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Hilfe fürs Vergessen

Eine Therapieform bei posttraumatischen Belastungsstörungen: Die Betroffenen werden immer wieder mit der traumatischen Situation konfrontiert, bis sie gelernt haben ihre Emotionen zu beherrschen. Wissenschaftler haben nun einen neuen Ansatz vorgeschlagen, mit dem sie diese Konfrontationstherapie unterstützen wollen.

Von Katrin Zöfel |
    Ketamin ist eine Substanz, die Patienten wenn überhaupt erst dann bekommen, wenn ihre Situation fast aussichtslos scheint. Bei schweren Depressionen, gegen die sonst kein Medikament geholfen hat, oder bei Menschen, die sich mit Selbstmordgedanken und Horrorfantasien quälen. Doch die Substanz greift massiv in das Gehirn ein.

    "Von Ketamin weiß man, dass es Halluzinationen hervorruft, es kann also Psychosen auslösen. Das sind ernste Nebenwirkungen. Auf der anderen Seite kann schon eine einzige Dosis Patienten mit schweren, behandlungsresistenten Depressionen tatsächlich helfen."

    Neil Fournier von der Yale School of Medicine in New Haven erklärt, dass Ketamin die Kommunikation zwischen Nervenzellen im Gehirn beeinflusst, genauer: es verstärkt die Ausschüttung des Botenstoffs Glutamat. Weil Glutamat beim Speichern von Erinnerungen eine Rolle spielt, überlegte sich der Forscher, dass man mit Ketamin womöglich auch posttraumatische Belastungsstörungen, kurz PTSB, behandeln könnte.

    "Wir bezeichnen posttraumatische Belastungsstörungen auch gerne als eine Störung im Erholungsprozess des Gehirns. Gesunde Menschen vergessen schlimme Erlebnisse nach einer Weile wieder und fühlen sich mit der Zeit wieder sicher. Patienten mit PTSB können die traumatische Erinnerung nicht wieder löschen. "

    PTSB könnte man also auch als eine Art "Gedächtnisstörung" bezeichnen. Die böse Erinnerung bleibt, und wird bei den Patienten viel zu oft wieder wach gerufen. Ein Medikament wie Ketamin, das in das Gedächtnis eingreift, könnte hier etwas bewirken, vermuteten die Forscher. Sie testeten diese Hypothese an Ratten - mit einem sehr klassischen Versuchsdesign. Ratten, denen man einen bestimmten Ton vorspielt und jedes Mal kurz danach einen leichten Elektroschock auf die Pfoten gibt, lernen schnell, diesen Ton zu fürchten. Diese Assoziation verlernen die Tiere aber wieder, wenn ihnen der Ton mehrere Tage lang ohne den Elektroschock vorgespielt wird. Sie lernen neu, dass der Ton ungefährlich ist. Fourniers Frage war: Was verändert sich, wenn die Tiere Ketamin bekommen?

    "Es war, als wäre der schlechten Erinnerung ihr Stachel genommen worden. Die Ratten begriffen unter Ketamin schneller, dass ihnen keine Gefahr mehr drohte."

    Übertragen auf den Menschen wäre die Hoffnung, PTSD-Patienten könnten traumatische Erlebnisse unter Ketamin schneller vergessen. Amy Arnsten, die an der Yale School of Medicine eine eigene Forschungsgruppe leitet, betont jedoch die Unterschiede zwischen dem Gehirn einer Ratte und dem eines Menschen. Ketamin wirke vor allem in den höher entwickelten, typisch menschlichen Hirnregionen, deshalb führe es zu starken Bewusstseinsstörungen.

    "Patienten können unter Ketamin nicht mehr klar denken. Das Medikament kommt also nur in sehr schweren Fällen in Frage, unter ärztlicher Aufsicht im Krankenhaus. Man kann es nicht einfach ohne Betreuung als Pille schlucken, so wie die sonst gebräuchlichen Antidepressiva."

    Eine langfristige Therapie kann sich Amy Arnsten daher kaum vorstellen. Der Grund, warum die Forscher um Neil Fournier selbst derart nebenwirkungsstarke Medikamente austesten, liegt auf der Hand: viele Patienten erleben selbst nach einer erfolgreichen Therapie einen Rückfall, die Mehrheit, so Fournier, werde nie ganz symptomfrei. Vielleicht, und das ist die Hoffnung, könnte Ketamin oder ein chemisch verwandter Stoff mit weniger Nebenwirkungen das Vergessen der traumatischen Erfahrung beschleunigen.