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Hilfe über Grenzen hinweg

Die Organisation "Ärzte für Menschenrechte – Israel" arbeitet im Gazastreifen. Sie versucht Leid zu lindern, bei Palästinensern, Israelis und Migranten. Doch zunehmend, so sagen ihre Ärzte, arbeiten sie in einem gesellschaftlichen Klima, das sich gegen sie wendet und sie zu "Feinden Israels" erklärt.

Von Clemens Verenkotte | 04.12.2010
    Ruchama Marton entschuldigt sich, um den Anruf entgegen zu nehmen. Die Gründerin der "Ärzte für Menschenrechte – Israel" lässt während des Telefonats den Blick immer wieder in ihren kleinen, üppig blühenden Garten schweifen. Dort arbeite sie sehr gerne, die übersichtliche grüne Oase sei für ihr seelisches Befinden nahezu unverzichtbar, sagt die Psychotherapeutin später, denn sie sei oftmals so voller Zorn und Enttäuschung über das, was sich in ihrem Land und den palästinensischen Gebieten abspiele, dass ihr nur das Gärtnern die nötige Ablenkung verschaffe.

    Mit Stolz erfülle sie die Tatsache, dass ihre Menschenrechtsorganisation am kommenden Montag, zusammen mit zwei weiteren Preisträgern, den Alternativen Friedensnobelpreis erhalten wird. Die Auszeichnung komme gerade recht, denn allen israelischen Menschenrechtsorganisationen wehe der innenpolitische Wind derzeit direkt ins Gesicht:

    "Es ist wirklich genau der richtige Zeitpunkt, wegen der ethno-zentristischen Tendenz der Israelis und den großen Angriffen, die von den Medien und der Regierung auf Menschenrechtsorganisationen einschließlich der Ärzte für Menschenrechte ausgeführt werden; auch von der Öffentlichkeit, weil die öffentliche Meinung in Israel sehr stark von den Medien beeinflusst ist."

    Seit der Veröffentlichtung des so genannten "Goldstone-Berichts" des UN-Menschenrechtsrates über den Gaza-Krieg im Sommer 2009 sind Nichtregierungs-Organisationen wie die von Ruchama Marton ins Fadenkreuz weiter Teile der israelischen Politik und Medien geraten. Zahlreiche Angaben in diesem Report basierten auf Informationen der "Ärzte für Menschenrechte – Israel" und ihrer palästinensischen Partner. Sie hätten gemeinsame Sache gemacht mit den Feinden Israels und das Ansehen des Landes beschädigt, musste die pensionierte Medizinerin immer wieder hören:

    "Es stimmt: Wir haben Herrn Goldstone eine Menge Informationen gegeben, nicht versteckt, sondern in aller Offenheit. Alles, was wir tun, ist transparent, und wir wollen auch, dass es so ist. Wir möchten, dass alles, was wir tun, bekannt ist. Das ist unsere Art, Einfluß zu nehmen."

    Nicht ihre Arbeit habe sich verändert, sondern das innen- und gesellschaftspolitische Klima des Landes, bilanziert auch der derzeitige Vorsitzende der "Ärzte für Menschenrechte", Dr. Zvi Bentwich, der seit vielen Jahren an der medizinischen Fakultät der Universität Beer Sheva unterrichtet. Die öffentliche Meinung, so glaube er, sei während und nach dem Gaza-Krieg einer regelrechten "Gehirnwäsche" unterzogen worden:

    "Der Bericht von Goldstone war - selbst wenn man sagt, er sei unausgewogen oder in einigen Dingen nicht richtig dargestellt - oder dass einige Dinge nicht richtig dargestellt worden seien, im wesentlichen ein wahres Dokument. Es war nicht eine Art von erfundenem Bericht, und trotzdem: Wenn man Leute auf der Straße fragt, werden sie sagen, dass der Goldstone-Bericht schrecklich sei und vollkommen falsch. Das ist haften geblieben, anders ausgedrückt: Sie haben damit Erfolg gehabt, diesen - wie ich glaube - objektiven Bericht oder zumindest Teile davon sind sicherlich objektiv - als ein verlogenes Dokument zu charakterisieren, als etwas, worüber man nicht nachzudenken braucht."

    Obgleich Organsationen wie die "Ärzte für Menschenrechte – Israel" nur einen Teil ihrer ehrenamtlichen Tätigkeiten den humanitären Anlegenheiten der palästinensischen Bevölkerung widmen, fokussierten parteiübergreifend Knesset-Abgeordnete des regierenden Likud von Ministerpräsident Netanjahu sowie der oppositionellen Kadima unter Ex-Außenministerin Livni ihre Verärgerung über die außenpolitischen Imageschäden auf die israelischen NGOs. Deren Spenden aus dem Ausland müssten unter die Lupe genommen werden; sie sollten, so sieht es ein Gesetzentwurf vor, der im Parlament vor einigen Wochen bereits eingebracht worden ist, wie alle anderen Verbände in Israel auch, Einkommenssteuern zahlen. Sollte dieses Gesetz die parlamentarischen Hürden überwinden, so prophezeit Dr. Ruchama Marton, wären ihre sowie andere Menschenrechts-Organisationen in ihrem Bestand gefährdet:

    "Wenn man Einkommenssteuer bezahlt, bedeutet das, dass man davon profitiert. Wir machen überhaupt keine Gewinne, es ist eine gemeinnützige Organisation. Aber falls das Gesetz angenommen wird, und wir Einkommenssteuer zu zahlen haben, werden wir automatisch von einer gemeinnützigen zu einer profitorientierten Organisation, obgleich wir mit Blick auf unsere Tätigkeit nichts ändern. Die Geldgeber geben gewinnorientierten Organisationen kein Geld."

    Es kämen zahlreiche Faktoren zum tragen, die für die derzeitige "Stigmatisierung" der innenpolitischen Landschaft Israels in "links" und "rechts" verantwortlich seien, analysiert Zvi Bentwich, der sich als Vorsitzender der "Ärzte für Menschenrechte Israel" intensiv darum bemüht, dem öffentlichen "Label", wonach seine Organisation "links" sei, entgegenzuwirken:

    "Ich glaube, es hat viel mit der Zweiten Intifada zu tun, mit der Zunahme des Terrors, der Hamas, der Extremisten auf der anderen Seite, und mit Baraks sehr berühmten Ausspruch, dass es auf der anderen Seite niemanden gebe, mit dem man reden könne, der Enttäuschung eines großen Teils der Bevölkerung von Oslo."

    Dabei biete allein der direkte, unmittelbare Kontakt mit Palästinensern die Chance, dieser Enttäuschung entgegen zu wirken. Dies seien zumindest die Erfahrungen, die er und die rund 1000 israelischen Ärzte gemacht haben, die regelmässig jeden Sabbat in die Westbank fahren, um palästinensische Patienten zu behandeln, bilanziert Dr. Zvi Bentwich:

    "Jedes Mal, wenn ich von der so genannten 'Mobilen Klinik' zurückkomme - und das mache ich einmal im Monat, einen Samstag im Monat, also jedes Mal, und das hat sich nicht geändert, wenn ich zurückkomme, sage ich meinen Freunden, meiner Frau und meinen Kindern: Ich wünschte, ich könnte alle Israelis in meiner Tasche mitnehmen, damit sie sehen, was wir dort tun und damit sie dann sehen, dass die auf der anderen Seite genauso wie wir sind, sie wollen die gleichen Dinge, sie sind Menschen wie wir, und es gibt dort mit Sicherheit Menschen, mit denen man reden und Frieden schließen kann."