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Hinduismus
Alles für die Göttin

Derzeit feiern Hindus weltweit das Fest Navratri, das der Muttergöttin Durga gewidmet ist. Eine Woche lang wird dem Weiblichen gehuldigt, die täglichen Zeremonien dauern mehrere Stunden. Ein Tempelbesuch in Hamburg.

Von Mechthild Klein | 26.09.2017
    Eine hölzerne Statue der Göttin Durga, im Kampf mit dem Dämon Mahisha. Aufgenommen auf dem Navratri-Fest in Kolkata, Indien.
    Die Göttin Durga kämpft gegen den Dämon Mahisha - ihr Sieg ist Anlass für das Navratri Fest (imago stock&people / Sonali Pal Chaudhury)
    Der kleine Jyoti Maiyya-Tempel im Hamburger Stadtteil Stellingen ist zu diesen hohen Festtagen gut besucht. Das unscheinbare ehemalige Bürogebäude ist im Inneren mit Girlanden geschmückt. Mehr als 200 Menschen nehmen an den über Stunden dauernden Zeremonien teil. Jyoti Maiyya ist einer von drei Hindu-Tempeln in der Hansestadt, 15.000 Hindus leben hier, darunter 4000 afghanische Hindus.
    Zum Fest wird hier die Göttin Durga besonders verehrt. Im Altarraum stehen neben der Gottheit Durga auch Statuen der Gottheiten Kali, Krishna, Rama, Jhulelal oder Shiva. Alle Figuren sind mit prächtigen Stoffen in signalroten Farben verziert. Davor sitzen an die 40 Gläubigen und lauschen den Worten der Priesterin. Sie liest auf Hindi aus einem heiligen Buch der Göttin Durga vor. Regelmäßig antworten die Gläubigen im Chor.
    Nach den heiligen Geschichten über guten Taten der Götter stimmen sie religiöse Lieder an, sogenannte Bhajans. Schnell greifen einige Frauen und Männer zu Handtrommeln und Zimbeln und begleiten die Sänger. Ram Prasad Bhatt sagt:
    "Navratri heißt eigentlich 'neun Nächte'. Und diese neun Nächte sind der Göttin Durga gewidmet. Und in den neun Tagen wird die höchste und allmächtige weibliche Kraft in Form der Muttergöttin verehrt."
    Auch Sikhs, Jainas, Buddhisten und Muslime sind willkommen
    Ram Prasad Bhatt ist Hindi-Lektor an der Hamburger Universität und kennt das Festival noch aus Indien.
    "Das ist eines der wichtigsten hinduistischen Feste, das in ganz Indien gefeiert wird. Man kennt ja Durga-Puja, aus Bengalen vor allem. Das ist sehr populär und ein sehr wichtiges Fest. Tatsächlich feiern auch die Sikhs dieses Fest und auch die Jainas. Soweit ich gesehen habe, haben auch die Buddhisten das Fest gefeiert, zumindest im Himalaya und in Nepal. Und tatsächlich feiern auch einige Muslime mit."
    Es existieren verschiedene Mythen nebeneinander, an die zu Navratri erinnert wird, sagt Bhatt. Immer geht es um den Kampf des Guten gegen das Böse. Etwa wie der Gott Rama den Dämonen Ravana besiegt. Ähnlich lautet der Mythos der Göttin Durga. Die Muttergottheit hatte einst die Götter vor den Bosheiten des mächtigen Dämons Mahisha beschützt. Die Geschichte ist auf den Felswänden der altindischen Tempel festgehalten - manche Bildnisse sind fast 2000 Jahre alt. Sie zeigen die mächtige Göttin Durga, zehnarmig auf einem Löwen reitend, mit den Waffen der Götter in den Händen. Sie kämpft damit gegen den Dämon, der auch die Form eines Büffels annehmen konnte. Am neunten Tag tötet sie den Dämon. Anil Choudhry sagt:
    "So ist es, dann ist die Menschheit befreit und dann kriegt die Durga ihre Fastenwoche."

