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Hilfen gegen die Angst

Die Diagnose Krebs bedeutet für jeden eine Bedrohung. Das eigene Leben und alles, was bisher selbstverständlich war, ist in Frage gestellt. Der Betroffene muss sich mit dieser Bedrohung auseinandersetzen und Möglichkeiten finden, sich neu zu orientieren. Psychosoziale Beratung kann bei der Krankheitsbewältigung eine große Hilfe sein. Doch es gibt zuwenig Beratungsstellen, wie jetzt eine neue Studie zeigt. Und nur wenige Patienten kämpfen sich durch und nehmen die Angebote wahr.

Anna Florenske | 25.02.2003
    Allein schon die Diagnose Krebs bedeutet für viele Betroffene ein Trauma, eine Art Schockerlebnis. Und das belastet nicht nur ihre Psyche, sondern hat auch nachhaltige Auswirkungen auf den gesamten Organismus, erklärt Professor Volker Tschuschke. Er ist Leiter der Medizinischen Psychologie an der Kölner Universität:

    Wenn ich einen psychischen Schock bekomme, der tief greift, dass im Hirn bestimmte Blockaden stattfinden, dann sind auch meine Körperfunktionen mit beeinträchtigt. Das heißt die destruktiven oder aggressiven Vorgänge finden nicht von der Psyche statt, sondern es findet eine Blockade normaler körperlicher Ressourcen-Aktivierung statt.

    So kommt es wahrscheinlich dazu, dass die natürliche Immunabwehr gegen den Krebs durch den Schock blockiert ist, meint der Psychoonkologe Tschuschke.



    Wir vermuten, dass es Zusammenhänge gibt über gezielte psychologische Maßnahmen Lebenskräfte oder Lebenswillen zu aktivieren. Die dann wahrscheinlich eine Auswirkung auf Körperfunktionen haben im Immunbereich oder im hormonellen Bereich. Was dann wiederum bedeutet, dass offensichtlich Krebszellen im Körper möglicherweise leichter vom Immunsystem attackiert werden können, so dass die Überlebenschancen besser aussehen.

    Und daher ist psychologischer Beistand für Menschen, die mit einer schweren Krankheit wie Krebs konfrontiert werden, immens wichtig. Doch die Realität sieht oft anders aus, berichtet eine Patientin:

    Das war nach der Biopsie, das war mit Vollnarkose. Ich war gerade dabei, zu mir zu kommen, also ich bin noch nicht so ganz wieder im Diesseits gewesen. Da saß eine Ärztin bei mir auf der Bettkante und sagte: 'Ja, ich muss Ihnen dann doch sagen, dass sie Krebs haben und beidseitig.' Und damit verschwand sie.

    Dass Patienten wie diese Frau mit der Diagnose Krebs allein gelassen werden, ist nicht selten, weiß Volker Tschuschke. Das zeigt auch eine neue Studie: Sie untersuchte im Rahmen einer Doktorarbeit der Uni Köln, wer warum die Hilfe der Krebsintiative Köln sucht, einer unabhängigen Beratungsstelle in Sachen Krebs. Heraus kam ein "erschreckendes Ergebnis”, sagt Tschuschke: Zu der Beratungsstelle durchgekämpft hat sich nur der "Gipfel des Eisberges an Krebspatienten”: überwiegend Frauen, die gut ausgebildet sind und ziemlich stabile Persönlichkeiten haben - also offensichtlich Patienten, die generell "gute Ressourcen” haben, wie Tschuschke das nennt:

    Das lässt aber dann wahrscheinlich den Schluss zu, dass diejenigen, die sie nicht haben, nicht einmal dort hinkommen an Selbstberatungsstellen, oder weniger oder auf dem Weg dorthin scheitern. Erstens, weil sie vielleicht gar nicht wissen, dass es solche Hilfen gibt. Zweitens, dass das eine neue Welt ist, die sie nicht verstehen, die wird ihnen nicht nahegebracht in den Kliniken. Dass Psychologie oder Psychotherapie ihnen zusätzlich helfen kann. Es geht ja nicht darum, dass Psychotherapie jetzt den Krebs direkt bekämpfen würde. Sondern, dass es um die Ressourcen geht der Auseinandersetzung, der Bewältigung, des Angstabbaus, des Abbaus von Verzweiflung und Desorientierung oder Fehlinformation, dass die Behandlung besser durchgestanden werden kann.

    Psychosoziale Dienste als Hilfe für Erkrankte sind rar in Deutschland - nicht nur für Krebspatienten. Zudem ist die Zeit knapp für Ärzte und Ärztinnen, weil es zu wenig Personal gibt, das zu viele Patienten versorgen muss, sagt Tschuschke. Außerdem seien Mediziner in der Regel nicht genügend ausgebildet, um wirklichen Beistand zu geben. Das soll sich jetzt ändern. Durch die Bundesregierung gefördert, sind Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen gerade dabei, neue Strukturen zu schaffen: Das ganze nennt sich Disease-Management - es geht also darum, wie Ärzte mit Krankheit umgehen. Ärzte sollen z.B. geschult werden, wie sie in schwierigen Situationen besser mit ihren Patienten reden können.

    Wie sie Beziehungen aufbauen können, dass mehr Vertrauen, mehr Sicherheit, mehr Entängstigung möglich ist. Und dadurch auch mehr Information fließen kann. Und dann auch mehr geschaut werden kann: Wo ist hier zusätzliche fach-psychologische Hilfe erforderlich, die über die Möglichkeiten eines einfachen niedergelassenen Hausarztes oder Facharztes hinausgehen.

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