katholische Geistliche und Kirchenmitarbeiter im spirituellen Ambiente der Benediktinergemeinschaft neue Kraft schöpfen, erklärt der geistliche Begleiter weiter.
"Es sind Menschen, die fragen, ob die Lebensform, die sie für sich gewählt hatten, noch die richtige Form ist, oder die in irgendeiner anderen Art und Weise in eine Krise geraten sind. Oder an ihren Arbeitsstellen vielleicht Konflikte erleben, wo sie lernen wollen, damit umzugehen. So dass es immer wieder passieren kann, dass jemand sich selbst aus dem Blick verliert und dann eben auch mal eine längere Auszeit braucht", so Pater Zacharias.
Ihre Rolle als Helfer, als Seelsorger, als Unterstützer macht es vielen Geistlichen schwer, die eigene Hilflosigkeit einzugestehen.
"Denen müsste es doch gut gehen. Die haben doch beten und arbeiten und alles", sagt Ruthard Ott.
Der Psychotherapeut und Theologe leitet das Recollectio-Haus.
"Aber sie sind immer im Dienst, haben wenig Privatsphäre. Wenn Mitglieder eines Konvents zu mir kommen, dann frage ich, wann können Sie eigentlich mal ausschlafen? Und dann sagen die: Naja, da muss ich eigentlich krank sein. Wenn so keine Entlastungszeiten da sind, wenn ich mir das nicht nehmen kann, dann kommt es zu dieser Burn-out- Gefährdung", so Ott.
"Das sind Menschen, die so viel für andere da sind, dass sie gar keine Zeit mehr für sich selber haben und dann eben für sich lernen müssen, wie geht denn eigentlich die Fürsorge für mich selber?", sagt Pater Zacharias.
Konflikte, Depressionen, Probleme mit dem Zölibat
Die Hilfesuchenden kämpfen mit Konflikten in ihrer Gemeinschaft, tun sich schwer mit dem Zölibat oder stellen ihre Berufsentscheidung in Frage. Für drei Monate leben sie dann in Münsterschwarzach in einer Gemeinschaft auf Zeit. Ob in Gruppen oder Einzeltherapien, beim Sport, Entspannen oder Arbeiten in den Werkstätten der Abtei sollen sie dem wahren Grund ihrer Überlastung, des Ausgebrannt-Seins, der Konflikte näher kommen.
"Also was lässt mich nicht einschlafen? Was treibt mich um? Was liegt mir im Magen? Was geht Ihnen denn durch den Kopf, dass sie keine Ruhe finden?", sagt Ott.
"Und die ersten drei Monate, wo ich in dieser Auszeit war, war ich kaum fähig, irgendetwas zu machen", sagt Schwester Gertrud.
Die Zisterzienserin Gertrud erinnert sich an die Zeit nach ihrem Zusammenbruch:
"Da war ich nur mit mir beschäftigt, um wieder auf die Beine zu kommen, um nicht mehr das Gefühl zu haben, nur müde zu sein und ich hatte keine Kraft mehr, irgendetwas zu schaffen. Und auch keine Motivation. Ich wollte gar nicht mehr."
Es gibt nicht viele Therapie-Einrichtungen für Geistliche in Deutschland: Neben Münsterschwarzach das St. Marienhaus in Breuberg im Odenwald, das Haus Gries im fränkischen Wilhelmsthal und das Auszeitenhaus der Franziskanerinnen von Reute im Allgäu. Krise her, Religion spielt in allen Häusern eine zentrale Rolle, auch in Münsterschwarzach, so Ruthard Ott:
"Man braucht natürlich eine Ordensgemeinschaft, die selber auch unterwegs ist und die selber eine geerdete Spiritualität hat und das Glück haben wir. Wenn ich so an unsere Gottesdienste denke, die wir im Recollectio-Haus erleben und die von den Patres gehalten werden - da wird Leben zur Sprache gebracht. Das hat so eine Mut machende und auch versöhnende Seite, die wir in den psychotherapeutischen oder medizinischen Therapieansätzen allein gar nicht zur Verfügung hätten."
"Wir schauen einfach mit unterschiedlichen Blickwinkeln", sagt Pater Zacharias. "Der Therapeut schaut unter dem therapeutischen Blickwinkel auf die Situation - und ich eher unter dem geistlichen Aspekt. Da kommen auch unterschiedliche Themen zur Sprache."
Ziel: Rückkehr in den kirchlichen Alltag
Nicht alle, die in Münsterschwarzach Hilfe suchen, haben ein Burn-out, eine Depression. Manche brauchen Abstand vom Alltag, manche wollen sich auf sich selbst besinnen. Die Therapie im kirchlichen Kontext sei eine Gratwanderung, etwa wenn persönliche Überzeugungen sich nicht mit der offiziellen Kirchenlinie decken oder jemand Probleme mit dem Zölibat habe, erklärt Benediktiner Zacharias Heyes, dem seine Schweigepflicht ganz wichtig ist.
"Geistlicher Begleiter heißt für mich vor allen Dingen, mit dem Menschen zu schauen, wo Gott in ihrem Leben vorkommt und welche Spuren Gottes zeigen sich jetzt im Leben? Also ich verwende gern den Begriff der Spurensicherung, weil man auch oft selber blind ist und manche Dinge einfach gar nicht sieht. Oder wenn es Konflikte in meinem Arbeitsbereich gibt, zu gucken, was sind denn meine eigenen Anteile daran? Und wie kann ich dann auch an mir selber arbeiten? Und nicht nur erwarten, dass der andere sich ändert."
Um dann wieder in den kirchlichen Alltag zurückzugehen. Denn das sei das Ziel. In Münsterschwarzach sind die Kurse, wie die Auszeiten genannt werden, begrenzt auf drei Monate. Anders bei Gertrud Striegl, die neun Monate im Kloster Breuberg war: Die tiefe Traurigkeit, das Gefühl, nicht verstanden zu werden, waren Ausdruck einer Depression. Hinzu kamen die nicht verarbeiteten Traumata ihrer Kindheit, die sie zweifeln ließen. Heute lacht sie wieder und beherzigt den Rat ihrer geistlichen Begleiterin: Freuen Sie sich am Leben. Und wenn das mal nicht klappt, macht nichts.
"Sie hat immer wieder gesagt, ich kann sie mitnehmen - in geistiger Form. Ich kann sie immer wieder zu Hilfe holen", sagt Schwester Gertrud. "Und das mache ich auch, vor allem wenn eine schwierige Situation kommt. Da kann ich sie mir, das habe ich lange geübt, wieder holen im Geiste und da kann sie mir helfen. Und das ist so dieser sichere Ort, den ich in mir entdeckt habe, wohin ich mich zurückziehen kann, wenn ich von außen keine Hilfe bekomme oder scheinbar niemand da ist. Diese Auseinandersetzung hat mich wachsen lassen. Da ist viel in mir gereift und ich habe auch gelernt, Grenzen zu setzen."