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Hinduismus
Der Elefantengott hat Geburtstag

Ganesha ist klein und dick, hat einen Elefantenkopf und sitzt auf einer Lotusblüte. Wegen seiner Intelligenz und Stärke gilt die Gottheit als Überwinder von Hindernissen und Garant für Glück und Erfolg. Zehn Tage lang feiern viele Millionen Hindus nun ihren Geburtstag.

Von Margarete Blümel | 29.08.2014
    Eine Statue der indischen Gottheit Ganesha
    Ganeshas Schönheit beruht auf seiner Intelligenz. (AFP / Indranil Mukherjee)
    Ganeshas Vater Shiva ist für den Erhalt und die Zerstörung der Welt verantwortlich. Als Mahadeva - "großer Gott" - hat er einen eigenen Kult und gilt als Herr über alle Welten und alle Wesen, sagt die Indologin Manjiri Bhalerao aus Pune:
    "Auch Ganesha wird ein eigener Kult zugesprochen. Anders als Shiva, wird er aber in den altindischen Schriften, den Veden, noch nicht genannt. Erst im dritten Jahrhundert findet Ganesha Erwähnung in den Texten."
    Das hinduistische Pantheon ist überaus komplex. So gibt es etwa Gottheiten wie Shiva, die zugleich für die Zerstörung und für die Erneuerung der Welt verantwortlich sind.
    "Ganesha ist über jedwede Form der Anbetung hocherfreut und er wird dem Gläubigen dafür seine Gunst schenken."
    So der Priester Trilok Murthy aus dem Ganesha-Tempel Sri Vinayaka Mandir in New Delhi.
    "Es gibt diverse Rituale, die wir für ihn ausführen können. So baden wir die Statuen zum Beispiel jeden Tag und wir fügen dem Waschwasser wohltuende Essenzen zu. Währenddessen tragen wir vedische Verse vor. Wenn wir diese Mantras singen, erfüllen wir Ganesha mit großer Freude! Danach bieten wir ihm symbolisch 1.008 Blumen dar, indem wir alle seine Namen deklamieren. Ganeshas Schönheit beruht auf seiner Intelligenz. Außerdem ist er wohlbeleibt, reitet auf einer Ratte und er kann einfach alles! Deshalb lieben ihn die Menschen."
    "Er kann einfach alles"
    Ganesha wird nicht allein von Hindus, sondern auch von Jainas und einem Teil der Buddhisten verehrt. Die Gläubigen bitten ihn vor Antritt einer Reise, vor Vertragsabschlüssen, Prüfungen oder vorm Bau eines neuen Hauses um sein Wohlwollen. Die Statue des Gottes mit dem abgebrochenen Stoßzahn, der in einer seiner vier bis zehn Hände eine Schale voller Süßigkeiten hält, thront über Haus- und Geschäftseingängen und blickt von den Armaturenbrettern indischer Autos und Busse in den Straßenverkehr.
    In den Tempeln flüstern die Gläubigen ihre Wünsche seiner Ratte ins Ohr - Ganeshas wendiges, kleines Reittier gilt als Botschafter und enger Vertrauter der Gottheit. Vor den meist in Bronze gegossenen Statuen der Ratte stehen die Tempelbesucher Schlange, bis sie an der Reihe sind und die Weggefährtin ihres Gottes mit der Übermittlung ihrer Anliegen betrauen können.
    Ein kleines Stück weiter stockt die Menschenmenge im Tempel nochmal - dort, wo die Gläubigen Ganesha an eigens dazu angebrachten Wandtafeln mitteilen können, was ihnen am Herzen liegt. In allen Landessprachen schreiben seine Anhänger ihre Bitten und Wünsche nieder - mit Kugelschreibern, Filzstiften oder auch einfach mit den Fingern.
    Ein Gott für Groß und Klein
    Während des Aksharabhyasa-Rituals wiederum werden Kinder in ganz Indien mithilfe Ganeshas an ihre ersten Schreibversuche herangeführt. Der Gott aller gut gemeinten Unternehmungen, der Schutzpatron der Künstler und Schriftsteller soll den Kleinen dabei helfen, das Alphabet zu erlernen und die Tücken ihrer Muttersprache sicher zu umschiffen.
    Ganesha, der wohlgenährte Gott, der seine Anhänger manchmal auch mit Perlen und Juwelen überschütten soll, wird von einem Teil der Hindus als ihr Hauptgott verehrt. Die sogenannten Ganapatyas stammen meist aus höheren Kasten und kommen aus dem Bundesstaat Maharasthra oder aus Südindien. Die Anhänger dieser hinduistischen Denomination sorgen unter anderem dafür, dass in ganz Indien Ganesha-Tempel errichtet, unterhalten und den religiösen Vorgaben gemäß betrieben werden.
