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Hin und Her bei Medizinstudienplätzen in Göttingen

Die Vergabe von Studienplätzen soll leichter und transparenter werden - das hat Bildungsministerin Annette Schavan versprochen. Spätestens ab 2011 solle es einheitliche Bewerbungsfristen, gleichzeitige Zulassungen und eine Internetbörse für die Übriggebliebenen geben. Das ist auch bitter nötig, denn momentan gleicht die Studienplatz-Vergabe, wie das Beispiel Göttingen zeigt, vielerorts einer Lotterie.

Von Christian Kusel |
    Die Nachricht vom Aus für ihr Medizinstudium erreichte Katharina aus Göttingen vor wenigen Tagen. Es war an einem Sonntagabend, als die 22-Jährige nur noch schnell nach E-Mails schauen wollte. Im Posteingang war auch eine E-Mail. Darin las sie dann Folgendes:

    Liebe Studierende. Die Nachricht, dass Sie ihren Studienplatz nun doch wieder verlieren, hat sie sicher geschockt.

    Schockzustand! Anders kann Katharina den ersten Moment nicht beschreiben:

    "Ich war total schockiert. Denn ich wollte ja nur mal schnell ins Internet gehen. Und ich hab diesen Satz - ich weiß nicht wie oft - gelesen. Ich hab dann noch meine Eltern dazu geholt, dann saßen wir zu dritt vor dem Rechner und waren einfach nur geschockt. Und wir wussten auch gar nicht, was das jetzt heißt - oder ob das nur ein schlechter Scherz ist."

    Es war aber kein Scherz. Nach anderthalb Jahren Medizinstudium in Göttingen kam die Exmatrikulation. Nur wenige Tage vor Semesterbeginn. Es war der vorläufige Tiefpunkt einer Studienplatz-Odyssee.

    Nach dem Abitur im Jahr 2006 hatte sie zig Bewerbungen beschrieben. Doch es hagelte lauter Absagen. Ein Abi-Schnitt von 2,6 - das reichte nicht. Im Sommer 2007 fällte sie dann die Entscheidung, vor Gericht zu ziehen und sich ins Studium einzuklagen.

    Katharina ist kein Einzelfall. Allein in jenem Sommer klagten fast 700 Leute, sagt Lothar Rudolph. Er bearbeitet diese Fälle beim Verwaltungsgericht in Göttingen:

    "Man kann sich auf das Grundrecht der freien Berufswahl berufen. Erforderlich ist dazu nur ein Antrag, aus dem sich ergibt, zu welchem Semester man zugelassen werden möchte."

    Zudem müsse man anzweifeln, dass die Kapazitäten der Uni an Personal und Räumen nicht ausgereizt seien. Denn so begründet die Uni ihre Absagen. Das Verwaltungsgericht prüfte daraufhin die Kapazitäten in einem Eilverfahren. Ergebnis: Es sei noch genug Platz für 34 weitere Studenten. Aus Sicht der Uni eine unzumutbare Mehrbelastung, sagt Cornelius Frommel - der Dekan der Medizinischen Fakultät:

    "Aber wir haben eben erst mal diese Mehrlast getragen. Die geht mit Sicherheit auf die Qualität - entweder der Lehre oder der Forschung. Unter der Woche kann das schon mal zum Zähneknirschen führen. Aber wir mussten halt erst mal davon ausgehen: Der Richter hat Recht. Wir mussten es dann halt juristisch prüfen lassen, und da geht man zum Oberverwaltungsgericht."

    Und das entschied nun, nach über einem Jahr: die Kapazitätsprüfung der Göttinger Richter war falsch. Für die 34 Studenten heißt das nach drei Semestern: Exmatrikulation - sie müssen gehen. Ratlosigkeit bei den angehenden Medizinern, sagt Katharina. Sie spricht stellvertretend für ihre Mitstudenten:

    "Wir wussten weder, ob wir unsere Wohnung hier behalten sollen. Ob wir wieder nach Hause gehen sollen. Ob wir ein Praktikum machen sollen. Wie es überhaupt weiter gehen sollte. Und es gibt auch einige, die ihre Wohnung schon gekündigt haben."

    Doch die Lotterie um die Studienplätze war noch nicht zu Ende. Nachdem die Uni den Studenten bereits das Abschiedsschreiben zugeschickt hatte, rechnete sie noch einmal nach. Ergebnis: Die Kapazitäten reichen nun doch aus! Für die Studenten heißt das: Wer will, kann weitermachen. Die Studenten waren nach all dem hin und her skeptisch:

    "Wir haben in der Verwaltung angerufen, mehrfach angerufen. Mehrfach nachgeschaut, ob man wirklich seine Immatrikulationsbescheinigung ausdrucken kann. Ob das auch wirklich da steht, dass man drin ist. Auch bei den Instituten angerufen, ob wir wirklich noch in den Kursen drin sind. Man hat sich an jeden Stellen absichern lassen, wo es nur ging."

    Doch dieser Platz sei ihnen nicht mehr zu nehmen, versichert Dekan Frömmel. Bis zum Physikum können sie nun definitiv in Göttingen weiterstudieren. Für den klinischen, also den zweiten Teil des Studiums, müssen sie sich jedoch aufs Neue bewerben. So lautet die Regelung bei allen Teilstudienplätzen. Nach dem vierten Semester beginnt der Bewerbungsmarathon also von vorne.