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Hinter dem Bankschalter

Der Schweizer Journalist René Zeyer schreibt: "Die Zeiten, als in den Banken die Gangster vor den Schaltern standen, sind vorbei." Längst hat der frühere Bankberater die Seiten gewechselt. Jetzt spricht er für Geschädigte der Lehmann-Pleite in der Schweiz. Und ist damit für die Branche zum roten Tuch geworden. Mit seinem Buch "Bank, Banker, Bankrott. Storys aus der Welt der Abzocker" tritt René Zeyer an, seinen Vorwurf zu belegen.

Von Sabine Weber |
    Es ist eine Welt, in der nicht von Tausend oder Millionen Franken, Euro oder Dollar gesprochen wird, sondern von "Tonnen" und "Kisten". Der Geschäftsführer heißt hier "CEO", der Anlageberater "Banker" und der besonders vermögende Anleger ist ein "Ultra High Net Worth Individual". Und Sparkonten, die sind einfach nur noch eine Lachnummer angesichts der ach so erfolgreichen Anlagevehikel wie ARS, RMBS, CBMS oder Alt-A-CDOs.
    Wenn man hier kein Wort mehr versteht, dann hat die Bank, so René Zeyer, hat allen voran der Banker sein Ziel erfüllt: Verunklarung, Irreführung, Abzocke.

    "Jeden Tag ein neues Konstrukt, ein noch verrückteres Instrument. 'Interest rate Arbitrage based on crossed Inflation Protection with indirect Mortgage Loans and optimized Insolvency Duration.' Bring das mal einem gelernten Bäcker bei. Sie müssen dem Kunden einfach sagen: Gehört heute in jedes Portfolio; ein Depot im Wert von 25 Mio. kann man sich ohne gar nicht vorstellen. Und wenn der Kunde wissen will, was das ist, dann sagen Sie ihm: Was soll ich Ihnen da noch erklären? Der Name sagt doch eigentlich schon alles, oder?"

    Bekanntermaßen geht der Krug so lange zum Brunnen, bis er bricht – und das gilt auch im nur scheinbaren Paralleluniversum der Finanzwelt. Mit dem Titel "Bank, Banker, Bankrott" hat René Zeyer hierfür eine griffige Formel gefunden. Im Folgenden zeichnet er ein deprimierendes Bild des Finanzsektors. Dabei analysiert er die Krise nicht anhand von Tabellen, Zahlen und Fakten, sondern betrachtet den einzelnen Menschen und dessen ganz persönliche Verantwortung am Desaster. Sein Untersuchungsobjekt sind die Schweizer Private Banker – Anlageberater, die finanzstarke Kunden für undurchschaubare und äußerst risikoreiche Finanzprodukte suchen.

    Mittels romanhaft geschriebener, kurzer und durchaus auch kurzweiliger Episoden, die alle miteinander verbunden sind, entwirft Zeyer ein Panoptikum der Eitelkeiten und der Unfähigkeit, der Gier und der Rücksichtslosigkeit, der Realitätsferne und der Verantwortungslosigkeit. Alle diese Geschichten, versichert der Autor, seien aus dem wahren Leben der Finanzdienstleister gegriffen, nichts sei erfunden. Lediglich Namen und Orte wurden aus juristischen Gründen verfremdet.

    Banker sind nicht mehr die im Kundensinne beratenden kenntnisreichen Angestellten aus früheren Jahrzehnten, sondern bonus- und kommissionsgetriebene PR-Leute. Bei Zeyer heißen sie Kuster, Hugentobler und Äbersold. Letzterer beschließt nach einem Vormittag des Nichtstuns, dass es nun Zeit würde, ein wenig Kommission zu verdienen.