    Anil Choudhry gehört zum Hamburger Jyoti Maiyya-Tempel. An anderen Tagen führt er schon mal Schulklassen durch den Hindu-Tempel. Jetzt, zum Durga-Fest, kommen täglich viele Besucher zur Andacht. Über Stunden zieht sich die Zeremonie.
    "Man sagt, wochenlang hat sie intensiv gekämpft. Deshalb danken wir ihr dafür. Und heutzutage denkt man an die Zukunft. Man sagt: Wenn wir heute für sie fasten, ist die Zukunft für uns ein bisschen sicherer und deshalb halten wir uns auch daran und man ehrt diese Göttin auch intensiv."
    "Zugang hat hier jeder"
    Der Altarraum im Tempel füllt sich schon am Nachmittag. Viele Hindu-Familien haben afghanische Wurzeln. Sie sprechen miteinander einen Hindi-Dialekt. Die Frauen tragen bunte, nordindische Salvakamis, lange Hemden über weiten Hosen. Man sitzt auf Teppichen am Boden. Es ist ein entspanntes nebeneinander von Alt und Jung. Kleinkinder laufen umher. Choudhry betont immer wieder, dass es im Glauben keinen Zwang geben darf.
    "Wir haben auch zahlreiche Hindus hier, die an sowas gar nicht glauben. Die kommen nur kurz mal hierher, um sich sowas anzuschauen. Oder einfach mal kurz mitzumachen, aber die fasten nicht. Die sagen: das ist mir zu viel oder ich möchte das nicht oder ich hab kein Interesse dran. Zugang hat hier jeder, auch Leute, die nicht daran glauben."
    Im Altarraum, in der Mitte der Götterstatuen über einem Podest, ist ein großer Baldachin angebracht. Dort wird sonst aus den heiligen Büchern vorgelesen. Heute aber versammeln sich nach den Gesängen viele Gläubige, um eine Reinigungszeremonie zu begehen. Aarti heißt das Ritual.
    Gläubige beim Navratri-Fest im Hamburger Hindu-Tempel
    Die Gläubigen beim Ritual des Aarti (Mechthild Klein / Deutschlandradio)
    Die Gläubigen wechseln sich ab und nehmen ein Tablett mit einer Öllampe und schwenken es drei Mal vor der Gottheit Durga. Viele beteiligen sich daran. In den acht oder neun Tagen des Fests - je nach Mondkalender - beten auch einige die ganze Nacht hindurch, sagt Aruna Kandhari. Alles um an Durgas glorreiche Tat zu erinnern.
    "Damals hat sie für uns ja gekämpft gegen das Böse. Und das machen wir jetzt auch mit, um zu erleben wie das ist. Zwar ist es nicht so hart für uns wie das für die Durga war, unsere Göttin. Aber wir versuchen, das mit ihr mitzuhalten und denken an sie. Und anschließend, am letzten Tag, wo sie das Böse besiegt, feiern wir das."
    Gemeinsam gegen das Böse
    Eine Besonderheit gibt es am Ende von Navratri. Anil Choudhry sagt:
    "Am letzten Tag werden die ganzen jungen Mädels geehrt. Die kennen das schon alle, kriegen ganz viele Geschenke, bringen ihre großen Taschen mit."
    Mindestens neun kleine Mädchen werden im Tempel versammelt. Ihre Stirn wird mit einem Punkt geschmückt, einem Bindi. Sie erhalten Süßigkeiten, Kleidung oder auch Geldgeschenke. Die kleinen Mädchen stehen für Reinheit und die Kraft der Göttin Durga. Anil Choudhry sagt:
    "Das sind die neun Gesichter von der Durga und die müssen auf jeden Fall geehrt werden."
    Einen weiteren Aspekt betont Ram Prasad Bhatt. Das Fest hat eine überaus soziale Seite:
    "Es bringt vor allem die Menschen zusammen. Wenn es tatsächlich um das Böse geht - und das ist ja überall - und wenn man das loswerden will, kommt man tatsächlich zusammen, um das Gute zum Gelingen zu bringen."
    Auch das Böse ist nicht mehr das, was es einmal war. In früheren Zeiten gab es Büffelopfer, weil die Göttin einen Büffel-Dämon getötet hatte. Ram Prasad Bhatt sagt:
    "Das ist zum Glück vorbei, weil man auch an das Tier denkt und nicht mehr es opfert."