Archiv


Himmlische Visionen

Astronomie. Europas Astronomen haben sich im Astronet zusammengetan. 300 Experten diskutieren derzeit im französischen Poitiers, was die großen Themen der kommenden Jahre sein werden und welche Teleskope die Forscher brauchen.

Von Dirk Lorenzen |
    Das Forschungsnetzwerk Astronet ist eine Art Selbsthilfegruppe für Europas Astronomen. Auf der Tagung "Wissenschaftliche Visionen der Europäischen Astronomie" definieren die Forscher erstmals ihre gemeinsamen Ziele für die nächsten 20 Jahre. Heißt Visionen zu formulieren, sich das Blaue vom Himmel zu wünschen?

    "Nein, ganz und gar nicht. Wir müssen sehr genau die geplanten Forschungsthemen, Teleskope und Weltraummissionen durchdenken, um die bestmögliche Wissenschaft zu machen. Da hilft es, die wichtigsten Themen der kommenden Jahre auszuwählen. Denn man möchte natürlich immer mehr machen, als finanziell möglich ist. Wenn wir Forscher wissen, was wir gemeinsam wollen, dann können wir versuchen, die Projekte auch bezahlt zu bekommen."

    Garth Illingworth ist Astronom an der Universität von Santa Cruz im US-Bundesstaat Kalifornien. Als Gast auf der Tagung in Poitiers liest er den Europäern kräftig die Leviten. Illingworth steht dem Komitee vor, das in den USA unter anderem die NASA in astronomischen Fragen berät. Er mahnt seine europäischen Kollegen, nicht nur große Luftschlösser zu planen.

    Das Forschungsnetzwerk Astronet muss jetzt klären, was die wissenschaftlichen Ziele sind und mit welchen Teleskopen oder Satelliten man sie erreichen will. Zwar bündeln die Forscher künftig ihre Finanzmittel europaweit, dennoch wird manches Wunschprojekt technisch zu schwierig oder zu teuer sein. Ohnehin drohen sich die Astronomen zu verzetteln, hält doch jeder seinen Lieblingsstern oder -kometen für extrem wichtig. Doch so entsteht keine europaweite Forschungsstrategie.

    "Man muss die großen Fragen von heute auswählen: Woraus besteht die Dunkle Materie? Was ist Dunkle Energie? Wie entwickelt sich das Universum? Wie sind Galaxien wie unsere Milchstraße entstanden? Gibt es viele Planeten im Weltall, und ist da draußen vielleicht sogar anderes Leben? Man muss Themen finden, die fast alle Menschen ansprechen, nicht nur die Fachleute. Es wollen doch fast alle wissen, in was für einem Kosmos wir leben."

    Während viele US-Astronomen häufig ihre Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit präsentieren, gilt das vielen europäischen Wissenschaftlern noch immer als unfein. Zwar sind mittlerweile alle von der Europäischen Kommission durch die Forschungsrahmenprogramme geförderten Projekte verpflichtet, die Wissenschaft auch zu kommunizieren. Aber das geschieht nur selten und kontrolliert wird es auch nicht.

    Die größten und teuersten Projekte können weder Europa noch die USA allein finanzieren. Doch Garth Illingworth warnt: Nicht jede Zusammenarbeit muss auch wissenschaftlich gut sein. Während die Chefs der an der Internationalen Raumstation beteiligten Raumfahrtagenturen gestern in Paris ein fröhliches "Weiter so" beschlossen haben, stöhnen die Wissenschaftler über die ISS.

    "Auf der Raumstation wurde nur wenig Forschung gemacht. Und auch künftig passiert da nicht viel. Wir haben gelernt, dass wir viel enger mit den Raumfahrtagenturen zusammenarbeiten müssen, um denen klar zu machen, was deren Projekte für die Wissenschaft tun können und umgekehrt. Die Agenturen müssen sich selber über ihre Ziele klar werden, vor allem, wenn es um bemannte Raumfahrt geht."

    Die Wissenschaftler wurmt, stets für die Raumstation als Forschungsfeigenblatt herhalten müssen. Man will auch künftig zusammenarbeiten, aber im sinnvollen Rahmen, etwa beim Nachfolger des Hubble-Weltraumteleskops. Dieses europäisch-amerikanische Gemeinschaftsprojekt soll 2013 starten nach 25 Jahren Planungszeit. Das motiviert die Astronomen in Poitiers, zeigt es doch, dass manchmal die Visionen von gestern zur Wirklichkeit von morgen werden.