Archiv


Hilfstruppen für die Nerven

Medizin. - Wer an das Gehirn denkt, der denkt wahrscheinlich auch an Nerven. Doch unter den 100 Milliarden Zellen des Denkorgans sind die Neurone klar in der Minderzahl. Die große Mehrheit nannte Rudolf Virchow schlicht Kitt - griechisch Glia. Doch die Gliazellen, das wird immer deutlicher, sind kein bloßer Füllstoff im Schädel, sie haben eine Vielzahl wichtiger Aufgaben. Worin genau die bestehen, darüber unterhalten sich ab heute 600 Forscher am Max Delbrück Centrum in Berlin Buch auf der - europäischen Gliakonferenz.

    Von Volkart Wildermuth

    Die Nervenzellen, dass sind die Formel-1-Wagen im Gehirn, hochgezüchtete Spezialisten für die schnelle und gezielte Informationsverarbeitung. Doch wie die Rennwagen nicht ohne ihr Boxenteam auskommen, so benötigen die Neurone ein ganze Team aus Hilfszellen, die gemeinsam Gliazellen genannt werden. Gliazellen umhüllen Nervensträge und wirken wie die Isolation eines elektrischen Kabels. Gliazellen verdauen die Nährstoffe für die Nerven vor, sie entsorgen die Abfallprodukte, die bei der geschwinden Reizleitung zuhauf entstehen. Besonders wichtig ist, dass sie auch die Botenstoffe der Nerven schnell entfernen. Damit treten die Gliazellen sozusagen auf die Bremse und sorgen dafür, dass die Erregung im Gehirn begrenzt bleibt. Ohne diese Bleifuss von Außen könnten die Nerven nicht vernünftig kommunizieren, das zeigen unter anderem Experimente an der Netzhaut des Auges, die Prof. Andreas Raichenbach vom Paul Flechsig Institut für Hirnforschung der Uni Leipzig erforscht.

    Das heißt für das Auge zum Beispiel, man würde statt eines Lichtblitzes den man wirklich sieht, wenn man zum Beispiel mit dem Blitzlichtapparat fotografiert wird, einen hellen Punkt sehen der immer größer wird und schließlich das ganze Bild ergreift und verhindert, das man neues wieder sehen kann. Und so ist es überall im Gehirn, also diese spezifische Übertragung, das nur das gemeldet wird, und nur so lange, wie es wirklich da ist, geht nur da durch, dass der Botenstoff wieder weggenommen wird, wenn es nicht mehr da ist, und das machen immer die Gliazellen.

    Und zwar ganz spezifisch. So wie der Formel eins Pilot ständig über Funk mit seinem Team verbunden ist, so können auch die Gliazellen die Nerven belauschen und auf ihre Bedürfnisse gezielt reagieren. Erst seit wenigen Jahren ist bekannt, dass sie über dieselbe Ausstattung von molekularen Antennen verfügen, wie die Neurone. Gliazellen bilden sogar gelegentlich Synapsen aus, Kontaktstellen, die man eigentlich nur von Nerven her kennt. Damit ist klar, Gliazellen empfangen nicht nur Botschaften, sie senden auch selbst Informationen aus. Was da zwischen Neuron und Glia hin und her geflüstert wird, verstehen die Forscher allerdings erst in Ansätzen. Prof. Helmut Kettenmann vom Max Delbrück Centrum in Berlin Buch interessiert sich besonders für einen Notruf im Gehirn. Dabei handelt es sich um einen Botenstoff, den geschädigte Neurone ausschütten. Der Hirnforscher konnte jetzt zeigen, dass dieser chemische Hilferuf von der sogenannten Microglia registriert wird, der Immunabwehr des Gehirns. Normalerweise sitzen Microgliazellen wie winzige Spinnen im Gewebe und halten mit einem Dutzend feiner Ausläufer ein kleines Territorium umspannt. Sobald sie den molekularen Notruf empfangen, ziehen sie die Spinnenbeinchen ein, werden kompakt und beweglich und machen sich auf, den Schaden zu begutachten. Vor Ort übernehmen sie wichtige Aufräumarbeiten, erläutert Helmut Kettenmann.

    Wenn neue Neurone auswachsen sollen, neue Verbindungen wieder etabliert werden müssen, müssen die alten, defekten entfernt werden und genau das kann die Microgliazelle machen. Es ist nicht eine Zelle die nur den Schutt wegräumt sondern sie geht aktiv an die Neurone heran und entfernt ganz spezifisch die Strukturen die einfach in diesem Moment unnötig sind. Und die Zelle kann dann wiederum neue Ausläufer bilden und sich wieder neu verschalten.

    Zerstört der Hirnforscher im Experiment die Antenne, mit der die Microglia den Hilferuf der geschädigten Neurone auffängt, dann rührt sich der Reparaturtrupp nicht von der Stelle. Um im Bild des Formel eins Rennens zu bleiben, die kaputten Autowracks bleiben liegen und die Fahrbahn ist dauerhaft blockiert. Im Gehirn sind es die Ausläufer der eigentlich noch gesunden Nervenzellen, die nun ohne Kontakt sinnlos das verletzte Gebiet verstopfen. Erst wenn sie durch die gezielt herbeigerufene Microglia zurück gestutzt werden, können neue Verbindungen aufgebaut werden. Im Tierversuch bedarf es recht drastischer Eingriffe, um die Arbeit der Microglia sichtbar zu machen. Helmut Kettenmann ist aber davon überzeugt, dass die Gliazellen häufig von den Nerven um Hilfe gebeten werden.

    Ich glaube dass im normalen Gehirn diese Zellen dauernd an Reparaturprozessen beteiligt sind dass kleine Schädigungen zum Beispiel in einem Bereich von nur Hunderten von Zellen regional stattfinden können das diese Zellen ständig reparieren aber wir bekommen gar nichts davon mit weil die eben so effizient sind.

    Die Nervenzellen sind vielleicht die Stars der Informationsverarbeitung des Gehirns. Ohne ihr kompetentes Boxenteam, ohne die Gliazellen, kämen sie aber nicht einmal aus der Pooleposition.