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Hilfe zur Selbstbestimmung

Ärzte können das Leben von Menschen verlängern - der medizinische Fortschritt macht es möglich. Auch wenn Menschen so krank sind, dass keine Aussicht auf Heilung besteht - sind Ärzte verpflichtet, das Mögliche zu tun. Es sei denn: die Betroffenen haben ausdrücklich etwas anderes bestimmt - in einer Patientenverfügung zum Beispiel. Das Bundesjustizministerium hat eine Broschüre mit Tipps und Textbausteinen herausgegeben. Sie soll es einfacher machen, eine eigene Patientenverfügung abzufassen.

Von William Vorsatz |
    Sie ist gesund und munter. Was allerdings passieren soll, wenn Andrea Simonis dennoch plötzlich etwas zustößt, darüber hat sich mit ihren 28 Jahren schon ihre Gedanken gemacht:

    Also man müsste mal gucken, inwieweit man selber findet, dass das Leben noch erhaltenswert ist. Und bis dahin eine Verfügung schreiben, ob dann die Ärzte das vielleicht abschalten sollten oder nicht oder der Familie das in die Hände geben. So würde ich das, glaube ich, handhaben.

    Irgendetwas stellen sich die meisten vor. Aber das ist vage. Rechtsverbindliche Schriftstücke jedoch haben nur etwa drei von Hundert Menschen hinterlegt. Dadurch machen sie es den Ärzten schwer: wie sollen diese in schier hoffnungslosen Fällen entscheiden, wenn Patienten mit Hilfe von Apparaten gerade noch biologisch am Leben gehalten werden und unfähig sind, sich noch zu artikulieren. Wenn Todkranke Torturen über sich ergehen lassen müssen, wie etwa künstliche Ernährung mit einer Sonde durch den Bauch, weil die Speiseröhre schon längst durch Krebs zerfressen ist. Dabei wollen Mediziner das Leben selten um jeden Preis erhalten, weiß Ernst Bergemann, Vorsitzender der Bundesorganisation Selbsthilfe Krebs an der Berliner Charité:

    Für den Arzt ist es eben gar nicht so einfach, denn er hat ja immer das Damoklesschwert im Nacken, dass er möglicherweise juristisch auch belangt werden kann, wenn er eben nicht alles tut, um das Leben zu erhalten.

    Bergemann hat bereits an einem Dutzend Patientenverfügungen mitgewirkt. Dabei halfen ihm bisher verschiedene Formulare, beispielsweise von Landes-Ärztekammer und von den Kirchen. Das Bundesjustizministerium hatte in diesem Jahr jedoch selbst eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um eigene Texte zu erarbeiten: herausgekommen ist eine 38-seitige Broschüre: "Patientenverfügung: Wie bestimme ich, was medizinisch unternommen werden soll, wenn ich entscheidungsunfähig bin", so der Titel der Schrift. Vorstandsmitglied Detlef Höwing, ebenfalls von der Selbsthilfe Krebs, ist voll der lobenden Worte:

    Erstmals hat das Bundesministerium für Justiz eine Broschüre rausgegeben, wo Textbausteine, die also rechtlich Bestand haben, in diese Verfügung eingebaut werden können und die dann unangreifbar dadurch werden. Das heißt, dass der Arzt immer mehr daran gebunden wird. Und sich an die Patientenverfügung hält.

    Die 20-köpfige Autorengruppe wollte bewusst nicht auch noch ein 181. Formular zu den 180 bestehenden entwickeln, so der Vorsitzende Richter Klaus Kutzler. Es geht ihnen vor allem darum, mit den Textbaussteinen möglicht alle Entscheidungsmöglichkeiten anzubieten, so das die Betreffenden wirklich die Wahl haben. So werden erstmals auch Optionen zur ausdrücklichen Lebensverlängerung aufgeführt. Da heißt es in einem Beispiel:

    In der oben beschriebenen Situation wünsche ich, dass alles medizinisch Mögliche getan wird, um mich am Leben zu erhalten. Ich wünsche, dass eine künstliche Ernährung und ebenso einen künstliche Flüssigkeitszufuhr und eine künstliche Beatmung begonnen oder weitergeführt werden, wenn mein Leben dadurch verlängert werden kann.

    Dazu Höwing:

    Solche Beispiele finden sich in dieser neuen Patientenverfügung in jedem Textbaustein. Wo man für jede Behandlungsmaßnahme individuell entscheiden kann: Will man diese Maßnahme bei sich durchführen lassen oder will man sie nicht. Und damit steht für den Arzt auch erstmals fest, das darf ich machen, das will der Patient, und das sollte ich nicht machen, weil der Patient es nicht will.

    Interpretationsspielräume werden dennoch bleiben, denn alles kann niemand voraussehen. Die neue Broschüre empfiehlt daher, am Schluss die allgemeinen Wertvorstellungen niederzuschreiben. Als Hilfe zur Interpretation der Wünsche, wenn die Situation später einmal unklar sein sollte.

    Etwa: was ist mir im zukünftigen Leben wichtiger: ein möglichst langes Leben oder die Qualität. Wovor habe ich Angst beim Sterben. Kann ich Hilfe anderer gut annehmen oder habe ich Angst, anderen zur Last zu fallen? Wichtig ist deshalb auch, dass in der Patientenverfügung für den Fall der Fälle ein Vormund benannt wird. Detlef Höwing:

    Der Vormund oder Betreuer wird in der schriftlichen Verfügung mit eingetragen mit Namen, er wird hinzugezogen, und bei irgendwelchen Schwierigkeiten, wenn sich die Ärzte da nicht sicher sind, dann trifft er die Entscheidung für den Patienten, der nicht mehr antworten kann. Es ist noch ein ganz wichtiger Passus in der neuen Patientenverfügung enthalten, dass auch ein Hausarzt oder ein behandelnder Arzt bestätigen muss, dass sich der Patient in dem Moment, wo er die Verfügung niedergelegt hat, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist und diese auch vollkommen freiwillig abgelegt hat.

    Mit seiner Patientenverfügung sollte niemand ewig warten. Sicherlich fällt es den meisten schwer, sich mit ihrem Ende auseinander zu setzten. Wenn aber erst einmal alles geregelt ist, lebt es sich leichter. Das hat Ernst Bergemann am eigenen Leib erfahren:

    In meinem Fall muss ich sagen, ich bin dem Tod, und zwar sehr dramatisch, schon mit 12 Jahren begegnet. Ich bin jetzt 70, ich habe 58 Jahre meines Lebens über den Tod nachgedacht und inzwischen ist er mein bester Freund geworden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man sich mit dem Thema wirklich auseinander setzt, ohne Angst, dass man dann selbst davon ungeheuer profitiert. Denn die Angst fällt weg. Und der Tod wird letztendlich dann zu einem guten Freund.

    Die Broschüre "Patientenverfügung" kann auf der Webseite des Bundesjustizministeriums heruntergeladen werden.

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