    "'Grüezi, Herr Friedli, ich habe mich höchstpersönlich den ganzen Vormittag mit Ihrem Depot beschäftigt, ich glaube, wir sollten da etwas mehr Dynamik hineinbringen. Sie wissen ja, wenn die Herde in die eine Richtung rennt, muss man in die andere Richtung laufen. Emerging Markets Asia, Luxury Goods plus Realty Strukturfonds, ein ganz heißer Tipp. Ist aber nur einem exklusiven Kundenkreis vorbehalten, Minimaleinlage fünf Millionen,, aber das brächte dann schon den nötigen Pepp in Ihr Portefeuille. Darf ich Ihnen mal die Unterlagen mitgeben?'
    Äbersold fragte sich, ob und wann Friedli schnallen würde, dass 'Realty' Immobilien bedeutete. Wahrscheinlich zu spät, grinste Äbersold in sich hinein."


    Probleme und Magengrimmen verursachen den Private Bankern nicht die immensen Verluste bei den ihnen anvertrauten Vermögen, sondern die Entscheidung für den angemessenen Wagen (BMW oder Maserati), den zu deckenden privaten Personalbedarf (Masseurin oder Fashion Berater) oder den nächsten Einrichtungsstil fürs Loft mit Blick über den Zürichsee. An solchen Stellen lässt sich nur hoffen, dass Zeyers Darstellung satirisch überspitzt ist.

    Mit leichter Hand streift Zeyer Themen wie den Immobiliencrash in den USA, den "Datenklau" in Liechtenstein, über den Ex-Post-Chef Zumwinkel stolperte, oder die seiner Ansicht nach mit krimineller Energie betriebene Niedrig-Zins-Politik des langjährigen US-Notenbank-Chefs Alan Greenspan. Und immer wieder thematisiert er die Unsummen an Boni, Kommissionen, Fees und Kickbacks der Banker, die sich in den letzten drei Jahren allein im US-Hypothekensektor auf rund eine Billion US-Dollar belief – zusätzlich zum Gehalt. Im Nachwort schreibt Zeyer:

    "Das Ganze ist ein gigantischer, unverschämter, aber wohlorchestrierter Raub von ein paar Bankern am Vermögen von Millionen von Sparern und zukünftigen sowie aktiven Pensionären. Die Werkzeuge waren nicht Dietrich oder Schweißbrenner, sondern 'Finanzinstrumente', Derivate, Hedgefonds, Financial Engineering etc. –
    Und noch besser für die marodierenden Bankerbanden: Es wird keine internationalen Prozesse zur Aburteilung der Rädelsführer geben. Davon kann jeder Bankräuber nur träumen. Aber er hat halt seinen Beruf verfehlt: Besser wäre er Banker geworden."


    Zeyer bezeichnet sich selbst als Analysten, nicht als Therapeuten. Er bietet keine Lösungsansätze, sondern will darstellen und aufklären. So ist "Bank, Banker, Bankrott" eine mit bitterer Galle geschriebene Abrechnung und auf traurige Weise durchaus unterhaltsam.

    Doch gerade dieses unterhaltende Element beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit. René Zeyer mag als intimer Branchenkenner noch so überzeugend versichern, dass alle Ereignisse authentisch seien - vieles wirkt einfach weit hergeholt und gnadenlos überspitzt. Genannt seien hier nur die Geschehnisse rund um die kriminellen russischen Geldanleger, trinkfest und prostituiertenaffin, die auch vor dem Mord an ihrem eigenen Anlageberater nicht zurückschrecken, wenn der nicht spurt. Allzu leicht lassen sich solche Geschichten schon allein aufgrund der Art ihrer Darstellung ins Reich der Fantasie verweisen. Ein trockener Tatsachenbericht durchsetzt mit der kenntnisreichen Einschätzung des Autors wäre wohl ebenso spannend, wenn nicht spannender gewesen und hätte wahre Sprengkraft gehabt.

    Aber immerhin: Durch seine süffige romanhafte Schreibe senkt "Bank, Banker, Bankrott" die Hemmschwelle, sich mit der Banken- und Bankerthematik überhaupt einmal auseinanderzusetzen.

    René Zeyer: Bank, Banker, Bankrott – Storys aus der Welt der Abzocker. 200 Seiten im Orell Füssli Verlag. 19,90 Euro