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Hilfe für verwundete Soldaten

Sie war eine jener großen Frauen, die kolossale Kräfte entfalten konnten: Clara Barton half den Verwundeten im amerikanischen Bürgerkrieg. Sie gab den Anstoß zur Einrichtung des weltweit ersten Suchdienstes für Vermisste und gründete das amerikanische Rote Kreuz. Am 12. April 1912 starb sie im Alter von 90 Jahren.

Von Irene Meichsner | 12.04.2012
    "Es war das fürchterlichste Artilleriefeuer, das ich jemals gehört habe. Die Tische wackelten und kugelten umher, sodass wir die Männer darauf kaum festhalten konnten. Das Dröhnen war übermächtig."

    So erinnerte sich Clara Barton an die Schlacht am Antietam im September 1861, bei der sie einem Feldchirurgen assistierte. Es war eines der schwersten Gefechte des amerikanischen Bürgerkriegs mit Tausenden von Toten und Verwundeten.

    "Am nächsten Morgen wurde ich mit einem Fuhrwerk nach Washington zurückgekarrt. Als ich in den Spiegel sah, hatte mein Gesicht immer noch die Farbe von Schießpulver: ein dunkles Blau. Oh ja, ich war an der Front!"

    Man hat Clara Barton als "Engel des Schlachtfelds" gepriesen, manche nannten sie auch die "amerikanische Florence Nightingale". Sie gründete das amerikanische Rote Kreuz und setzte sich für die Rechte der Frauen und der Schwarzen ein - eine unglaubliche Leistung, wenn man bedenkt, was für ein schüchternes Mädchen sie gewesen war.

    Am ersten Weihnachtstag 1821 war sie als Clarissa Harlowe Barton in Oxford in Massachusetts zur Welt gekommen. Welch eiserner Wille in dem scheuen Kind steckte, zeigte sich, als ihr älterer Bruder David 1833 bei einem Unfall schwer verletzt wurde. Clara pflegte ihn zwei Jahre lang.

    "Ich hielt das für die natürlichste Sache der Welt",

    schrieb sie in ihren Kindheitserinnerungen. Doch als David genesen war, fühlte sie sich fremd in der Welt.

    "Ich suchte verzweifelt nach einer nützlichen Beschäftigung."

    Barton wurde Lehrerin. Sie gründete 1852 die erste freie öffentliche Schule in Bordentown in New Jersey, wechselte dann aber zum Patentamt nach Washington, weil man einen Mann als Schuldirektor vorgezogen hatte.

    Als 1861 der Bürgerkrieg ausbrach, kümmerte sich Clara Barton auf eigene Kosten um verwundete Soldaten. Später gründete sie den ersten Suchdienst nach Vermissten und bekam dafür vom Staat im Nachhinein 15.000 Dollar. Um Mitstreiter zu gewinnen, hielt sie Vorträge über ihre Erlebnisse, bis ihr buchstäblich die Stimme versagte. Barton reiste 1869 nach Europa, um sich zu erholen - und hörte in der Schweiz zum ersten Mal vom Internationalen Roten Kreuz. Es war 1864 in Genf gegründet worden, um Kriegsverwundeten beizustehen. Eine Initiative des Schweizer Geschäftsmanns Henri Dunant, eines Augenzeugen der Schlacht bei Solferino.

    Barton beteiligte sich an Hilfsdiensten während des Deutsch-Französischen Kriegs. Nach einem Nervenzusammenbruch kehrte sie 1873 nach Amerika zurück, fest entschlossen, die USA dazu zu bringen, die "Genfer Konvention" des Internationalen Roten Kreuzes zu unterzeichnen. Viele ihrer Landsleute wähnten sich nach dem Bürgerkrieg vor künftigen Kriegen sicher. Barton versuchte, sie von einem Gedanken zu überzeugen, der später auch in den Rot-Kreuz-Statuten verankert werden sollte:

    "Zur 'Raison d'etre' der nationalen Hilfsorganisationen gehört es auch, den Opfern nationaler Katastrophen zu helfen, etwa bei Cholera- oder Gelbfieberepidemien, nach Feuersbrünsten, Hochwasser, Eisenbahn- oder Minenunglücken."

    1881 wurde das amerikanische Rote Kreuz gegründet und Clara Barton zur Präsidentin gewählt. Sie war stets persönlich vor Ort nach Waldbränden in Michigan, einem Hochwasser am Mississippi, einem Erdbeben in South Carolina, einer Flutkatastrophe in Pennsylvania, einem Hurrikan in Texas. 1898 leitete Barton den Einsatz des Roten Kreuzes beim Spanisch-Amerikanischen Krieg um Kuba. Sie reiste oft ins Ausland, wurde 1902 bei der Internationalen Rot-Kreuz-Konferenz in St. Petersburg vom russischen Zarenpaar empfangen.

    Zunehmend gab es aber auch Kritik an ihrem Führungsstil.

    "Je älter sie wurde, desto weniger konnte sie es ertragen, wenn man sie kritisierte oder ihr nicht genug Dankbarkeit zeigte für all das Gute, das sie getan hatte. Sie lechzte nach Lob und Anerkennung."

    schreibt ihr Biograf David Burton. 1904, im Alter von 82 Jahren, beugte sich Barton dem Druck und legte ihr Präsidentenamt nieder - enttäuscht und verbittert. Die letzten Jahre verbrachte sie in Glen Echo in Maryland, wo sie am 12. April 1912 im Alter von 90 Jahren starb.

    Im darauffolgenden Jahr bekam das amerikanische Rote Kreuz von der Rockefeller-Stiftung eine Spende von 100.000 Dollar für den Kauf eines Grundstücks in der Nähe des Weißen Hauses, um dort sein Hauptquartier zu errichten, fortan und bis heute die Schaltstelle für Amerikas Samariterdienste in Kriegs- und Friedenszeiten.