    Die diversen Darstellungen des Gottes sind während der drei Tage währenden Ashtavinayaka-Pilgerreise im Bundesstaat Maharashtra allgegenwärtig. In den acht Ganesha-Tempeln, denen die Gläubigen dann einen Besuch abstatten, sehen sie sich Ganesha-Ganpatis Bildnissen und Statuen aller Couleur gegenüber.
    Ganesha-Anhänger, die die Mühsal dieser Pilgerfahrt auf sich nehmen, gewinnen das Wohlwollen ihres Gottes in besonderem Maße. Wohl auch deshalb begehen viele der Gläubigen die Reise nicht nur einmal. Hinzukommt, dass die sogenannte "Tirtha Yatra" Gelegenheit dazu bietet, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.
    Für Ganesha Anhänger gibt es keinen Zweifel daran, dass ihre Gottheit alles zu tun vermag. In ihren Augen verkörpert Ganesh die Einheit von Makro- und Mikrokosmos. Mithilfe seines kräftigen Körpers und seiner Intelligenz kann er jedes Hindernis überwinden und allenthalben einen Pfad für die Gläubigen schlagen. Sein Elefantenkopf macht ihn überdies zum König der Tierwelt. Außerdem kann Ganesha, wenn es nötig sein sollte, auf die Hilfe seines Reittiers zählen - seine Ratte, die sich überall durchzubeißen vermag.
    Zehn Tage lange Geburtstagsfeier
    Ganeshas Verehrung findet jedes Jahr ihren Höhepunkt, wenn sein Geburtstag gefeiert wird. Zehn Tage lang währen die Festlichkeiten, zu deren Ende hin die tönernen Statuen Ganesha-Ganpatis stundenlang in Prozessionen durch die Stadt oder durchs Dorf zum nächsten Fluss oder zum Meer transportiert werden. Hier werden die Ganesha-Darstellungen versenkt. Je nach Mondkalender wird das sogenannte Ganesh-Chaturthy-Fest im August oder im September begangen. Dieses Jahr fällt Ganeshas Ehrentag Ganesh Chaturthy auf den 29. August.
    "Die Leute lieben ihn - nicht zuletzt, weil sie seinetwegen und ihm zu Ehren das Ganesh Charturthy feiern können. Dies ist eine Zeit, in der im Namen Ganeshas alles möglich ist! Die Gläubigen genießen die zehn Tage des Festes sehr - sie sind gut gelaunt und den meisten gelingt es, die Sorgen des Alltags für kurze Zeit zu vergessen. Es wird ausgelassen getanzt und reichlich gegessen und getrunken. Wer kann, nimmt Urlaub und verlässt die ausgetretenen Pfade."
    Schon Wochen vorher werden in ganz Indien Statuen und Festwagen für den Geburtstag Ganeshas angefertigt. Familien, die den Festtag daheim begehen, schmücken ihren Hausaltar mit Blumen, kleiden die Statuen neu ein und überreichen Ganesh Reis, Bananen und seine Leibspeise - Laddus in Butter gewälzte süße Konfektkugeln. Ein Priester haucht der für diesen Anlass angefertigten Tonfigur Ganeshas symbolisch Leben ein.
    Auf vielen Straßen und Plätzen ist während des Ganesha-Festes kein Durchkommen. Pompöse, farbenprächtige Prozessionswagen und Gemüsekarren rumpeln über den Asphalt, Wagen, die durch frischen Anstrich und goldflirrende Brokatdecken aufgewertet worden sind und nun die kolossalen Statuen von Lord Ganesha befördern dürfen. Hinter diesen Festwagen marschieren hunderte von Gläubigen her, die ihre Ganesha-Figuren auf den Schultern tragen.
    Entstehung, Erhaltung, Zerstörung, Neubeginn
    Am zehnten Tag werden die Statuen in ein neues kosmisches Stadium versetzt. Nachdem formlose Materie Gestalt angenommen hatte, ihr Leben eingehaucht wurde und die Ganesha-Statue Gast des Gläubigen geworden ist, wird sie jetzt wieder in die Formlosigkeit entlassen.
    Entstehung - Erhaltung - Zerstörung - Neubeginn. Der hinduistische Zyklus schließt sich, wenn die Gläubigen am Ende der Prozession ihre Ganesha-Figuren dem Meer oder einem Fluss überantworten.
    "Seit jeher sind wir davon überzeugt, dass unser Schicksal in seinen Händen liegt."