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Hinter dem Stacheldraht

Gewalttätige Proteste, Hungerstreiks und Frust, Selbstmordversuche, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. In den Flüchtlingslagern Australiens herrschen schrecklich Zustände. Denn wer ein neues Leben auf dem südlichen Kontinent sucht, wird erst einmal in abgelegene Lager gesperrt - nicht selten für mehrere Jahre. Die Labor-Regierung möchte dies nun ändern.

Von Andreas Stummer |
    August 2004, im südaustralischen Auffanglager Woomera. Nach drei Jahren hinter Stacheldraht wird ein afghanischer Flüchtling abgeschoben, Asylantrag abgelehnt. Verzweifelt geht der Mann mit einer handtellergroßen Glasscherbe auf die Wärter los. Aufseher Clive Skinn erleidet Schnittwunden und einen Nervenzusammenbruch. Heute, vier Jahre später, hat er immer noch Alpträume.

    "Ich war 18 Monate lang arbeitsunfähig. Seitdem habe ich viermal versucht, mich umzubringen. Nur wegen meiner Kinder habe ich es nicht getan. Es war schrecklich im Lager. So etwas möchte ich nie wieder mitmachen."

    Clive Skinn ist kein Einzelfall. Wie viele frühere Wärter in den Auffanglagern fühlt er sich alleingelassen. Als hilfloses Opfer der harten Flüchtlingspolitik, der damals konservativen Regierung. Denn Ende der Neunziger Jahre hieß es für Asylbewerber ohne Visum in Australien: "Betreten verboten."

    "Wir entscheiden, wer und unter welchen Umständen in unser Land kommt."

    Der damalige Premier John Howard verwandelt Australien in eine Festung. Wer trotzdem durch die Hintertür ins Land kommt, wird interniert. In Auffanglagern weitab der Großstädte, im menschenleeren, australischen Hinterland. Beaufsichtigt von unerfahrenen Wärtern wie Les Brooks, einem früheren Briefträger.
    "Uns wurde verboten, das Wort Flüchtlinge zu gebrauchen. Stattdessen mussten wir den Begriff "Illegaler Nicht-Bürger" verwenden. Ich dachte unser Job wäre nur, uns um die Flüchtlinge zu kümmern und sie von A nach B bringen. Ich war nicht darauf vorbereitet, angegriffen und beleidigt zu werden. Ich dachte, ich hätte es mit Leuten wie du und ich zu tun."

    Abdul Munjed, ein Flüchtling aus dem Irak musste zwei Jahre im Lager von Woomera warten, bis sein Asylantrag bewilligt wurde. "Das Schlimmste", sagt Abdul, "waren die Ungewissheit und die Gleichgültigkeit der Wärter." Einige hätten sie anständig behandelt, erzählt Abdul, aber den meisten sei das Schicksal der Flüchtlinge egal gewesen.

    "Niemand hört ihnen zu. Sie sind hilflos und verzweifelt. Man behandelte die Flüchtlinge wie Verbrecher. Niemand ist an ihrer Lebensgeschichte interessiert und niemand glaubt ihnen."

    Die Lager wurden im Auftrag der Regierung von privaten Sicherheitsfirmen betrieben. Den Wärtern, die meist aus der umliegenden Gegend stammten, wurden Verwaltungsjobs mit guter Bezahlung versprochen. Die Wirklichkeit für die Aufseher aber sah anders aus.

    Gewalttätige Proteste, Hungerstreiks und Frust, immer wieder Selbstmordversuche und Selbstverstümmelungen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Die Aufseher sind überfordert, schlecht oder gar nicht ausgebildet. Wert gelegt wird nur auf das sogenannte "Konfliktmanagement".

    Wärtern, wie Steve Hasiuk, wird beigebracht, wie sie randalierende Flüchtlinge mit Festhaltegriffen, Gummiknüppeln und Handschellen effektiv ruhigstellen können. Doch über die Kultur der Lagerinsassen, ihre Traditionen oder ihre Religion erfahren die Aufseher nichts.

    "Viele benutzten ein Stück Karton als ihren Gebetsteppich. Für uns aber war es nicht mehr als ein Stück Karton. Für Moslems aus dem Mittleren Osten aber war es im Lager alles, was sie hatten. Fünfmal am Tag bedeutete dieses Stück Karton die Welt für sie. Und wenn einer von uns achtlos darauf trat, dann war das die schlimmste, denkbare Beleidigung."

    Je länger die Flüchtlinge vergeblich auf Asyl warteten, desto verzweifelter wurden sie. Immer wieder nähen sich Kinder und Erwachsene ihre Lippen zusammen, einige heben ihre eigenen Gräber aus oder verletzen sich am Stacheldraht, bis sie bluten. Viele versuchen, sich aufzuhängen oder gehen immer wieder auf die Aufseher los. Carol Wiltshire, früher Wärterin im Auffanglager Woomera, erinnert sich nur ungern daran, wie ihr anfängliches Mitleid mit den Flüchtlingen zusehends in unverhohlenen Fremdenhass umschlug.

    "Ich begann, sie zu verachten. Am liebsten hätte ich sie überfahren oder erdrosselt. Ich bin sonst ein mitfühlender Mensch, aber ich verwandelte mich in ein Tier."

    Mehr als 6000 Asylsuchende, vor allem aus dem Mittleren Osten, saßen von Ende der Neunziger an oft jahrelang in australischen Flüchtlingscamps fest. Aus den Augen aus dem Sinn. Genau wie ihre Wärter. Simon Lockwood, der Psychologe des Lagers in Woomera, betreute dort mehr Aufseher als Flüchtlinge.

    "Die Wärter kämpften mit Depressionen, posttraumatischem Stress und Angstzuständen, viele waren Alkoholiker. Einige sind heute noch, Jahre später bei mir in Behandlung. Ihre Beziehungen oder Ehen sind kaputt. Die Erlebnisse im Abschiebelager haben ihr ganzes Leben vergiftet."

    Woomera, 2004. Ein indischer Flüchtling fleht die Wärter an, ihn nicht abzuschieben. Er fürchte um sein Leben. Kehre er in seine Heimat zurück, sei er so gut wie tot. Die Aufseher aber haben keine Wahl, das Einwanderungsministerium hat gesprochen.

    Mehr als 60 ehemalige Wärter australischer Asyl-Auffanglager leiden unter schweren psychologischen Spätfolgen. Viele werden nie wieder arbeiten können. Jetzt klagen sie auf Schadensersatz. Die zuständigen Sicherheitsfirmen hätten sie unzureichend ausgebildet und wie die damalige konservative Regierung, deren Flüchtlingspolitik sie umsetzten, im Stich gelassen.

    "Wir waren nichts weiter als Nummern, Lohnempfänger. Als wir nicht mehr funktionierten, ließen sie uns einfach fallen. Sie versprachen, sich bei Arbeitsunfällen um uns zu kümmern. Aber das waren leere Versprechen."

    Die Labor-Regierung hat die umstrittenen Abschiebelager jetzt geschlossen. Die übrigen Asylzentren des Landes werden weiter von privaten Sicherheitsfirmen betrieben, doch Einwanderungsminister Chris Evans verspricht, dass Flüchtlinge in Australien künftig menschlicher behandelt werden. Das sei man nicht nur Asylsuchenden schuldig, sondern auch den Wärtern, die sie beaufsichtigen.