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Hilfe gegen Tinnitus

Medizin.- Schätzungsweise 14 Millionen Menschen leiden in Deutschland an einem Tinnitus. Ein französisches Unternehmen hat dem Störenfried im Ohr den Kampf angesagt und ein Gerät entwickelt, das mithilfe von Elektroden für Ruhe sorgen soll.

Von Michael Engel | 22.09.2009
    So klingt ein Tinnitus – ein Ohrgeräusch.

    "Häufig ist es ein hoher Ton",

    sagt Tina Mergel. Im Hörzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover erkundet sie täglich die Ohrgeräusche der Betroffenen. So auch von Sabine von Oesen, die gerade in die Hörkabine geht. Kontakt gibt es dann nur noch über die Gegensprechanlage:

    "Frau von Oesen, Sie hören mich?

    "Ja!"

    Tina Mergel will herausfinden, wie der Tinnitus klingt, den die 41-Jährige Patientin ständig im Ohr hat.

    "Ist das ein Rauschen oder ein Ton, den Sie haben? Rauschen! Gut, dann werden Sie jetzt ein Rauschen hören und vergleichen mein Rauschen mit dem in ihrem Ohr."

    "Etwas höher!"

    "Das ist ein Rauschen. Das geht bei leisen Tönen los, und das ist teilweise dann auch so laut, dass ich sage, ich höre kaum noch was."

    Der französische Elektronikhersteller Neurelec testet zurzeit ein Gerät, das die Ohrgeräusche ein für allemal abschalten soll: Gedacht speziell für Menschen, die unter Schwerhörigkeit leiden oder sogar taub sind. Tinnilec – so der Name - besteht aus einem Prozessor, der wie ein Hörgerät hinter dem Ohr getragen wird. Unmittelbar daneben - unter der Kopfhaut implantiert – befindet sich ein Empfänger. Von dort aus gehen schwache elektrische Reizsignale über eine Elektrode weiter bis zum Innenohr. Petra Sarnes ist bei Neurelec Ingenieurin für Medizintechnik:

    "Tinnilec macht folgendes: Es stimuliert die Hörschnecke und damit auch den Hörnerv elektrisch und soll damit die Hörschnecke und den Hörnerven reizen, um den Tinnitus zu unterdrücken."

    Das Besondere an Tinnilec: Es gibt nur eine einzige Elektrode, die von außen an die Hörschnecke herangeführt wird. Die Hörnervenzellen werden also nur indirekt gereizt. Deswegen sind die Stromschwingungen, die in die Hörschnecke gelangen, extrem schwach, versichert Professor Thomas Lenarz, der Leiter des Hörzentrums:

    "Tinnilec ist ein Verfahren, mit elektrischem Strom das Ohrgeräusch zu unterdrücken. Und zwar bei Patienten, die entweder ertaubt sind oder eine doch größere Schwerhörigkeit haben. Das Prinzip besteht darin, dass man mit elektrischen Reizen den Hörnerven anregen kann. Der Nerv wird sozusagen wieder beschäftigt. Und damit wird das, was zum Ohrgeräusch führt, nämlich eine unkontrollierte Nervenentladung, unterdrückt."

    Betroffene, die noch gut hören, brauchen die französische Entwicklung nicht. Hier helfen sogenannte "Maskierungsverfahren" - eine Art Hörgerät - das genau den Ton erzeugt, den der Patient hört: Im Endeffekt blendet das Gehirn den Ton dann aus. Bei schwerhörigen beziehungsweise tauben Patienten indes sind akustisch arbeitende Maskierungsverfahren naturgemäß ohne Wirkung: Tinnilec schließt hier quasi eine therapeutische Lücke. Sabine von Oesen, die auf einem Ohr taub ist, konnte sich bereits freuen.

    "Das hat wunderbar funktioniert. Nach drei Tagen habe ich mein eigenes Rauschen nicht mehr gehört."

    Neun Patienten wurden bislang mit dem Gerät behandelt. Sechs in Marseille, drei in Hannover. Doch nicht alle haben auf Tinnilec so positiv reagiert. Gleichwohl ist Professor Thomas Lenarz optimistisch. Er möchte die Zahl der Studienteilnehmer erheblich ausweiten.