Archiv


Hilfe in schwierigen Situationen

An fast allen deutschen Hochschulen gibt es psychosoziale Beratungsstellen, finanziert von den Deutschen Studentenwerken. In Göttingen treffen sich heute rund 100 Berater, um über die Nöte und Probleme zu sprechen, die sich bei den Studierenden seit dem Bologna-Prozess ergeben - und die können enorm sein.

Von Carolin Hoffrogge |
    Fabian Zeller steht kurz vor dem Abschluss seines Masterstudiengangs Marketing. Gerade ist der sportliche 26-Jährige auf dem Weg in die Göttinger Unibiliothek. Hier will er für seine Prüfung lernen. Während seines Studiums konnte sich Fabian bisher gut über Wasser halten.

    "Es kommt darauf an, welchen Anspruch man an sich hat und wie man sich das Studium einteilt. Ich habe es geschafft, hatte nicht so eine hohen Anspruch an mich selber, das heißt, man macht sich selber nicht so viel Druck, muss nicht jede Klausur mit 1,0 bestehen, dann kann man das sicherlich mit nicht ganz so viel Stress absolvieren. Aber wenn man hohe Ansprüche hat oder mal durch eine Klausur durchfällt, dann wird es schon sehr stressig. Im Umfeld habe ich das schon mitbekommen, dass sich einige zu viel Stress gemacht haben."

    Mittlerweile suchen dreimal mehr Studierende eine Beratungsstelle an den deutschen Studentenwerken oder Universitäten auf als noch vor zehn Jahren, sagt Wilfried Schumann. Er leitet die Psychosoziale Beratungsstelle der Universität und des Studentenwerks in Oldenburg.

    "Wir haben nach der Umstellung des Systems in dem Maße Studierende aus den ersten beiden Semestern bei uns wie das vorher nie der Fall war. Früher kamen die Leute eher am Ende des Studiums, weil dann bestimmte Schwierigkeiten auftraten. Heute ist die Sorge nach erstem Misserfolg schon da, dann kommen schon die grundlegenden Zweifel, weil in ihrem eigenen Selbstkonzept ist Scheitern nicht enthalten."

    Viele befinden sich noch in einer Lebensphase, wo sie ihre Persönlichkeit ausprägen. Da läuft nicht immer alles rund, beobachtet Psychologe Schumann in seinem Beratungsalltag.
    "Wir haben es mit einer Studentengeneration zu tun, wo sehr viele Studierende sehr leistungsbereit an die Hochschule kommen. Ich sage mal, die haben die gesellschaftlichen Mainstream verinnerlicht, dass sie wirklich glauben, ich habe nur dann eine Chance in diesem System, wenn ich jung, schön und erfolgreich da durchgehe. Sobald erste Misserfolge kommen, entstehen sehr schnell Zweifel an der eigenen Leistung."

    Werden die hohen Ideale in dieser "permanenten Castingshow", wie Berater Schumann den Studienalltag der Bachelor- und Masterstudenten beschreibt, nicht verwirklicht, schmeißen einige sogar ganz hin. Sie hören mit dem Studium auf. Besonders oft trifft es die Studierenden, die mit einem Einser-Abi an die Hochschulen kommen. Wilfried Schumann:

    "Gerade sehr leistungsbereite und fähige Studierende drohen in diesem System rauszufliegen, weil mit den Strukturen, die wir ihnen abverlangen, eine kritische Masse entsteht; weil Leute, die es eigentlich drauf haben, die Superchancen hätten, vom Selbstwert, vom Selbstvertrauen in eine massive Krise gestürzt werden. Das müsste nicht sein."

    Um die Probleme, Ängste und Störungen bei den Studierenden schon möglichst früh abzupuffern, bieten die Studentenwerke deutschlandweit jetzt mehr und mehr Workshops an, sagt Achim Meyer auf der Heide. Er ist Geschäftsführer des Deutschen Studentenwerks in Berlin.

    "Es gibt Zeitmanagementkurse, es gibt Kurse 'Wie gehe ich mit Stress um?', dann Kurse 'Wie kann ich mich entspannen?'- bis hin zu Yoga. Dann Arbeitstechniken, die vermittelt werden: 'Wie kann ich gut schneller Lesen, Studieren?"

    Ob Lernmethoden, Entspannungstechniken, Motivationstraining oder tiefgehende Einzelgespräche: Der Bedarf ist riesig. Die finanzielle Unterstützung der Länder wird allerdings Jahr für Jahr weniger, bedauert Achim Meyer auf der Heide. In den vergangenen 20 Jahren seien die Gelder um ein Viertel gekürzt worden. Also versuchen sie jetzt mit ihren Workshops mehr Studierende zu erreichen, sagt Jana Zeil vom Studentenwerk Thüringen.

    "Wir in Thüringen sind immer bestrebt, ein buntes Programm anzubieten, wie sicherlich auch andere Studentenwerke. Grundsätzlich ist es schon unser Auftrag die Nachfrage, insbesondere nach Entspannungstechniken, nach Stressbewältigung, auch Selbstwertstärkungsseminare, das wir das auch von uns aus mit machen."

    Da für teuere Einzelgespräche nicht immer genügend Berater zur Verfügung stehen, sind immer mehr Psychologen in den Beratungsstellen als Allrounder tätig, sagt Jana Zeil.

    "Ich bin noch Shiatsu-Therapeutin. Entspannungstechniken, Yoga, Stressbewältigung, das haben viele Berater als Ausbildungszusatz gemacht. Gerade auch in den Prüfungsphasen, zum Thema Prüfungsangst ist es eine hervorragende Möglichkeit, wo ich etwas machen kann, wo ich was rausnehmen kann, also Entspannung, wo ich als Gegenpol der übermäßigen Spannung etwas hinzufüge."

    Damit die Hochschulen nicht ihre besten Köpfe verlieren, geben die Berater ihre Erfahrungen an die Fakultäten weiter, selbstverständlich verschlüsselt, wie Wilfried Schumann garantiert.

    "Wir haben ja ein Geheimwissen, das was sonst nicht veröffentlicht wird, das wird bei uns in der Beratung deutlich. Die Studierenden vertrauen sich uns an mit ihrer Wirklichkeit und die wird natürlich sonst nicht nach außen getragen, deswegen sehe ich es als unsere Pflicht an, dass wir das weitergeben und nicht für uns behalten."