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Hin zum gläsernen Patienten?

Ein kleines Stück Plastik sorgt für große Schwierigkeiten: Nach langer und kontroverser Diskussion, soll die elektronische Gesundheitskarte am 1. Oktober flächendeckend eingeführt werden. Doch wie ist die Karte genau aufgebaut, was kann sie alles leisten und was vor allem nicht?

Von Peter Welchering |
    Schon am 1. Januar 2006 sollten eigentlich 80 Millionen Krankenversicherte in Deutschland mit der elektronischen Gesundheitskarte ausgestattet sein. Doch immer wieder kam es zu Verzögerungen. Das Vorhaben sei zu anspruchsvoll aufgesetzt worden, hieß es zur Begründung.

    Ursprünglich sollte die Gesundheitskarte nicht nur als Versichertenausweis dienen, sondern mit dem elektronischen Rezept, den Notfalldaten und dem klinischen Basisdatensatz das Schlüsselelement für die gemeinsame Verwaltung von Krankenhäusern, Rettungsdiensten, Apotheken, niedergelassenen Ärzten und Versicherungen sein. Umstritten waren von vornherein das direkt auslesbare Datenfeld für die Organsspendebereitschaft des Versicherten und der Einbau eines Schlüssels für die netzbasierte Gesundheitsakte genannte Patientenakte.

    Die Notfalldatensätze und die klinischen Basisdaten bereiteten den Projektverantwortlichen in den ersten Feldtests heftiges Kopfzerbrechen. Ein Großteil der an den Feldtests teilnehmenden Versicherten sperrte oder widerrief die eigenen Notfalldatensätze nachträglich. Begründung: Datenschutzprobleme. Bei der Kopie von Datensätzen mit Informationen zu chronischen Krankheiten wurde die Gesundheitskarte von einigen Praxissystemen zurückgewiesen. Die Ärzte hatten keine Möglichkeit, die entsprechenden Datenfelder der elektronischen Gesundheitskarte direkt mit ihren Praxis-Verwaltungssystemen zu beschreiben.

    Damit nicht etwa Unbefugte mit einer gefundenen oder gestohlenen Gesundheitskarte zum Arzt gehen können, ist die Karte mit einem Foto des Versicherten und mit einer Persönlichen Identifikationsnummer, kurz Pin, geschützt. Diese Pin haben in den Feldtests viele Versicherte vergessen, ihre Ärzte konnten also in solchen Fällen die Gesundheitskarte gar nicht nutzen. Außerdem war die Zeit für die Eingabe der Pin viel zu kurz. Zunächst hatten die Entwickler nur zehn Sekunden für die Pin-Eingabe vorgesehen. Aufgrund der überaus schlechten Erfahrungen in den Feldtests wurde das Pin-Zeitfenster auf bis zu 30 Sekunden erweitert.

    Als völliger Misserfolg stellte sich in den Feldtests das elektronische Rezept heraus. Von 3201 ausgestellten elektronischen Rezepten im Feldtest, der Anfang 2009 in sieben Regionen durchgeführt wurde, sind nur 1239 Rezepte eingelöst worden. Es gab Probleme mit den Lesegeräten in den Apotheken, so dass auf Papierrezepte zurückgegriffen werden musste. Viele der am Feldtest beteiligten Ärzte bemängelten zudem, dass die sogenannte Komfortsignatur, die die Unterschrift auf dem Rezept ersetzen soll, nicht funktionierte und sie jede Rezeptausstellung mit einer Pin bestätigen mussten. Gut eine Stunde Zusatzarbeit am Tag sei ihm durch die fehlende Komfortsignatur beschert worden, berichtet ein Arzt. Auch die sogenannte Stapelsignatur, mit der der Arzt gleich ein Dutzend Rezepte nacheinander in einem Arbeitsgang digital unterschreiben können sollte, hat nicht fehlerfrei funktioniert.

    Der Schlüssel zur netzbasierten Gesundheitsakte wird zunächst keine digitale Tür ins Archiv der Krankenhaus- oder Praxisinformationssysteme öffnen. So sollten nämlich auch Arztbriefe digital gespeichert und mit der Gesundheitskarte befördert werden. Doch die dafür erforderliche Signatur funktionierte nur unzureichend.

    Vertrauliche Informationen wie Patientendaten müssen natürlich verschlüsselt über eigens abgesicherte Datenleitungen transportiert werden. Für die Online-Anbindung der Praxissysteme und der Lesegeräte sind dafür sogenannte Konnektoren entwickelt worden. Doch die genau Funktionsweise dieser Konnektoren war den Herstellern von Praxisverwaltungssystemen nicht in vollem Umfang bekannt, und so kam es hier immer wieder zu Kompatibilitätsproblemen.

    Die politisch Verantwortlichen haben daraus nun die Konsequenzen gezogen und wollen zum Starttermin 1. Oktober eine Gesundheitskarte mit ausgesprochen abgespeckten Funktionen ausgeben, die dann innerhalb der nächsten acht bis zehn Jahre Zug um Zug mit den ursprünglich geplanten Funktionen nachgerüstet wird. Und das kann nach Auskunft der Projektgesellschaft Gematik rund 14 Milliarden Euro kosten.